„Krone“-Reportage

Steiermark-Besuch: Muss Kanzler Kurz wirklich weg?

Steiermark
15.05.2021 06:30

FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl prägte den Satz: „Kurz muss weg - das ist mein Kampfauftrag.“ Mittlerweile fordert die gesamte Opposition den Rücktritt des Kanzlers wegen des Verdachts der falschen Zeugenaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss. Die „Krone“ begleitete Sebastian Kurz bei seinem Steiermark-Besuch am Freitag und hörte sich in der Bevölkerung um: Muss Kurz wirklich weg?

Im kleinen Kaffeehaus nahe dem Hartberger Fußballstadion bringt der Chef die verschmutzen Gastgartenstühle mit einem Hochdruckreiniger auf Hochglanz. Nicht, weil der Kanzler und sein Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) in wenigen Minuten im Stadion erwartet werden – „sondern weil wir am Mittwoch endlich aufsperren. Uns reicht’s“. Soll der Regierungschef wegen des Verdachts der falschen Zeugenaussage zurücktreten? „Ja, als Kanzler kann man sich das nicht erlauben. Aber als Erstes sollte der Blümel weg. Der ist ärger.“

Die wenigen Sonnenstrahlen vor den Stadion-Toren genießt ein braungebrannter Pensionist. Er begründet eine Art politische Relativitätstheorie: „Der eine Politiker lügt 200 Mal, der andere 300 Mal. Wo ist der Unterschied?“

Die Menschen auf der Straße sind enttäuscht
Als der Konvoi mit den schwarzen Dienst-Limousinen verspätet aus Wien ankommt, bleiben die Passanten unbeeindruckt. Teilnahmslos zuckt eine 35-jährige Büroangestellte die Schultern. „Der Kurz ist da? Na und?“ Sie klingt resigniert und enttäuscht wie viele andere, mit denen man an diesem Freitag in der Oststeiermark redet. „Wenn der Kurz gelogen hat, wäre das arg. Aber ändern wird das nichts. Die Politiker machen eh, was sie wollen.“

Richtige Position: Permanent kurvt Bundeskanzler Sebastian Kurz um Herumstehende, die den Blick des Fotografen auf das Wesentliche, also auf ihn, verstellen könnten. (Bild: Wulf Scherbichler)
Richtige Position: Permanent kurvt Bundeskanzler Sebastian Kurz um Herumstehende, die den Blick des Fotografen auf das Wesentliche, also auf ihn, verstellen könnten.

Überhaupt scheint es Wichtigeres zu geben. „Schau’n Sie, da drüben“, deutet ein 68-Jähriger durch die grauen Gitterstäbe des hohen Zauns Richtung Fußballrasen, „der mit den dünnen Haxn, das ist mein Enkerl“. Zu Kurz schweigt er, schüttelt nur den Kopf.

Drinnen im Stadion trainieren die 14- und 15-jährigen Nachwuchsspieler des TSV Hartberg nach langer Covid-Pause endlich wieder. Die Klubpräsidentin will die Frage, ob Kurz weg muss, nicht beantworten. Nur so viel: „Wir sollten alle an einem Strang ziehen und nicht das Negative schüren.“ Der Chef-Trainer will über Kurz auch nicht urteilen: „Meine private Meinung über ihn bleibt privat“.

Wer kann die besten Anzeigen schreiben?
Auf dem grünen Rasen zwischen all den bunten Trikots und Trainingsanzügen sticht der blaue Slim-Fit-Anzug des Bundeskanzlers besonders hervor. Er selbst meint freilich, dass er nicht weg muss. „Ich will einen politischen Wettbewerb. Und keinen Wettbewerb, welche Partei die besten Anzeigen schreiben kann.“

Sebastian Kurz steht immer dort, wo Kameras sind. Permanent kurvt er um Herumstehende, die den Blick des Fotografen auf das Wesentliche, also auf ihn, verstellen. Kogler ist im Erkennen der besten Kameraposition nicht so gut. Oder er nimmt sich nicht so wichtig. „Stell dich dort rüber, sonst bist nicht am Foto“, raunt die Pressesprecherin dem Vizekanzler zu. Die Frage, ob Kurz weg muss, will Kogler (noch) nicht beantworten.

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Die Justiz soll in Ruhe arbeiten. Ohne Zurufe.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) zu Ermittlungen gegen Sebastian Kurz

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Angenehm ist das freilich alles nicht.

Sebastian Kurz äußert sich zu Ermittlungen

Proberaum für sieben von 80 Musikern
Der Konvoi braust weiter, von Hartbergs Jung-Kickern zur Blasmusikkapelle im Schloss Pöllau. Endlich darf auch wieder musiziert werden, frohlocken die Spitzenpolitiker. Diesmal hat die sonst gut geölte PR-Maschine aber einen kleinen Verreiber. „Unsere Kapelle hat 80 Mitglieder, im Proberaum dürfen zeitgleich aber nur sieben Musiker üben“, ärgert sich ein Blechbläser in seiner traditionellen Fuhrmannstracht, dem Markenzeichen der Pöllauer Musikanten. „Das ist keine Blasmusik. Das ist nichts.“ Muss Kurz wenigstens deswegen weg? „Das sollen sich die Politiker untereinander ausmachen.“ Politikverdrossenheit kann auch in Meinungslosigkeit führen.

Der Schlosswirt in Pöllau ist Belgier, vor 15 Jahren nach Österreich gekommen. „Es ist unfair, wie mit Kurz umgegangen wird“, sagt er. „Der Bundeskanzler hat uns gut durch die Krise geführt. Ich will ihn aber nicht in den Himmel loben.“ Muss Kurz weg? „Es ist offenbar Teil der österreichischen Kultur, dass jeder jeden anzeigt. Das finde ich befremdlich.“

Demütige Verbeugung: Sebastian Kurz und Werner Kogler begrüßen Pöllaus Blasmusiker (Bild: Wulf Scherbichler)
Demütige Verbeugung: Sebastian Kurz und Werner Kogler begrüßen Pöllaus Blasmusiker

Dann muss der Kanzler aber wirklich weg
Letzte Station der türkis-grünen „Wiederaufsperr-Tournee“ (Zitat Kogler) auf Einladung des Landeshauptmanns ist das Thermenhotel „Der Steirerhof“ in Bad Waltersdorf. Die Chefs dürften allen Mitarbeitern eingebläut haben, keine heiklen Fragen zur Politik zu beantworten. „Wir haben neutral zu sein“, sagt die Chefin des Hauses. „Wir bieten unseren Gästen Ruhe an.“ Eine „Anderswelt“ nennt sie das.

Ob seine Welt eine andere ist, seit ihm der Prozess wegen falscher Zeugenaussage droht, weiß nur der Kanzler selbst. „Angenehm ist das freilich alles nicht“, sagt er. Dann muss Kurz wirklich weg. Zum nächsten Termin.

Porträt von Oliver Pokorny
Oliver Pokorny
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