Wissenschaftler, welche die Ruinen des havarierten sowjetischen Atomkraftwerks Tschernobyl in der Ukraine überwachen, haben in einer unzugänglichen Kammer einen Strahlungsanstieg registriert. Nun rätseln sie über die Ursachen - und darüber, ob eine Intervention notwendig ist.
Als der Reaktorblock 4 des sowjetischen Atomkraftwerks Tschernobyl am 26. April 1986 in die Luft flog, wurden große Mengen radioaktives Material in dem Komplex verteilt. Wände stürzten ein, viele Kammern in der Ruine von Tschernobyl wurden unzugänglich und sind bis heute nicht betreten worden. In ihnen ruhen gefährliche nukleare Rückstände: Radioaktiver Brennstoff mischte sich mit geschmolzenem Sand, Stahl und Beton, es entstanden lavaartige hoch radioaktive Substanzen, die in tiefere Bereiche sickerten.
In einer dieser Kammern - Subreaktorraum 305/2 - haben Wissenschaftler, die Tschernobyl überwachen, nun einen mysteriösen und langfristig möglicherweise bedenklichen Strahlungsanstieg gemessen, berichtet „New Scientist“. Die Forscher entdeckten steigende Neutronenemissionen. Binnen vier Jahren sei die Strahlung in dem Raum um 40 Prozent gestiegen.
Forscher hoffen, Problem löst sich von selbst
Noch hoffe man, dass die Situation sich - wie bei früheren Strahlungsanstiegen - von allein beruhige. Es sei allerdings auch denkbar, dass die Strahlung weiter steige und man einschreiten müsse. In diesem Fall müssten Löcher in den Raum gebohrt werden, um die Strahlung erstickende Chemikalien einzuleiten. Davor sei es ratsam, Strahlungssensoren anzubringen und mit Robotern Proben zu nehmen, sagt Nuklearingenieur Maxim Saveliev von der ukrainischen Akademie der Wissenschaften.
Es erinnert uns daran, dass wir dieses Problem nie gelöst, sondern lediglich stabilisiert haben.
Neil Hyatt, Universität Sheffield
Neil Hyatt, Experte für die Entsorgung nuklearer Abfälle an der britischen Universität Sheffield, veranschaulicht das Problem in dem Raum so: „Es erinnert uns daran, dass wir dieses Problem nie gelöst, sondern lediglich stabilisiert haben.“ Die nuklearen Rückstände in der Kammer seien mit „Glut in einem Grill“ vergleichbar. Hyatt: „Wir sprechen von sehr niedrigen Spaltungsraten, es ist kein spaltender Kernreaktor.“ Man gehe davon aus, dass nicht genug radioaktives Material in dem Raum liege, um eine Explosion auszulösen. „Aber wir wissen es nicht genau.“
Strahlungsanstieg wegen neuem „Sarkophag“?
Ein möglicher Grund, wieso es zu dem Strahlungsanstieg kam, könnte just in einer Maßnahme zur Sicherung der nuklearen Ruine liegen. 2016 wurde die nach dem Unfall 1986 eiligst aufgetragene, mittlerweile löchrige und luft- und wasserdurchlässige Betonschutzschicht durch einen modernen stählernen „Sarkophag“ ersetzt.
Dieser sorgt nicht nur dafür, dass möglichst keine Radioaktivität nach außen dringt, sondern scheint auch zu einer Austrocknung im Inneren zu führen. Es sei denkbar, dass nun kein Regenwasser mehr in den Raum sickere, das die Kettenreaktion verlangsame, was sich wiederum in dem gemessenen Strahlungsanstieg bemerkbar mache.
Noch wurde in der Kammer kein kritisches Niveau erreicht. Die Überwacher der noch für Tausende Jahre mit Plutonium und Uran belasteten Ruine hoffen, dass das so bleibt.
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