Gewaltopfer berichten:

Frauenmorde: „Du hast Angst, die Nächste zu sein“

Österreich
22.05.2021 19:01

Bereits elf Frauen wurden in den ersten fünf Monaten des Jahres 2021 ermordet. Bevor es zu einer solchen Tat kommt, werden die späteren Opfer meist belästigt, bedroht oder attackiert. Wie Isabella und Christina. Sie haben krone.tv ihre Geschichte erzählt.

Ex-Freundin mit dem Messer attackiert, Ehefrau und Kinder mit dem Umbringen bedroht, Frau auf der Straße von ihrem Ex-Freund geschlagen: Häusliche Gewalt ist in Österreich schon fast alltäglich. Glücklicherweise kann die Polizei manchmal rechtzeitig einschreiten - wie mehrere Einsätze in der Bundeshauptstadt gezeigt haben (krone.at berichtete). 

Polizei und Justiz meist machtlos
Aber manchmal sind Polizei und Justiz machtlos. Für solche Fälle wurde der Verein „Weißer Flügel“ gegründet. Er unterstützt Opfer, die verfolgt und belästigt werden. Denn Stalking allein ist oft noch kein Grund für die Polizei, einzuschreiten. 

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

Liri T. ist gerade am Weg zu seinem ersten Einsatz. Er ist das jüngste Mitglied des Vereins. Seit 2016 bietet „Weißer Flügel“ kostenlosen Begleitschutz an. Immer mehr Gewaltopfer entdecken den Service - ob aus Angst vor Angriffen oder Kindesentführungen, die Bandbreite ist groß. Mittlerweile ist die Betreuung ein zentraler Aufgabenbereich für Obmann Mario Schmidt geworden. Liri hat er soeben rekrutiert. Er musste 3000 Euro zahlen, weil er bei einer sexuellen Belästigung eingeschritten war und dem Täter mit einem Schlag den Kiefer gebrochen hatte. Freunde haben den Betrag über eine Crowdfunding-Plattform rasch zusammenbringen können. 

„Geschlagen hat er mich auch zwischendurch"
Liri und Mario treffen Isabella, eine Mutter von zwei Kindern, die sich in einer laufenden Scheidung befindet. Bereits mehrmals, so erzählt sie in ihrer Wohnung in Wien-Favoriten, sei sie auf offener Straße von ihrem Ex-Mann tätlich angegriffen, ihr Auto von ihm zerkratzt und die Reifen eingestochen worden. „Geschlagen hat er mich auch zwischendurch.“ Zu allen Terminen im Rahmen der Scheidung wird sie von einem Security des Vereins begleitet. Ihre Tochter, die beim Vater lebt, hat sie monatelang nicht gesehen. Der kleine Sohn lebt bei ihr. 

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

Immer wenn ein Frauenmord die Schlagzeilen dominiert, kommen ihre schlimmsten Befürchtungen hoch. „Da hast du Angst, dass dir das auch passieren kann, dass du die Nächste bist“, erzählt Isabella. Nachdem sie an der Hand „verletzt wurde“, suchte sie die Interventionsstelle auf. Dort wurde ihr der „Weiße Flügel“ empfohlen. Sie hat nur einen Wunsch: Ihr ,Ex' soll sie in Ruhe lassen. „Er soll einen klaren Kopf kriegen“, sagt Isabella leise, „wir haben doch zwei Kinder miteinander.“ 

Was gibt ihr Kraft in dieser schwierigen Situation? „Der ‚Weiße Flügel‘ steht hinter mir, ich fühle mich sicher, wenn ich ständig Personenschutz habe, egal was ich tue oder wo ich hingehe. Meine Therapeutin stärkt mich auch, und natürlich mein Sohn. Ich als Mama muss ja für meine Kinder kämpfen.“ Alle verabschieden sich. 

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

Die nächste Klientin wartet schon. Ein wildfremder Stalker, der selber verheiratet ist, hat die Frau belästigt, bedroht und attackiert. Christina wohnt in einer Wohnhausanlage am Stadtrand. Mario Schmidt erklärt die Problematik: Die Garageneinfahrt bleibe aufgrund von Anlieferungen offen, dadurch hätten auch Fremde uneingeschränkten Zutritt ins Wohnhaus. Das nutzte der Stalker. „Man wird praktisch nicht aufgehalten“, sagt der Vereins-Obmann und deutet auf die Schranke, die er gerade umgeht. Gemeinsam mit Liri kontrolliert er an diesem Vormittag Christines Parkplatz. Einmal lauerte ihr der Unbekannte im Durchgangsraum zwischen Lift und Garage mit einem Blumenstrauß auf. 

„Dem Stalker wird es sehr leicht gemacht und niemand will dafür die Verantwortung übernehmen. Keine Schlüssel, ab ins Wohnhaus!“ Demonstrativ öffnet Mario die Tür zum Keller. „In der Nähe von Christinas Wohnung haben wir schon Campingzeugs gefunden, zum Beispiel einen Schlafsack. Die Pflanze daneben hat er als Toilette verwendet.“ Diesmal sind keine Anzeichen für ein Eindringen vorhanden. Sie klopfen an Christinas Tür und überbringen die erfreuliche Nachricht. „Guten Tag! Begehung zu Ende. Keine Anzeichen, dass er da war. Das ist übrigens der neue Kollege, der Liri, er wird in nächster Zeit öfter vorbeischauen.“ 

Christina wurde mit einem Kübel Benzin überschüttet
Die 55-Jährige ist sichtlich erleichtert und beginnt, von den letzten vier Jahren zu erzählen. 
„Er hat gesagt, er wird mich umbringen, er würde nie loslassen. Ich wurde nicht ernst genommen, von der Polizei nicht und von der Staatsanwaltschaft schon gar nicht. Das ist das Problem, dass Staatsanwälte und Polizei jemanden erst dann ernst nehmen, wenn etwas Schlimmes passiert, wie bei mir.“ Ihr wurde nahegelegt, sie solle umziehen und ihre Handynummer wechseln. 

„Weil ich das aus beruflichen Gründen nicht konnte, war ich am Ende schuld.“ Christina (Name von der Redaktion geändert) ist Geigerin. „Etwas Schlimmes“ … Es ist unglaublich, was die Frau dann erzählt. „Ich wurde mit einem Kübel Benzin überschüttet und hatte Angst, dass er mich anzündet.“ Ein Nachbar hörte ihre Schreie und rettete ihr das Leben. Das war 2017. Mitglieder vom „Weißen Flügel“ kontrollieren noch immer wöchentlich den Zugang zu ihrer Wohnung.

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

„Stalking ist noch immer eine Verwaltungsübertretung und keine wirkliche Straftat“, erklärt Mario. Erst die Häufigkeit der Übertretungen macht die Straftat dann aus. Und dann ist es meistens schon zu spät. Da intervenieren wir, bevor irgendetwas total Schlimmes passiert, um zu beweisen, dass wirklich etwas passieren könnte.“ Was kann Stalker stoppen? „Meistens kommt es auch auf die Vernunft an, wann so etwas endet. Narzissten besitzen oft keine Vernunft - bis ihnen vom Gericht eine Therapie auferlegt wird. Eine Therapiestelle, wo sich Narzissten vor ihrer Tat melden können, wird es nicht spielen, wie der Herr Mückstein es gerne hätte. Narzissten sind dafür bekannt, für sich selbst nichts falsch machen.“ 

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

Der „Weiße Flügel“ expandiert im Moment gerade nach Tirol und in die Schweiz. Derzeit helfen 37 Menschen tatkräftig mit. „Fünf bis sechs Einsätze pro Tag“ halten Marion Schmidt und seine ehrenamtliche „Chaperones“ auf Trab. 

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

„Es ist immer zu spät“
Dr. Astrid Wagner ist Strafrechtsverteidigerin und hat langjährige Erfahrung in Scheidungsverfahren. Sie rät zur Vorsicht bei der Kennenlernphase in Beziehungen. „Man müsste auf die feinen Alarmsignale mehr achten“, erklärt sie. „Das Hauptproblem ist, man ist blind vor Liebe und der Partner zeigt nur seine beste Seite.“ Bei allen Fällen, die vor Gericht landen, „mit wirklichen Katastrophen, Kollateralschäden, wo dann die Kinder hineingezogen werden, ist es immer zu spät.“

„Männerberatungstellen sind wichtig und notwendig“
Nach den Frauenmorden der vergangenen Wochen haben Vizekanzler Werner Kogler und Justizministerin Alma Zadic die Männerberatungsstelle in Wien-Favoriten besucht. Der Leiter der Gewaltarbeit bei der Männerberatung Wien, Alexander Haydn, hofft darauf, eine bundesweite Förderung für Männerberatungsstellen etablieren zu können. „Wir brauchen ein niederschwelliges Angebot für die Hotline-Nummer, männerinfo.at 0720 70 44 00, die im Moment schon existiert und betrieben wird. 
Hier braucht es einen deutlichen Ausbau, eine Professionalisierung im Sinne von Ressourcen. Männerberatungsstellen sind wichtig und notwendig. Wenn wir die Gewaltspirale unterbrechen wollen, muss schon vorher etwas passieren, nicht erst, wenn ein Mord geschehen ist", sagt Justizministerin Alma Zadic.

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

„Frauenverachtung muss an sich geächtet werden ...“
Welchen Stellenwert hat der Gewaltschutz innerhalb der türkis-grünen Koalition? „Durchaus einen beachtlichen“, betont Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler. Gewalt gegen Frauen sei aber ein gesamtgesellschaftliches Problem, und gerade Männer könnten einen großen Beitrag leisten. „Deshalb muss Frauenverachtung an sich geächtet werden, das ist eine Arbeit von Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, und darf nicht nur bei bestimmten Einrichtungen bleiben.“ 

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

Der Verein „Weißer Flügel“ arbeitet kostenlos für von Gewalt Betroffene und ist auf Spenden angewiesen. Konto: IBAN: AT38 2011 1827 5389 6600 - BIC: GIBAATWW.

Man verwies auf den Notruf 133. Auch der 24-Stunden Frauennotruf (01/71719) und der Frauenhaus-Notruf des Vereins Wiener Frauenhäuser (05/7722) sind rund um die Uhr besetzt. Das Landeskriminalamt Wien, Kriminalprävention, bietet zusätzlich Beratungen unter der Hotline 0800/216346 an.

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