Kritiker an Bord

Weißrussland zwingt Ryanair-Maschine zur Landung

Ausland
23.05.2021 22:20

Das autoritär regierte Weißrussland hat ein Linien-Flugzeug auf dem Weg von Athen nach Vilnius am Sonntag umgeleitet und zur Landung in der weißrussischen Hauptstadt Minsk gezwungen. An Bord befand sich mit Roman Protassewitsch einer der prominentesten oppositionellen Blogger Weißrusslands, er wurde nach der Landung festgenommen. Der Vorfall sorgte für internationale Kritik. Der EU-Sondergipfel berät am Montagabend über mögliche Sanktionen gegen Weißrussland.

Wenige Minuten bevor die Boeing 737 der irischen Fluggesellschaft Ryanair kurz vor 13 Uhr Ortszeit den weißrussischen Luftraum wieder verlassen und über Litauen mit dem Landeanflug auf Vilnius begonnen hätte, hatte sie überraschend abgedreht und war schließlich in Minsk gelandet. 

Die Ryanair-Maschine nach ihrer Zwangslandung in Minsk (Bild: AFP)
Die Ryanair-Maschine nach ihrer Zwangslandung in Minsk

Lukaschenko erteilte Befehl
Es habe Informationen über eine Bombe an Bord gegeben und Präsident Alexander Lukaschenko habe deshalb den Befehl erteilt, den Flug umzuleiten und zu empfangen, berichtete der regimenahe weißrussische Telegramkanal „Pul Pervogo“.

An Bord des Flugzeugs befand sich mit dem ehemaligen Chefredakteur des führenden oppositionellen Telegramkanals „NEXTA“ Roman Protassewitsch einer der bekanntesten Blogger Weißrusslands (Belarus). Neben Protassewitsch wurde am Sonntag eine russische Passagierin festgenommen, bestätigte der außenpolitische Berater von Swetlana Tichanowskaja, Franak Wjatschorka. Die Festgenommene sei in Vilnius als freiwillige Aktivistin tätig, erklärte er.

Das Foto zeigt Protassewitsch bei einer Festnahme in Minsk im März 2017. (Bild: AP)
Das Foto zeigt Protassewitsch bei einer Festnahme in Minsk im März 2017.

Zur Begleitung des Passagierflugzeugs sei auch ein Kampfjet vom Typ MiG-29 aufgestiegen, wie der Flughafen bestätigte. Die Fluglinie Ryanair bestätigte, dass die Besatzung des Fluges von weißrussischer Seite über eine mögliche Sicherheitsbedrohung an Bord in Kenntnis gesetzt und angewiesen worden sei, zum nächstgelegenen Flughafen in Minsk zu fliegen. Die Behörden hätten daraufhin genehmigt, dass das Flugzeug nach mehreren Stunden am Boden wieder zusammen mit Passagieren und Crew starten könne.

Mit mehr als achtstündiger Verspätung landete die Maschine am Sonntagabend schließlich auf dem Flughafen von Vilnius. Das Flugzeug mit der Nummer FR4978 landete um 21.25 Uhr (20.25 Uhr MESZ), wie auf der Webseite des Flughafens zu sehen war.

Internationale Kritik an Vorfall
Der Vorfall sorgt für heftige internationale Kritik. „Es ist absolut inakzeptabel, den Ryanair-Flug von Athen nach Vilnius zu zwingen, in Minsk zu landen“, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf Twitter. Verletzungen der internationalen Luftverkehrsregeln müssten Konsequenzen haben.

Die Fluggäste und Crew des Ryanair-Fluges seien auf ihrem Weg von Athen nach Vilnius in Gefahr gebracht worden, erklärte die litauische Ministerpräsidentin Ingrida Simonyte auf Twitter. „Wir fordern, dass dem Flugzeug und den Passagieren erlaubt wird, sofort nach Vilnius zu fliegen!“

Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis schrieb, es seien beunruhigende Nachrichten, dass der Ryanair-Flug zur Landung in Minsk gezwungen worden sei. Seinen Angaben zufolge befanden sich 171 Passagiere an Bord, zu 149 davon habe man Informationen. Unter diesen seien überwiegend Litauer, aber auch ein Österreicher sowie mehrere Menschen aus anderen EU-Staaten.

Auch Österreicher auf Passagierliste
Das Außenministerium in Wien bestätigte Sonntagabend, dass sich ein österreichischer Staatsbürger auf der Passagierliste befunden habe. Die am Flughafen in Wien anwesende österreichische Botschafterin in Minsk, Aloisia Wörgetter, erklärte gleichzeitig jedoch, dass sie keinen österreichische Staatsangehörigen identifizieren habe können. Das Außenministerium forderte auf Twitter „eine unabhängige internationale Untersuchung dieses Vorfalls“ und die dringende Freilassung Protassewitschs.

EU-Sanktonen gegen Weißrussland?
Die erzwungene Flugzeug-Landung in Minsk und mögliche Sanktionen gegen Weißrussland werden am Montagabend Thema bei dem EU-Sondergipfel in Brüssel sein, teilte der Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel am Sonntagabend mit.

„Akt des Staatsterrorismus“
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bezeichnete die Aktion als einen „Akt des Staatsterrorismus“. Er verurteile „auf das Schärfste die Festnahme von Roman Protassewitsch durch belarussische Behörden, nachdem ein Passagierflugzeug von Ryanair entführt worden ist“.

Die deutsche Regierung forderte ebenfalls eine „sofortige Erklärung“ von Weißrussland. Schwedens Außenministerin Ann Linde twitterte, die Berichte, dass eine zivile Passagiermaschine gezwungen worden sei, in Minsk zu landen, um dort den Journalisten Roman Protassewitsch festzunehmen, seien sehr bestürzend. „Völlig inakzeptables und rücksichtsloses Verhalten“, schrieb sie. Belarus müsse Protassewitsch sofort freilassen.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte eine internationale Untersuchung der Flugzeug-Umleitung. „Das ist ein schwerwiegender und gefährlicher Vorfall, der internationale Untersuchungen erfordert.“

Oppositionsführerin kritisiert „Geheimdienstoperation“
„Es ist absolut offensichtlich, dass dies eine Geheimdienstoperation zur Flugzeugentführung war, um den Aktivisten und Blogger Roman Protassewitsch zu verhaften“, kritisierte die im Exil lebende weißrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Ab dem heutigen Tag sei klar, dass sich niemand, der über Weißrussland fliegt, in Sicherheit wiegen könne, sagte sie.

Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja (Bild: APA/AFP/John Thys)
Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja

Oppositionspolitiker Pawel Latuschko ergänzte, dass dem Blogger in seiner Heimat die Todesstrafe drohe. Er forderte eine sofortige internationale Aufklärung des Zwischenfalls und eine Untersuchung, ob der internationale zivile Flugverkehr über Belarus einstweilen eingestellt werden soll.

Telegram-Kanal als extremistisch eingestuft
Die Behörden in Weißrussland hatten „NEXTA“ als extremistisch eingestuft. Der Kanal hatte im vergangenen Jahr nach der umstrittenen Präsidentenwahl immer wieder zu Massenprotesten gegen Lukaschenko aufgerufen. Der russische Geheimdienst KGB hatte Protassewitsch sogar auf eine Liste mit Menschen gesetzt, denen die Beteiligung an terroristischen Handlungen vorgeworfen werde, wie das Portal tut.by bei Telegram berichtete.

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