Wie konnte so etwas passieren? Nach dem schrecklichen Seilbahn-Unglück am Lago Maggiore in Italien (siehe Video oben) glühen auch zwischen den heimischen Branchenvertretern die Telefone. Für Christian Felder, oberster Techniker im Fachverband, ist der Riss eines ständig überprüften Zugseils plus Versagen der Notbremse „unbegreiflich“.
In die Freude, dass die heimischen Seilbahnen bald in eine hoffnungsvolle Sommersaison starten können, platzte die Schreckensnachricht aus dem südlichen Nachbarland. „Unter den Kollegen wurde trotz Pfingstwochenende heftig diskutiert, vor allem die möglichen technischen Hintergründe“, sagte Felder zur „Krone“. Der Tiroler Ingenieur ist Vorsitzender des Bundestechnikerkomitees im Fachverband der österreichischen Seilbahnen.
Nach Zugseil-Riss versagte Notbremse
Der Experte geht laut den übereinstimmenden ersten Ermittlungen von einem Riss des Zugseils aus. „Eigentlich ein unverwüstliches Bauteil, das noch dazu ständig überprüft wird.“ Auch ein Experte aus Salzburg meinte nach dem Unglück, er kenne keinen Fall, in dem das Seil gerissen sei.
Die ganze Seilbahnbranche fragt sich, wie es zu diesem Unglück kam. Zugseil-Riss und Versagen der Notbremsen sind unbegreiflich.
Christian Felder, oberster Techniker im Fachverband
Ein weiteres Rätsel für Felder: Nach dem Zugseil-Riss hätte eine Notbremse verhindern sollen, dass die Kabine unkontrolliert talwärts schlittert und entgleist, wie es leider passierte. „Die Bremse macht automatisch zu, in diesem Fall offenbar nicht“, sinniert Felder. Dieses doppelte Versagen müsse penibel aufgearbeitet werden. Das habe höchste Bedeutung für die gesamte Seilbahnbranche.
Seitens der Seilbahnfirma Leitner aus Sterzing (Südtirol) zeigte man sich „tief betroffen“. Auf „Krone“-Anfrage wollte sich Firmen-Präsident Anton Seeber aber nicht an Spekulationen zur Unglücksursache beteiligen. Er verwies auf die Geschichte der Bahn und sehr umfangreiche Sicherheitsbestimmungen.
Generalüberholung durch Seilbahnfirma
„Die Anlage nahm 1970 ihren Betrieb auf und wurde von Leitner in den Jahren 2014 bis 2016 elektrotechnisch und maschinell einer Generalüberholung unterzogen“, teilte Seeber mit. Sämtliche sicherheitsrelevanten Anlagenteile und Einrichtungen würden vor Inbetriebnahme detailliert getestet und ein strenges Prüfprozedere durchgeführt. Basis dafür seien nationale Gesetze und europäische Richtlinien.
Wir arbeiten mit allen Behörden und Ermittlern intensiv zusammen, um die Gründe für die Katastrophe lückenlos aufzuklären.
Anton Seeber, Präsident der Südtiroler Leitner Gruppe
Ein besonderes Augenmerk gilt nun natürlich den Seilen. „Alle Seile werden regelmäßig und häufig Sichtkontrollen unterzogen. Die Unversehrtheit des gesamten Seils, auch des Inneren, muss sichergestellt werden. Gemäß strengen Wartungsplänen werden die Seile daher auch magnetinduktiv untersucht“, sagt Seeber. Für Laien: Bei dieser Technik erfolgt eine „Durchleuchtung“ mit einem Magnetfeld, um auch den inneren Seilzustand zu ermitteln. Das Ergebnis der Prüfung wird in Italien schließlich vom „Ustif“ (Nationale Behörde für fixgeklemmte Seilbahnen) bestätigt.
Wichtig ist jetzt, dass wir unseren Gästen Sicherheit und Stabilität bieten. Unsere Seilbahn durchläuft zweimal pro Jahr Revisionsarbeiten.
Bernhard Scharfegger, Betreiber der Rax-Seilbahn in NÖ
„Seilbahnen sicherstes Verkehrsmittel“
Trotz dieses und anderer Unglücke in der Vergangenheit sind Seilbahnen laut Statistik das sicherste Verkehrsmittel. „Bei rund 3000 Bahnen in Österreich und etwa 600 Millionen Fahrgästen liegt die Zahl der Vorfälle im einstelligen Bereich“, verweist Felder. Das Risiko, tödlich zu verunfallen, ist rund zehnmal kleiner als im Auto.
Bei der wohl schlimmsten heimischen Katastrophe am 11. November 2000 verloren beim Brand der bergauf fahrenden Kaprun-Gletscherbahn 155 Skiurlauber ihr Leben. Die Menschen starben vor allem durch Rauchgasvergiftung.
Zuvor - am 3. Februar 1998 - war es im italienischen Cavalese zur Tragödie gekommen, weil ein US-Kampfjet das Seil der Luftseilbahn durchtrennte. Der Kabinenabsturz forderte 20 Tote.
In Sölden (Tirol) überflog ein Helikopter am 5.9.2005 die Seilbahn, als sich wegen Materialfehler ein 750 Kilogramm schwerer Betonkübel löste und die Gondel traf. Drei Erwachsene und sechs Kinder weilen nicht mehr unter uns.
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