Sichtlich gezeichnet
Minsk: Verhafteter Journalist „gesteht“ in Video
Der nach der Zwangslandung eines Flugzeugs in Minsk verhaftete Journalist Roman Protassewitsch ist in einem Video zu sehen, das seit Montagabend von Weißrussland über soziale Netzwerke verbreitet wird. Es soll Protassewitsch nach seiner Verhaftung zeigen, in dem Video „gesteht“ der sichtlich gezeichnete oppositionelle Blogger, er habe bei der „Organisation von Massenunruhen in Minsk“ mitgewirkt, und er behauptet, die Behörden würden ihn „maximal korrekt“ behandeln. Die Glaubwürdigkeit des Videos wird allerdings bereits heftigst angezweifelt.
Protassewitsch erklärte in dem Video, dass es ihm gut gehe und er sich im Untersuchungsgefängnis Nr. 1 in Minsk befinde. „Ich bin dabei, weiter mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren, und liefere ein Geständnis in Bezug auf die Organisation von Massenunruhen in Minsk“, sagte er in dem Mitschnitt. Er könne sagen, dass er keine Probleme mit seiner Gesundheit habe und sich die Mitarbeiter der Behörden ihm gegenüber „maximal korrekt“ und gesetzeskonform verhalten würden, erklärte Protassewitsch.
Unabhängige Bestätigungen für die Authentizität des 30-Sekunden-Videos lagen zunächst nicht vor. Vertreter der weißrussischen Opposition erachteten es für echt - doch wirkt der Text einstudiert, der 26-Jährige verängstigt und gezeichnet. User auf Twitter meinen, in seinem Gesicht Spuren von Misshandlung zu erkennen. Seit dem vergangenen Sommer haben weißrussische Strafverfolgungsbehörden wiederholt Videos mit politischen Gegnern veröffentlicht, die in Haft vor laufenden Kameras sich selbst bezichtigten, Verbrechen begangen zu haben.
Boeing von Kampfjet nach Minsk eskortiert
Die Boeing der Fluglinie Ryanair war am Sonntag von den Behörden zur Landung auf dem Flughafen Minsk gezwungen worden. Nach Einschätzung eines Experten hatten die Piloten keine Wahl. „Wenn der Ryanair-Flug nach Minsk beordert wird, muss er dort landen“, sagte der Flugsicherheitsberater John Cox am Montag. Im Falle einer mutmaßlichen Bombengefahr an Bord würden sich die Piloten an die Anweisungen halten.
Du diskutierst nicht mit einer MIG-29.
Flugsicherheitsberater John Cox über die Zwangslandung
Sie würden auch davon ausgehen, dass ein begleitender Militärjet gute Absichten habe. Die Piloten der Passagiermaschinen seien für solche Fälle geschult und es gebe international vereinbarte Signale zur Verständigung. „Es ist ihr Luftraum“, sagte ein anderer von Reuters zu dem Vorfall befragter Pilot mit Blick darauf, dass der Ryanair-Flug zum Zeitpunkt der Anweisung über Belarus flog. „Und Sie beginnen keine Diskussion mit einer MiG-29.“
Behörden bestätigen U-Haft
Augenzeugen zufolge soll Protassewitsch an Bord der Ryanair-Maschine von Flug FR4978 in Panik geraten sein, als ihm klar geworden sei, dass das Flugzeug seinetwegen umgeleitet und zur Landung gezwungen wurde. Kurze Zeit später wurden der Exil-Blogger und seine Freundin verhaftet. Am Montagabend bestätigten die Behörden schließlich die Festnahme von Protassewitsch. Er sei in Untersuchungshaft genommen worden, teilte das Innenministerium im Nachrichtenkanal Telegram mit. Zugleich wies das Innenministerium Berichte in sozialen Netzwerken zurück, wonach der Journalist im Spital liege. Zuvor hatte es fast 24 Stunden lang kein Lebenszeichen von Protassewitsch gegeben.
EU friert Milliardeninvestitionen ein
Die Europäische Union legt als Reaktion auf die erzwungene Landung eines Ryanair-Flugs in Weißrussland Investitionen im Volumen von rund drei Milliarden Euro an das Land auf Eis. Das Geld werde so lange nicht fließen, bis Weißrussland wieder einen demokratischen Kurs einschlage, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montagabend in Brüssel. Außerdem müsse Protassewitsch wieder freigelassen werden.
Sperrung von Luftraum über EU-Gebiet
Am späten Montagabend gab schließlich der Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel nach Beratungen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel bekannt, dass weißrussische Fluggesellschaften künftig nicht mehr den Luftraum der EU nutzen dürfen und auch nicht mehr auf Flughäfen in der EU starten und landen dürfen. Zudem soll es zusätzliche gezielte Wirtschaftssanktionen und eine Ausweitung der Liste mit Personen und Unternehmen geben, gegen die Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gelten. Fluggesellschaften mit Sitz in der EU werden darüber hinaus aufgefordert, den Luftraum über Weißrussland zu meiden.
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