Im Windschatten von Corona und ÖVP-Justizproblemen muss Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) heuer so gut wie alle Öko-Großprojekte ins Ziel bringen. Auf einer 28-stündigen Zugfahrt zeigt die grüne Quereinsteigerin, wie professionell sie sich dabei anstellt.
Wer glaubt, die Inszenierungskünstler dieser Bundesregierung tragen allesamt Türkis, der war am Montagabend nicht auf Bahnsteig sechs des Wiener Hauptbahnhofs. Begleitet von Fotografen und Fernsehkameras, schritt Umweltministerin Leonore Gewessler den „Nightjet 490“ nach Amsterdam ab, lehnte sich - stets gut im Bild - zum Lokführer für eine kurze Plauderei oder knapp vor der Abfahrt zum Winken aus dem Abteil; dazwischen gab sie geschwind eine Pressekonferenz mit dem ÖBB-Boss, auf den die lange vor Gewesslers Amtszeit auf Schiene gebrachte Verbindung eigentlich zurückgeht.
Die Botschaft ihrer Teilnahme an der Jungfernfahrt des Nachtzugs nach Amsterdam ist unmissverständlich: Die grüne Ministerin reist klimafreundlich ins fast 1200 Kilometer entfernte Öko-Eldorado, um dort mit der Umweltstaatssekretärin durch die Stadt zu radeln und nach 28 Stunden Fahrt mit Visionen einer grüneren Zukunft nach Wien zurückzukehren. PR-mäßig kommt der Kurztrip selbst in den Niederlanden gut an, Gewessler wird auch vom holländischen TV interviewt, kurz bricht danach sogar die dortige Nachtzug-Anmeldeplattform wegen Überlastung zusammen.
Ministerin soll Mega-Reformen auf den Boden bringen
Allein: Derart im Rampenlicht steht die Ministerin, die im vor Corona geschriebenen Regierungsdrehbuch eigentlich anstelle der Gesundheitsminister die grüne Hauptrolle hätte einnehmen sollen, sehr selten. Und das ist, Corona hin oder her, schon erstaunlich. Denn in den kommenden Monaten soll Gewessler Mega-Reformen auf den Boden bringen, die grosso modo das Herzstück - und damit die Legitimation - der grünen Regierungsbeteiligung sind. Da wäre etwa das Klimaschutzgesetz: In den nächsten Wochen soll die rechtliche Grundlage dafür gezimmert werden, dass Österreich bis 2040 klimaneutral ist.
Vom via „Krone“ publik gewordenen Steuererhöhungs-Automatismus, der dabei einmal vorgesehen war, scheint man zwar abzuweichen - von fixen Maßnahmen bei Verfehlungen der gesetzlichen Klimaziele aber nicht: „Wir brauchen Verbindlichkeit“, sagt Gewessler. „Denn wir hatten in den letzten Jahren zwar ein Klimaschutzgesetz - wenn man die Ziele aber verfehlt hat, herrschte Schulterzucken. Das kann nicht sein.“ Gewessler: „Wir haben nicht mehr viel Zeit“ Abgesehen vom ebenfalls kurz vor dem Abschluss stehenden Gesetz für die Energiewende bis 2030 soll dann im Herbst das 1-2-3-Klimaticket fertig sein. „Das kommt heuer, fix“, sagt Gewessler. „Und damit werden sich viele Menschen mehr Geld sparen als durch die durchschnittlichen Steuerreformen der letzten Jahre.“
Apropos: Die große Öko-Steuerreform mitsamt CO2-Bepreisung soll ab Jänner 2022 gelten. Glaubt man Insidern, dürfte sie nach der Oberösterreich-Wahl Ende September präsentiert werden, um vor allem der ÖVP den dortigen Wahlkampf nicht zu verhageln.
Gewessler wähnt sich für all das in einem „historischen Zeitfenster“, wie sie sagt: Nachdem Österreich „30 Jahre lang im Klimaschutz auf der Stelle getreten ist“, müsse man die „historische Aufgabe“ der Klimawende jetzt, im Windschatten des deutschen Höchstgerichtsurteils für mehr Umweltschutz und weltweiter „Dynamik“ auf dem Sektor starten. „Wir haben nicht mehr viel Zeit, 2040 ist einmal Umfallen.“
Quereinsteigerin agiert wie ein alter Polit-Profi
Startschwierigkeiten hatte die Quereinsteigerin bei all dem offenbar nie; sie selbst sagt, dass sie am neuen Job „nichts überrascht“ habe. Parteipolitische Umfärbungen in Gewesslers Riesenressort verlaufen geräuschlos, obwohl der Koalitionspartner meist außen vor gelassen wird. Bei Verhandlungen gilt sie als stur, Konflikte auf offener Bühne vermeidet sie aber meist - und wenn, dann geht die Ministerin nach einem Regieplan vor, wie man das eher von Türkis gewohnt ist: Als sie etwa mit Finanzminister Gernot Blümel um die Notvergabe auf der Weststrecke stritt, richtete ihm die gelernte Umweltaktivistin in einem auf dem Bahnhof aufgenommenen Internetvideo ihre Sichtweise aus.
Die gut vernetzte Grüne arbeitet selbst für eine Ministerin viel, das zeigte sie auch beim Amsterdam-Kurztrip: Nach 23 Uhr gab die Grüne noch Interviews im „Salonwagen“ des Nachtzugs, um Mitternacht saß sie im Mini-Abteil mit ihrem Laptop, um sich selbst um politisch eher Nachrangiges, wie ein Kinderzeitungsinterview, zu kümmern. Man könne im Nachtzug aber ohnehin nicht nur gut schlafen, sagt sie, sondern auch gut arbeiten. Dienstwagen hat Gewessler keinen, ins Büro fährt sie öffentlich oder mit dem Rad - und zu Auslandsterminen reist sie stets mit dem Zug, so auch kommende Woche nach Luxemburg.
Hie und da aber kann selbst die auch symbolpolitisch so versierte Grüne nicht anders: Als sie am Mittwoch nach 14-stündiger Fahrt um 9.19 Uhr wieder in Wien aus dem Nachtzug eilte, musste sich Gewessler mit dem Taxi zum Ministerrat kutschieren lassen. Der Grund, auch hier: „Wir sind schon sehr spät dran.“
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