Viele wussten davon
Unglücksseilbahn: Seit Wochen technische Probleme
Die Ermittlungen rund um das Seilbahnunglück am italienischen Lago Maggiore mit 14 Toten ziehen weitere Kreise. Nachdem am Mittwoch der Eigentümer der Seilbahn-Gesellschaft, der Direktor und der Cheftechniker festgenommen worden war und die Männer Manipulationen zum Teil gestanden hatten (siehe auch Video oben), werden die Ermittlungen nun auf weitere Mitarbeiter ausgedehnt. Laut dem bisherigen Erkenntnisstand hatte die Seilbahn bereits seit eineinhalb Monaten technische Probleme, von denen viele Mitarbeiter der Gesellschaft informiert waren.
Der Seilbahn-Einsatzleiter, der in der Nacht auf Mittwoch mit dem Direktor und dem Eigentümer der Seilbahnanlage festgenommen worden war, gestand, dass die Notbremse absichtlich ausgeschaltet worden sei. „Es gab eine Störung an der Seilbahn, das Beförderungsteam hat das Problem nicht oder nur teilweise gelöst.“ Damit keine weiteren Störungen ausgelöst werden, entschied man sich, eine sogenannte Gabel, die verhindert, dass die Notbremse in Kraft tritt, an Ort und Stelle zu lassen, berichtete Albert Cicognani, der Carabinieri-Offizier, der die Ermittlungen führte.
Dadurch war aber auch die Notbremse außer Kraft gesetzt - das Todesurteil für 14 der 15 Passagiere der schließlich abgestürzten Gondel der Seilbahn auf den Monte Mottarone am Lago Maggiore. Denn als das Zugseil riss - womit die Betreiber der Seilbahn nach eigenen Angaben niemals gerechnet hätten -, raste die Kabine, wie ein Überwachungsvideo zeigt, etwa 400 Meter talwärts. Dort wirkte ein Stützpfeiler wie eine Rampe, die Gondel wurde durch die Luft geschleudert und rutschte am Boden dann noch etwa 300 Meter ein Waldstück hinunter, bevor sie an einem Baum hängen blieb. Nur ein fünfjähriger Bub überlebte das Unglück.
Seilbahn-Direktor „wusste nichts von Manipulationen“
Der festgenommene Direktor der Seilbahn-Betreibergesellschaft Ferrovie del Mottarone bestreitet die Vorwürfe der Staatsanwälte. Er dementierte, über die absichtliche Abschaltung eines Sicherheitssystems informiert gewesen zu sein, die das Unglück mit 14 Todesopfern verursacht haben soll. Der Direktor sei „ein äußerst gewissenhafter Ingenieur“, betonte sein Anwalt. Sein Mandant habe die verschiedenen Eingriffe der vergangenen Monate rekonstruiert und könne sich den Seilriss nicht erklären, auch weil alle Prüfberichte immer positiv ausgefallen seien. Das Abschalten der Notbremse sei bei besonderen Eingriffen vorgesehen, aber natürlich nie bei einem Personenbetrieb.
Gabel am Sonntag „sicherlich nicht“ zum ersten Mal im Einsatz
Die ermittelnde Staatsanwältin Olimpia Bossi betonte, es habe sich um eine „absolut absichtliche“ Entscheidung gehandelt, um den Betrieb der Seilbahn aufrechtzuerhalten. Die Gabel zum Außerkraftsetzen der Notbremse sei am Sonntag sicherlich nicht zum ersten Mal eingesetzt worden. Die Seilbahn hatte demnach schon seit eineinhalb Monaten Probleme. Die Staatsanwaltschaft sprach von „unbedachtem Verhalten“ der Angeklagten, für die es zu schweren Strafen kommen müsse. Bossi erklärte, die drei Verdächtigten seien wegen konkreter Fluchtgefahr festgenommen worden.
Für Wartung verantwortliche Firma Leitner will klagen
Die für die Wartungsarbeiten zuständige Südtiroler Firma Leitner AG will sich nun als Nebenklägerin gegen die Betriebsleitung und die Eigentümer einlassen. „Die Verwendung der sogenannten Klammer zur mechanischen Verriegelung der Tragseilbremsen ist ausschließlich bei Wartungsarbeiten erlaubt und bei Personentransporten sowie im Normalbetrieb ausdrücklich verboten“, sagte Vorstandsvorsitzender Anton Seeber am Donnerstag. Die „Manipulation der Sicherheitssysteme“ sei eine „schwerwiegende Straftat“. Etwaige Schadensersatzansprüche wolle das Unternehmen an die Familien der Opfer weitergeben.
Laut Leitner zeige eine Dokumentation über die Instandhaltungsarbeiten an der Seilbahn Stresa-Mottarone, dass die Arbeiten „stets mit Sorgfalt und mit Bedacht auf die Sicherheit“ sowie „zeitnah“ ausgeführt wurden. Am 30. April habe eine von Leitner beauftragte spezialisierte Firma eine Überprüfung der Fahrzeugbremsen durchgeführt, deren Ergebnis am 3. Mai an Leitner übermittelt worden war. „Diese Überprüfung ergab keine Auffälligkeiten. Im Zuge dessen wurden auch die Druckspeicher der Tragseilbremsen aufgeladen“, hieß es. Es habe seither keine weitere Anfrage von der Seilbahn gegeben, es wurden auch „keine weiteren Probleme mit dem Bremssystem bekannt gemacht“. Leitner wolle jedenfalls mit den Behörden zusammenarbeiten, um den genauen Unfallhergang aufzuklären.
Angehörige des Buben bereits beigesetzt
Inzwischen besserte sich der Zustand des einzigen Überlebenden, eines fünfjährigen Buben, der mit mehreren Frakturen im Kinderkrankenhaus in Turin liegt. Der Israeli, der bei dem Unglück seine Eltern, seinen zweijährigen Bruder und zwei Urgroßeltern verlor, komme schrittweise zu sich und sei nicht mehr intubiert, teilte Klinik-Chef Giovanni La Valle am Donnerstag mit. Die Leichen der verstorbenen Angehörigen des Buben wurden am Mittwoch zum Mailänder Flughafen gebracht, um nach Israel überführt zu werden. Dort wurden am Donnerstag die Eltern des Buben beigesetzt.
Hunderte Menschen beteiligten sich in Aviel, einer Gemeinde unweit von Zikhron Yaacov im Norden Israels, an der Trauerzeremonie für Amit und Tal Biran und ihren zweijährigen Sohn Tom. Beim Unglück starben auch die Großeltern mütterlicher Seite der 27-jährigen Tal Biran. Sie und ihr Mann Amit lebten seit einigen Jahren in der lombardischen Stadt Pavia, in der am Freitag ein Trauertag geplant ist. An der Trauerzeremonie in Israel beteiligte sich auch der italienische Botschafter in Israel, Gianluigi Benedetti. Er bezeichnete die Beerdigung als „bewegend“.
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