Der Abriss des Leiner-Gebäudes für Rene Benkos KaDeWe in der Wiener Mariahilfer Straße sorgt - wie berichtet - weiter für Unmut. Kritik übt im „Krone“-Interview nun auch Kunsthistoriker Andreas Nierhaus, der unter anderem als Kurator im Wien Museum tätig ist. Sein Befund: Das letzte Warenhaus der Gründerzeit musste einem Allerweltsbau weichen.
„Krone“: Sie haben den Abriss des Leiner heftig kritisiert. Warum hätte das Haus erhalten werden sollen?
Andreas Nierhaus: Es war das letzte erhaltene Warenhaus der Gründerzeit in Wien, der Lichthof mit dem eisernen Stiegenhaus war in Wien einzigartig.
Viele historische Gebäude befinden sich in Schutzzonen, trotzdem kommt es immer wieder zu Abrissen. Sind die Behörden zu nachgiebig gegenüber Finanzjongleuren?
Das Schutzzonenmodell der Stadt Wien beschränkt sich in der Regel auf die Fassade. Im Fall des Leiner-Hauses hätte man auch die original erhaltene Konstruktion und auch das Stiegenhaus berücksichtigen müssen. Auch das ist gewissermaßen ein ,öffentlicher‘ Ort. Es braucht in Wien definitiv ein Umdenken, was den Umgang mit historischer Bausubstanz betrifft, auch in Hinblick auf Nachhaltigkeit und Ökologie.
Droht durch diese Vorgangsweise nicht die schrittweise Zerstörung des historischen Stadtbildes?
Es ist erschreckend zu beobachten, wie schnell viele Straßen, vor allem in Bezirken außerhalb des Gürtels, ihr Gesicht in den letzten Jahren weit gehend verloren haben. Schuld sind massive Abbrüche und unproportionale Dachausbauten. Das Problem ist: Was nachkommt, ist vielleicht neu, aber meist architektonisch schlechter als das, was vorher dort stand.
Was müsste passieren, damit der Denkmalschutz in Wien nicht mehr zahnlos ist?
Was ich in Wien vermisse, ist ein ehrliches Bekenntnis zum Erhalt des baulichen Erbes der Stadt, das heute durch den steigenden wirtschaftlichen Druck so bedroht ist, wie nie zuvor. Oft hat man den Eindruck, die vielen Altbauten sind den Stadtplanern nur ein Ärgernis. Im Bundesdenkmalamt wiederum sind fachlich hochqualifizierte Personen tätig - sie sollten in der Öffentlichkeit als mutige Anwälte der Denkmäler wahrgenommen werden. Den Rückhalt in der Bevölkerung hätten sie jedenfalls.
Wie beurteilen Sie den Neubau, der anstelle des Leiner hinkommt?
Der Entwurf ist eine Enttäuschung und hat mit der Wiener Architekturtradition, auf die sich die Planer und Eigentümer lautstark berufen, nichts zu tun. Der Bau könnte genauso gut in München oder Dortmund stehen.
In das Wiener Stadtbild passt das neue Gebäude demnach aber nicht?
Die globalisierte Architektur der Gegenwart stellt ganz bewusst keinen Bezug zur lokalen Tradition mehr her, insofern entspricht der Entwurf dem aktuellen Trend. Doch Wien ist eine Stadt mit einer ausgeprägten architektonischen Kultur, die von Fischer von Erlach über Otto Wagner, Adolf Loos und Josef Frank bis Hermann Czech reicht - da schmerzt ein Allerweltsbau an so prominenter Stelle natürlich umso mehr.
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