Was mit einer Neuaufnahme des 2001er-Tophits „Daylight In Your Eyes“ begann, wuchs sich zu einem handfesten Comeback inklusive des neuen Albums „20“ aus. Die Casting-Girlband-Sensation No Angels zelebriert sein 20-Jahre-Jubiläum würdig - und blickt im Interview mit der „Krone“ zurück und nach vorne.
Die Überraschung war mehr als groß und die Sensation gelungen. Als die No Angels im Winter dieses Jahres ankündigten, nicht nur ihren Megahit „Daylight In Your Eyes“ zum 20-jährigen Jubiläum neu einzuspielen, sondern auch ein ganzes Studioalbum zu planen, wurde das Rauschen im Blätterwald lauter. Was sich für junge Leute in der Gegenwart fraglos übertrieben anhört, war vor mehr als zwei Dekaden aber die vielleicht größte Pop-Sensation, die der deutschsprachige Raum bis dahin kannte. Nadja Benaissa, Lucy Diakovska, Sandy Mölling, Jessica Wahls und anfangs auch noch Vanessa Petruo wurden 2000 im Zuge der ersten Staffel von „Popstars“ formiert und schossen als „deutsche Spice Girls“ wie ein Wirbelwind durch die Erfolgsdecke. Die Single „Daylight In Your Eyes“ setzte sich im gesamten deutschsprachigen Raum an die Spitze der Single-Charts, ebenso das folgende Album „Elle’ments“. Der mit Rhythm & Blues, Latin-Sounds und etwas Dance vermischte Kommerzpop bescherte der Band mehr als fünf Millionen verkaufte Tonträger. Dazu zierte niemand so oft das Cover der „Bravo“, prägte die Band die Modetrends der 00er-Jahre und gilt als Inspiration für Stefanie Heinzmann, Sarah Lombardi oder Mousse T.
Nicht zu fassen
„Über Nacht so berühmt zu werden war nicht immer einfach“, erinnert sich Sandy Mölling aus ihrem Haus in Los Angeles beim Zoom-Talk mit der „Krone“ zurück, „als wir damals in München wohnten fuhren wir abends immer zu einer bestimmten Tankstelle, um einzukaufen. Als dann die finale Show von ,Popstars‘ vorbei war, änderte sich einfach alles. Wir mussten ins Auto springen und abhauen, weil so viel los war. Für uns, die wir am Ende unserer Teenie-Zeit bzw. am Anfang unserer 20er waren, war das extrem. Wir konnten es damals nicht genug sacken lassen, aber heute weiß ich zu schätzen, wie schön die Zeit war.“ Die uns aus Berlin zugeschaltete Jessica Wahls erinnert sich ebenfalls. „Einmal fuhren wir im Van durch einen Vergnügungspark, der viele Bodenwellen hatte. Aber die Fans, und da vor allem die Mütter und nicht die Kids selbst, beutelten so stark am Wagen, dass wir dachten, wir hätten Leute überfahren. Wir konnten gar nicht fassen, was da alles passierte.“ Heute ist die Lage natürlich entspannt und die Staffelübergabe des Kreisch-Hypes erfolgt. „Die Leute fragen freundlich nach einem Foto, aber das Kreischen in den Ohren ist vorbei.“
Für die No Angels ist es strenggenommen schon das zweite Comeback, denn nach dem abrupten und etwas ruckartigen Ende 2003 versuchte sich die Band in dezimierter Besetzung auch von 2007 bis 2014 neu zu präsentieren. Musikalisch schloss die Band nahtlos an die erste Erfolgsphase an, doch kommerziell konnte man nicht mehr an die Millenniumstriumphe anschließen. Dazwischen gab es unter anderem einen semierfolgreichen Auftritt für Deutschland beim Eurovision Song Contest und den gerichtlich und vor allem medial öffentlich ausgetragenen Skandal um Nadja, die wissentlich HIV-infiziert ungeschützten Sex mit verschiedenen Partnern praktizierte und dafür eine zweijährige Bewährungsstrafe bekam und 300 Arbeitsstunden in einer AIDS-Einrichtung absolvieren musste. Auch diese harsche Zeit und diverse persönliche Animositäten haben die No Angels mittlerweile überstanden, wiewohl die Zeit abseits der Band allen gut tat. Die eine musste wieder auf die Beine kommen, anderen gründeten Familien oder wechselten ins Musical- bzw. Schauspielfach. Die Jubiläumsrückkehr verdankt man der neuen Plattenfirma BMG, die sich die Masterrechte an den Songs sicherte und sie dem Streamingzielpublikum näherbrachte. Danach ging es Schlag auf Schlag.
Die Rufe gehört
Auch wenn Petruo ihre 2014 bekräftige Entscheidung, nicht mehr im Rampenlicht stehen zu wollen, durchzog, war für die restliche Truppe klar, dass es ansonsten nur zu viert gehen würde. „Die Rückkehr ergab sich aus mehreren Ecken“, erinnert sich Wahls, „zuerst haben wir Mädels untereinander gequatscht, dann bekam BMG die Rechte für die Songs und auf der anderen Seite haben unser alter Produzent Christian Geller und sein Kreativteam ein Wahnsinnskonzept auf den Tisch gelegt. Die Puzzleteile ergaben dann fast magisch einen Sinn.“ Mölling stellt vor allem den Wert der Fans in den Mittelpunkt. „Eingeleitet wurde alles von den Fans. Wir alle haben auf ihre Rufe gehört, anstatt groß zu planen und Jahre an Entwicklung reinzustecken. Das ist ein ungewöhnlicher, aber umso schönerer Zugang. In Zeiten wie diesen brauchen die Menschen mehr denn je positive Nachrichten und schwelgen gerne in Erinnerungen. Wir sind uns sehr bewusst, dass wir uns in einer privilegierten Situation befinden und sind dafür sehr dankbar.“ Dass nach der neu eingesungenen Kultsingle aber doch auch ein Jubiläumsalbum folgen sollte, wurde eher spontan entschieden. Zwischen Februar und April wurde es innerhalb von drei Wochen in Gellers Studio in Andernach eingespielt und in Los Angeles und Bulgarien aufgenommen. „Dort kostet alles nur 150 Euro“, lacht Mölling, „aber durch Corona konnten wir das Album nur aus der Ferne einspielen. Es war schon etwas anders als früher.“
Auf „20“ finden sich nicht nur neu eingespielte und eingesungene Klassiker aus der alten Band-Ära, sondern auch vier brandneue Songs, die nun als Brückenschlag zur Gegenwart und Zukunft dienen. „Es war schön, ein paar neue Nummern aufzunehmen, weil wir selbst im Hier und Jetzt sein wollten“, erklärt Wahls, „die Fans haben zudem nach neuen Songs gefragt und die wollten wir ihnen geben. Nostalgie ist etwas Schönes, aber für uns und die Fans sind neue Songs auch spannend.“ Ob dieses Album nun der Startschuss für eine dritte große Ära wäre, lassen die beiden schmunzelnd im Ungewissen. „Das Album per se hat nichts mit einer Planung für die nächsten Jahre zu tun. Wir wollten ein neues Album machen, die alten Songs selbst wieder fühlen und neu einspielen und unsere Klassiker im neuen Soundgewand zeigen.“ Auch wenn es mit einer großen Tour bislang noch nichts wurde, sind die No Angels aber gekommen, um zu bleiben. „Wir wollen das Jubiläum nicht nur über Zoom, sondern auch mit unseren Fans feiern, das direkte Feedback von vor der Bühne kriegen. Planen ist momentan schwierig, aber wir gehen bald wieder jedem auf den Wecker, um möglichst viele Auftritte zu haben.“
Liebe als Botschaft
Die Prioritäten haben sich über die Jahre freilich verändert und die Familien stehen bei den einzelnen Bandmitgliedern an erster Stelle. „All das ist natürlich mit viel Planung verbunden und es war von Anfang an klar, dass ich nach LA zurückgehe“, erzählt Mölling, „im Sommer bin ich aber ohnehin meist für drei oder vier Monate in Deutschland, da haben die Kids frei. Und die Kinder von Jessica und Nadja sind schon erwachsen. Wenn man alles gut organisiert und plant und die Familie mitspielt, dann lässt sich viel einrichten. Wenn ich etwas tue, was ich liebe und worin ich aufgehe, tut das auch meiner Familie gut. Da drei von vier bei uns mittlerweile Muttis sind, achten wir aber sehr auf die Rahmenbedingungen. Jede soll und muss sagen, wenn sie Zeit braucht.“ Doch auch wenn der Kreischalarm 2021 vielleicht nicht mehr so ausgeprägt ist, die Liebe zu den Fans ist beständig hoch. „Wir und unsere Fans dürfen jetzt wieder in Erinnerungen schwelgen und in diesen Erinnerungen ist die Liebe ein wichtiger Teil“, so Wahls, „früher war uns das gar nicht so bewusst, aber wir sind bunt, wir sind offen, wir stehen für “one love„ und dass sich jeder lieb hat.“ Fehlt eben nur mehr die große Tour…
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