Vor 60 Jahren

Die Nacht, als Südtirols Strommasten knickten

Tirol
11.06.2021 15:00

Zum 60. Mal jährt sich die „Feuernacht“, jene Aktion vom 11. auf 12. Juni, die die Loslösung Südtirols von Italien einleiten sollte. Daraus wurde nichts, gekommen ist die Autonomie.

Heute, Freitag, vor genau 60 Jahren waren einige „mutige“ Männer in Südtirol ziemlich nervös. Kein Wunder, planten sie doch etwas Außergewöhnliches, nämlich die Sprengung von insgesamt 37 Strommasten. Die Männer gehörten dem Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) an, dessen Gründungsvater Sepp Kerschbaumer war – ein Gemischtwarenhändler aus Frangart. Das erklärte Ziel des BAS war die Wiedervereinigung Südtirols mit dem Vaterland Österreich durch Selbstbestimmung. Ausdrücklich sollten bei den Anschlägen keine Menschen getötet werden. Dieses Ziel wurde verfehlt, indem der Straßenarbeiter Giovanni Postal eine nicht explodierte Bombe fand und getötet wurde.

Die Einvernahme von Sepp Kerschbaumer. (Bild: zVg)
Die Einvernahme von Sepp Kerschbaumer.

Enttäuschung über Plan von Gruber & Degasperi
Das Thema „Feuernacht“ ist keinesfalls mehr ein Tabu, aber eine Angelegenheit, die mit Samthandschuhen angefasst werden muss. Einige bezeichnen die „mutigen“ Südtiroler von damals als Freiheitskämpfer, andere als Patrioten, als Aktivisten oder gar als Terroristen.

Was waren die Auslöser für diese „Feuernacht“? Die Südtiroler hofften nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf die Wiedervereinigung Tirols. Mehr als 155.000 Unterschriften wurden gesammelt, über die Grenze geschmuggelt und Bundeskanzler Leopold Figl im April 1946 überreicht. Der Pariser Vertrag, nach den unterzeichnenden Außenministern Österreichs und Italiens auch Gruber-Degasperi-Abkommen genannt, stellte dann die große Enttäuschung dar. Das nur 33 Zeilen umfassende Papier repräsentierte das Gegenteil einer Wende. Der Wunschtraum Wiedervereinigung war geplatzt.

Aufgebrachte italienische Soldaten studieren Pläne und besprechen nach der „Feuernacht“, wie man weiter vorgeht. (Bild: zVg)
Aufgebrachte italienische Soldaten studieren Pläne und besprechen nach der „Feuernacht“, wie man weiter vorgeht.

Der Unmut wurde immer größer, da entgegen aller Vereinbarungen die deutsche Sprache weiterhin der italienischen untergeordnet wurde bzw. bei der Vergabe öffentlicher Stellen italienische Bewerber bevorzugt wurden. Die ersten Anschläge der BAS gab es 1956 (auf eine Kaserne in Bozen sowie eine Bahnoberleitung). Weitere Anschläge und auch erste Verhaftungen folgten. Von der Nordtiroler BAS-Fraktion wurden Sprengstoff und Waffen nach Südtirol gebracht, auch finanzielle Unterstützung gab es aus Österreich. Nach dem Scheitern der Südtirol-Verhandlungen zwischen Österreich und Italien in Klagenfurt am 25. Mai 1961 wurde vom Nordtiroler BAS der Zeitpunkt für die schon länger geplante Sprengung der Strommasten festgelegt. Die Nacht vom 11. auf 12. Juni sollte für weltweites Aufsehen sorgen. 37 Hochspannungsmasten wurden gesprengt (19 im Raum Bozen). Die wichtige Stromlieferung zu den oberitalienischen Industrien und zur Bozner Industriezone wurde erfolgreich lahmgelegt.

Imageschaden für Österreich und Südtirol
Nach diesen Anschlägen meinte die politische Führungsriege in Österreich und in Südtirol in einer streng geheimen Südtirol-Sitzung in Innsbruck, der Terror habe dem österreichischen Image und der Südtirolfrage Schaden zugefügt. 1962 sprach man in Nordtirol von terroristischen Aktivitäten.

Südtirol glich im Jahr 1964 an vielen Orten einem Heerlager. Die Nervosität und Angst vor weiteren Anschlägen war groß. (Bild: zVg)
Südtirol glich im Jahr 1964 an vielen Orten einem Heerlager. Die Nervosität und Angst vor weiteren Anschlägen war groß.

Ziel der BAS war nicht Südtiroler Autonomie
Das mediale Echo nach den Anschlägen war keinesfalls das erhoffte, sondern ein geringes. Die wenigen Artikel fernab Südtirols und Österreichs hatten kaum Auswirkungen auf die politischen Entscheidungsträger. Sie ließen die UNO relativ kalt. Der US-amerikanische UN-Botschafter Stevenson sagte, dass „die Südtiroler Anschläge weder in den USA noch bei den Vereinten Nationen Eindruck gemacht hätten“. Der globale Druck blieb nach den Bomben aus.

Siegfried Carli, einer der BAS-Männer, gab zu Protokoll, „dass man es verhackt habe“. So sehen sich manche Aktivisten jener Zeit als große Verlierer, denn eines steht fest: Die BAS-Leute wollten keine Autonomie, sondern die Selbstbestimmung und damit einhergehend den Wiederanschluss Südtirols an Österreich. Die Autonomie war nicht ihr Ziel. Sie haben ihre Ideale und ihre Überzeugung häufig mit Folter, mit mehrjährigen Freiheitsstrafen, Aberkennung bürgerlicher Rechte und teils mit ihrem eigenen Leben bezahlt.

Italien nach Bomben am Verhandlungstisch 
Fest steht aber auch, dass Italien wachgerüttelt und an den Verhandlungstisch „gebombt“ worden ist. Josef Fontana, damals BAS-Mitglied, schrieb, dass es ohne „Feuernacht“ keine „19er-Kommission“ und auch kein „Paket“ gegeben hätte. Fritz Molden, einer der Drahtzieher und finanziellen Unterstützer des BAS in Nordtirol und Österreich, sagte einmal: „Südtirol gehört nicht mehr zu Österreich, aber es hat eine Autonomie, mit der es leben kann. Das wäre ohne die ,Bumser‘ – grob gesprochen – nicht passiert.“

Historisch gesehen ist der wahre Sieg Österreich zuzuschreiben, der durch den Gang vor die Vereinten Nationen die Internationalisierung einer „nationalen Problematik“ aus dem Boden gestampft hat. Südtirol steht aktuell gut da: Die Autonomie hat für Wohlstand, aber auch für etwas Lethargie gesorgt.

C. Meinert und A. Raffeiner, Kronen Zeitung

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