Vor gut einem Jahr entging die große Marianne Faithfull nur sehr knapp dem Corona-Tod, nun steht ihr 22. und wohl letztes Studioalbum „She Walks In Beauty“ in den Läden. Darauf rezitiert sie ihre elf Lieblingsgedichter britischer Romantik-Poeten, während Nick-Cave-Intimus Warren Ellis den Sound dazuarrangierte. Im Interview blickte die 74-Jährige mit uns noch einmal auf die schwierige Arbeitsweise und ihr einzigartiges Leben zurück.
Der Terminus „Legende“ kommt im Einklang mit Marianne Faithfull fast noch zu kurz. Als Sängerin von Hits wie „As Tears Go By“ oder „Sister Morphine“ kam sie mit Aufkommen der sogenannten „British Invasion“ in den 60er-Jahren ebenso zu Weltruhm wie durch ihre rasante Beziehung mit Rolling-Stones-Kopf Mick Jagger, ihre jahrelange Heroinabhängigkeit und ihre fruchtbaren künstlerischen Zusammenarbeiten mit so unterschiedlichen Kalibern wie Nick Cave, Pulps Jarvis Cocker oder Beck. Ein buntes Leben, gestählt von grenzenlosem Hedonismus und animiert von der seinerzeitigen Leichtigkeit des Seins im Rock’n’Roll-Business. Doch hinter der exzentrischen Fassade Faithfulls verbarg sich schon immer eine feinsinnige Liebe zur großen Kunst und gediegenen Literatur. Die britischen Romantik-Poeten des 19. Jahrhunderts haben ihr Weltbild geprägt und ihre künstlerische Auffassung mitunter definiert.
Liebe zur Poesie
Lord Byron, John Keats, Thomas Hood oder William Wordsworth - sie alle und noch ein paar andere hat sie für ihr 22. und gesundheitsbedingt wohl letztes Album, „She Walks In Beauty“, unter schwierigsten Umständen vertont. Die Poesie mit der Musik zu verbinden und damit den beiden wichtigsten Stützpfeilern ihres Lebens gleichermaßen gerecht zu werden war einer der größten Wünsche der „Grande Dame“. „Ich bin 2019 von Paris zurück nach London gezogen, um meinem Sohn Nicholas und den Enkeln näher zu sein“, erzählt sie uns mit gebrochener Stimme im Interview, „ich konnte nicht alle Bücher nach England siedeln und musste sie genau durchforsten. Da stieß ich wieder auf diese großen Poeten und wusste sofort, welche ich vertonen möchte.“ Noch bevor sie als 16-Jährige nach London zog, wurde sie in ihrer Schule in Reading von einer besonders motivierten Lehrerin namens Mrs. Simpson für die Dichtkunst inspiriert. „Die Liebe dazu begann schon mit zwölf Jahren, aber ich hielt diese Leidenschaft lange für mich im Privaten.“
Wer genau aufpasst und den Weg von Marianne Faithfull noch einmal nachzeichnet, findet freilich schon in der Vergangenheit Anleihen an die Poesie - auch wenn das Entertainment-Rampenlicht diese Leidenschaft so gut es ging in den Schatten drängte. 1979 veröffentlichte sie auf ihrem Album „Broken English“ Heathcote Williams‘ Gedicht „Why D’Ya Do It?“, auf „A Secret Life“ (1995) Gedichte ihres Freundes Frank McGuinness und auf „Seven Deadly Sins“ (1998) Werke von Kurt Weill und Bertolt Brecht. Dazu kamen Shakespeare-Sonetten-Touren mit Cellist Vincent Ségal und unlängst Lesungen von Colerdiges‘ „The Rime Of The Ancient Mariner“. Im Prinzip ist „She Walks In Beauty“ also so etwas wie die Quadratur des Kreises und ein Projekt, das nur mithilfe wichtiger Freunde und Weggefährten umgesetzt werden konnte. Manager Francois Ravard brachte alles ins Rollen und Nick-Cave-Intimus Warren Ellis, mit dem Faithfull schon länger in inniger Freundschaft verbunden ist, schaufelte für dieses edle Vorhaben seinen knallvollen Terminkalender frei, um in Mariannes Londoner Heimat am Werk zu arbeiten.
Schwerer Rückschlag
Dass „She Walks In Beauty“, diese fein ziselierte Platte voller Melancholie, getragen von Faithfulls kratziger, aber ungemein emotionaler Stimme, überhaupt zu hören ist, war lange nicht selbstverständlich. Während der Aufnahmen infizierte sich die Sängerin im April 2020 mit Corona und wurde 22 Tage lang stationär behandelt. Sie rang intensiv mit ihrem Leben und obwohl sie den Kampf für sich entscheiden konnte, haben ihre Stimme und ihre Gedächtnisfähigkeit Schrammen davongetragen. „Meine Lungen waren zwischenzeitlich so schwer mitgenommen, dass es kurzzeitig wenig Hoffnung gab“, resümiert sie ganz ohne Trauer, „derzeit versucht man mir gerade die richtige Art von Sauerstoff zu geben. Die Menschen in meinem Umkreis achten wirklich sehr auf mich und ich bin ihnen unheimlich dankbar.“
Als ob das eigene Schicksal nicht hart genug wäre, verlor sie letzten Frühling zudem noch ihren langjährigen Weggefährten und Produzenten Hal Willner an das Virus. „Sein Tod hat mich am Allerhärtesten getroffen. Innerhalb von nur zwei Tagen war alles vorbei und ich war völlig geknickt. Noch heute habe ich Tage, wo ich nicht wirklich weiß, wie ich ohne Hal auf diesem Planeten existieren kann. Ich hätte ihn für dieses Album so dringend gebraucht, aber er war leider nicht mehr da.“ Die durchdringende Melancholie auf „She Walks In Beauty“ speist sich freilich nicht aus den Covid-Schicksalsschlägen, sondern ist der düsterromantischen Thematik an sich geschuldet. Faithfull hat ihre elf absoluten Favoriten vertont, etwas weniger als die Hälfte davon konnte erst nach ihrer tragischen Erkrankung fertiggestellt werden. „Wir haben in einem freien Zimmer bei mir zuhause ein Home-Studio eingerichtet und ich habe die Gedichte eingelesen. Das ging sehr schnell. Am Ende hatten wir aber Glück, dass wir das Projekt überhaupt beenden konnten.“
Die Hoffnung bleibt
An Singen wie früher ist nach Covid-19 nicht zu denken, doch die 74-jährige Kämpfernatur denkt nicht daran, sich ihrem Schicksal zu ergeben. „Ich übe mit einem guten Freund regelmäßig das Singen und wir versuchen, meine Stimme wieder halbwegs hinzukriegen. Da meine Lungen so schwer beschädigt sind, ist das natürlich extrem schwierig. Ich kann mir nur schwer vorstellen die Kraft zu haben, wieder auf die Bühne zu gehen, aber ich versuche für mich Songs zu singen, um meine Stimme so gut wie möglich zu stärken.“ Die Musik hat Warren Ellis derweil in seinem Pariser Studio komponiert - mit möglichst vielen Freiheiten, die dafür verantwortlich sind, dass „She Walks In Beauty“ so ausgereift und aus einem Guss gegossen klingt. Kaliber wie Nick Cave, Cellist Ségal oder Brian Eno haben ihrerseits Soundtexturen und Instrumentalparts beigestellt.
Die besondere Magie entfacht das Album dadurch, dass Faithfull die Texte nicht bloß rezitiert, sondern glaubhaft und leidenschaftlich lebt. Zu den besonderen Highlights gehören die Umsetzungen der beiden Keats-Gedichte „Ode To A Nightingale“ und „Ode To Autumn“ und das nebelig vorgetragene „The Bridge Of Sighs“ von Thomas Hood. „Ich bin eine große Melancholikerin und schäme mich überhaupt nicht dafür“, erklärt sie ihren besonders intensiven Zugang zu den einzelnen Poesiekapiteln. Nur beim Albumtitel war sie lange unsicher. „Ich wusste, dass die Leute es als Selbstbeschreibung interpretieren würden, aber ,She Walks In Beauty‘ dreht sich nicht um mich. Ich wollte das Album ursprünglich ,So We‘ll Go No More A Roving‘ nach Lord Byron nennen, aber ich habe dann doch den Ratschlag eines sehr guten Freundes angenommen und bin damit nun sehr zufrieden.“
Der Wahrheit ins Auge sehen
Eine beeindruckende künstlerische Karriere neigt sich leidvoll dem Ende zu, doch Faithfull blickt im Großen und Ganzen zufrieden auf ihr bisheriges Leben zurück. „Ich hätte mich sicher besser um die finanziellen Dinge kümmern müssen. Ich konnte nie gut mit Geld umgehen und das hat mein Leben oft unnötig erschwert.“ Ihre mitunter größte Leidenschaft, das Performen auf der Bühne vor einem Publikum, dürfte Faithfull nach dem jetzigen Stand nicht mehr erfüllt werden. „Ich war jetzt gut eineinhalb Jahre auf keiner Bühne mehr, habe Atemprobleme und keine gute Stimme. Ich sehe der Wahrheit ins Auge, dass ich ziemlich sicher nie mehr auf Tour gehen kann. Aber wenn es noch irgendwie bergauf gehen sollte, dann hoffe ich auf den einen oder anderen Auftritt. Ich liebe das Performen über alles.“
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.