Von Tim Berners-Lee

Sotheby‘s versteigert WWW-Quellcode als NFT

Web
16.06.2021 10:28

Das US-Auktionshaus Sotheby‘s will den Quellcode für das World Wide Web versteigern. Bei dem ersten digitalen Artefakt, das jemals von Sotheby‘s versteigert wird, handle es sich um die Originaldateien von Sir Tim Berners-Lee von 1989 mit entsprechendem Zeitstempel und Unterschrift, wie Sotheby‘s am Dienstag mitteilte. Die Auktion finde vom 23. bis 30. Juni statt und starte bei einem Mindestgebot von 1000 Dollar (rund 825 Euro).

Als Tim Berners-Lee am 12. März 1989 sein Thesenpapier „Informationsmanagement: Ein Vorschlag“ vorlegte, konnte er nicht ahnen, dass sein Entwurf später mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg verglichen werden sollte. Der britische Informatiker arbeitete damals am CERN, der Großforschungseinrichtung für Teilchenphysik in Genf. Um das Informationschaos an dem Institut zumindest in Grenzen zu halten, wollte Berners-Lee ein umfassendes Informationsnetz einrichten.

(Bild: sothebys.com)

Doch seine Vorgesetzten konnten sich zunächst nicht für die Ideen des jungen Briten begeistern. „Vage, aber hochinteressant“, schrieb sein Chef Mike Sendall auf das Papier, das heute im CERN in einer Glasvitrine quasi als die Geburtsurkunde des World Wide Web ausgestellt wird. Es sollte noch etliche Jahre dauern, bis sich Berners-Lees Thesen weltweit durchsetzten.

Tim Berners-Lee (Bild: CERN)
Tim Berners-Lee

Viel Überzeugungsarbeit
Der damals 33 Jahre alte Brite war 1984 in die Schweiz gekommen, um neue Methoden für die Aufzeichnung und Verarbeitung eines neuen Elektronenbeschleunigers zu entwickeln. An dem Institut waren die unterschiedlichsten Computertypen und Dokumentenformate im Einsatz. Mit einem 1988 konzipierten Hypertext-System sollten die Forscher weltweit auf die Ergebnisse ihrer Kollegen zugreifen können.

Doch ohne einen ordentlichen Projektantrag wurden ihm keine Ressourcen für die Ausarbeitung dieses Konzeptes zur Verfügung gestellt. So formulierte Berners-Lee im März 1989 sein Papier, das jedoch mit dem eigentlichen Forschungsauftrag des CERN, der Teilchenphysik, nichts zu tun hatte. „Es gab kein Forum, von dem ich eine Antwort erwarten konnte. Nichts geschah“, erinnert sich der Informatiker 1999 in seinem Buch „Der Web-Report“.

In mühsamer Kleinarbeit versuchte er dann mit seinem Kollegen Robert Cailliau, die Forscher am CERN und Informatiker in aller Welt in persönlichen Gesprächen und langen E-Mails von dem Web-Konzept zu überzeugen.

(Bild: CERN)

Drei wichtige Grundsteine
Der Entwurf für das World Wide Web (WWW) enthielt drei Kernpunkte: Zum einen entwickelte Berners-Lee die „Hypertext Markup Language“ (HTML), die beschreibt, wie Seiten mit Hypertextverknüpfungen („Links“) auf unterschiedlichsten Rechnerplattformen formatiert werden. Mit dem „Hypertext Transfer Protocol“ (HTTP) definierte er die Sprache, die Computer benützen würden, um über das Internet zu kommunizieren. Außerdem legte er mit dem „Universal Resource Identifier“ (URI) das Schema fest, nach dem Dokumentenadressen erstellt und aufgefunden werden können.

Um seine Lobbyarbeit voranzutreiben, richtete Berners-Lee am Weihnachtsabend 1990 auf seinem NeXT-Rechner den Webserver info.cern.ch ein.

„Technischer Meilenstein“
„Das war ein technischer Meilenstein“, sagt Informatiker Werner Zorn, der als Gründungsvater des deutschen Internets gilt und 1984 an der Universität Karlsruhe das erste deutsche E-Mail empfing. „Die Idee dahinter war die Verbindung von Apples Hypertext mit der Internet-Technologie auf der Netzebene“, erklärt er. Denn das Internet, also die Netzwerk-Infrastruktur, gab es schon einige Jahre. Nach dem E-Mail wurde nun mit dem World Wide Web ein weiterer Dienst geschaffen, der das Internet quasi zum Leben erweckte.

Für die meisten PC-Nutzer war das Web aber damals unerreichbar. Es fehlten benutzerfreundliche Browser für Personal Computer. Zudem bewegten sich die Netzanwender damals häufig in abgeschotteten Online-Diensten wie CompuServe, AOL oder Btx.

Bewusst auf Patentierung verzichtet
Im April 1993 legte das CERN dann mit einem wichtigen formalen Akt das Fundament für den Erfolg der von TimBerners-Lee entwickelten Ideen. Das Institut gab das Web für die Öffentlichkeit frei und verzichtete bewusst auf Lizenzzahlungen oder eine Patentierung. „Die freie Verfügbarkeit war natürlich der Erfolgsfaktor schlechthin“, sagt Internet-Pionier Zorn.

(Bild: thinkstockphotos.de, krone.at-Grafik)

Siegeszug durch Browser
Der Siegeszug des WWW Mitte der 90er-Jahre fand dann aber außerhalb des CERN statt. Die wichtigste Internet-Gemeinde in den USA stieg mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit auf den WWW-Zug auf. Der Student Marc Andreessen entwickelte an der University of Illinois den ersten Mosaic-Browser und machte sich später mit Netscape daran, seine Software zur führenden Online-Plattform zu machen. Microsoft-Gründer Bill Gates erkannte 1994 den Trend, rief zur Verfolgungsjagd auf Netscape auf und zettelte den „Browser-Krieg“ an.

Tim Berners-Lee ging 1994 in die USA, um am Massachusetts Institute of Technology das World Wide Web Consortium (W3C) zu gründen. In diesem Gremium werden unter seiner Leitung bis heute die technischen Entwicklungen des Web standardisiert. Für seine Verdienste wurde der Brite von Königin Elisabeth II. in den Ritterstand erhoben und erhielt den Orden „Knight Commander of the Order of the British Empire“. 1997 wurde er in den auf nur 24 Personen begrenzten „Order of Merit“ aufgenommen.

Sotheby‘s versteigert den Quellcode nun als sogenanntes NFT (non-fungible token). Das ist eine Art digitales Echtheitszertifikat: Es kann zwar beliebig viele identische Kopien des Gegenstands geben, aber nur diese eine kann als das Original gelten. NFT erleben gerade einen Boom: So wurde vor Kurzem eine damit verknüpfte Kopie einer Collage des Digitalkünstlers Beeple für gut 69,3 Millionen Dollar versteigert.

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