Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Fall der Tötung eines achtjährigen Buben durch seinen Vater vor neun Jahren in einer Schule in St. Pölten entschieden. Den österreichischen Behörden sei kein Versäumnis hinsichtlich der Verpflichtungen aus Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Leben) nachzuweisen, lautete gemäß einer Mitteilung des Bundesverbandes der Gewaltschutzzentren das Urteil.
Der Bub war am 25. Mai 2012 von seinem Vater aus dem Unterricht geholt und in der Garderobe in den Kopf geschossen worden. Der Beschuldigte verübte kurz nach der Bluttat Selbstmord. Der Achtjährige erlag zwei Tage später seinen schweren Verletzungen.
Die Causa wurde von der Mutter des Kindes an den EGMR in Straßburg herangetragen. Dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Verweis der Rechtssache an die Große Kammer wurde stattgegeben. „Eine Premiere“, so der Bundesverband der Gewaltschutzzentren, der laut der Aussendung auch eine Stellungnahme als Drittpartei abgab, „wurde doch bis dahin kein Fall häuslicher Gewalt gegen Österreich vor der Großen Kammer verhandelt“.
„Kein Versäumnis der Behörden“
Aufgrund der Corona-Pandemie fand die Verhandlung vor der Großen Kammer des EGMR im Juni 2020 per Videokonferenz statt. Am Dienstag erging das Urteil. Darin stellte die Große Kammer des EGMR laut dem Bundesverband der Gewaltschutzzentren mit zehn zu sieben Stimmen fest, „dass dem Staat Österreich keine Verletzung im Sinn des Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorzuwerfen ist“.
„Der Gerichtshof kam zu der Ansicht, dass die Behörden eine eigenständige, proaktive und umfassende Risikobewertung hinsichtlich der möglichen Ausübung von Gewalt vorgenommen hatten, aufgrund derer ein polizeiliches Betretungsverbot für die Wohnung erlassen worden war. Deshalb wurde diesbezüglich auch kein Versäumnis der österreichischen Behörden gesehen“, so die Gewaltschutzzentren, die betonten, dass sie „anderer Ansicht“ seien.
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