Asylrecht ist hochkomplex. Akteure orten seit Jahren eine Verschärfungsspirale. Dass eine einzige Stelle für Asyl- und Bleiberecht zuständig ist, muss nicht die beste Lösung sein.
Ist es der Mensch, der zu wenig zählt? Im Gespräch mit Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich anlässlich des Weltflüchtlingstages am Sonntag könnte einen dieses Gefühl beschleichen.
Verfahren schwierig zu durchschauen
„Die Gesetze im Asylverfahren sind kompliziert“, so der Experte, „seit über 30 Jahren erleben wir eine Verschärfungsspirale.“ Prozessuale Schwierigkeiten, an Schikanen grenzend, sorgten dafür, dass die Verfahren selbst für Experten schwierig zu durchschauen seien. Einen Grund sieht die Organisation darin, dass für Asyl- und Bleiberecht die gleiche Behörde zuständig ist. „Obwohl es Sinn machen kann, dass beides gemeinsam geprüft wird“, sagt Gahleitner-Gertz. Aber das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sei „nicht die geeignete Stelle“.
Abschiebung erst mit Rückkehrentscheidung
Bei einem Asylantrag wird geprüft, ob der Person eine Verfolgung im Herkunftsland etwa aufgrund ihrer politischen oder religiösen Einstellung droht. Und ob die Lage dort eine Rückkehr überhaupt möglich macht. Wird der Asyl-Antrag abgewiesen, kann nicht gleich abgeschoben werden. Es braucht eine Rückkehrentscheidung. „Dazu muss die Behörde ein weiteres Menschenrecht prüfen: das Recht auf Privat- und Familienleben“, so der Experte. Konkret: die Integration.
Interesse der Person muss überwiegen
Erst wenn auch diese Prüfung negativ ausfällt, kann eine Abschiebung zulässig sein. Viele Faktoren spielen hier mit. Kurz gesagt muss entschieden werden, ob „das Interesse der Person auf Privat- und Familienleben überwiegt oder das Interesse der Republik Österreich an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremden- und Asylwesen“. Und das prüfe mit dem BFA genau jene Stelle, von der in der Öffentlichkeit immer mehr und schnellere Abschiebungen gefordert würden.
Gesetzliche Leitplanken „wünschenswert“
„Ein Interessenskonflikt der Behörde, für gründliche Prüfungen ist da oft kein Platz.“ Klare gesetzliche Leitplanken für die Behörden seien wünschenswert, eine Gesetzesänderung ist für Gahleitner-Gertz aber nicht zwingend nötig: „Wir müssen uns einfach die Praxis der Behörden und Gerichte anschauen, die immer restriktiver werden. Hier ist das Augenmaß verloren gegangen.“ In den letzten Jahren habe man quasi automatisiert Gesetze verschärft, wenn etwas nicht funktioniert habe: „Und plötzlich werden dann Kinder abgeschoben, die ihr Leben lang hier gelebt haben.“
Experte fordert Legalisierungsinitiative
Generell sollte mehr auf Kinderrechte geachtet werden. Ein Ansatz könnte sein, die Entscheidungen den regional verankerten Akteuren, etwa Bezirkshauptmannschaften, zu überantworten: Damit Integration dort beurteilt werde, wo sie auch passiert. Die Anzahl von Menschen ohne Aufenthaltstitel in Österreich wächst, auch wegen eingeschränkter Abschiebungen während der Corona-Krise. Hier plädiert Gahleitner-Gertz für eine politische Lösung in Form einer Legalisierungsinitiative, wie es sie z. B. in Italien unter Silvio Berlusconi schon gab.
Laut Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, bfa.gv.at) gab es im Vorjahr 14.192 Asylanträge (2019: 12.886) und insgesamt 14.049 Asylentscheidungen (17 Prozent inhaltlich negativ, 44 Prozent positiv). Offene Verfahren: 5700. Es gab 14.732 Personenkontrollen. 3725-mal wurde Schubhaft verhängt. 7790 Aberkennungsverfahren wurden 2020 eingeleitet (2019: 8609), 2229-mal gab es Aberkennungen - bei 22 Prozent wegen Straffälligkeit. Es gab 8675 Ausreisen (51 Prozent davon freiwillig), 49 Personen wurden nach Afghanistan abgeschoben.
Kronen Zeitung
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