Simmering gegen Kapfenberg. Das ist Brutalität. So sagte es der Kabarettist Helmut Qualtinger. Er meinte ein Fußballspiel. Verfolgt man 2021 die österreichische Innenpolitik, ist nicht nur das Kommunikationsmatch der Parteien am Rande der Blutgrätsche. Sondern auch, was die ÖVP in Fernsehen und Zeitungen über die Justiz in Österreich sagt.
1. Die ÖVP greift die Staatsanwaltschaft für Wirtschafts- und Korruptionssachen heftig an. Großteils tut das der davor außerhalb seines Wahlkreises 3C im Mostviertel völlig unbekannte Nationalratsabgeordnete Andreas Hanger. Nach Auffassung von Hanger und früher sogar Bundeskanzler Sebastian Kurz sei besagte Staatsanwaltschaft ein „rotes Netzwerk“ und würde parteipolitisch motiviert handeln.
2. Wenn die ÖVP und Hanger das meinen, na und? Solange es nicht den Tatbestand einer Verleumdung erfüllt, fällt das unter freie Meinungsäußerung. Der transparent zu machende Hintergrund ist, dass seitens der Staatsanwälte gegen Kurz und zahlreiche prominente Politiker der ÖVP strafrechtlich ermittelt wird. Wegen Delikten von Falschaussagen bis zur Korruption. Es gilt die Unschuldsvermutung, welche ehrlich gelebt werden muss und kein Stehsatz sein darf.
3. Der Haken ist, dass Herr Hanger als Person bei medialen Attacken auf Staatsanwälte & Co. nichts zu verlieren hat. Für die unabhängige Justiz sowie die Demokratie haben Vertrauensverluste größere Nachteile. Warum das so ist? Hangers Sessel im Parlament wackelt nicht, sollte er sich unbeliebt machen. Dafür sorgt die ÖVP, wenn sie ihn für die nächsten Wahlen zum Dank für die Kurzverteidigung stets auf einen sicheren Platz ihrer Kandidatenlisten setzt.
4. Wer aber vertritt etwa in Fernsehdiskussionen Staatsanwälte gegenüber Politikern? Klar, es gibt eine Sprecherin der Staatsanwälte und auch eine Präsidentin der Richtervereinigung. Doch beide können zu den Ermittlungen gegen Kurz oder Finanzminister Gernot Blümel mangels Zuständigkeit nichts Konkretes sagen. Die von Hanger namentlich angegriffenen Staatsanwälte müssen sowieso still sein. Widerlegt Staatsanwalt X Aussagen von Politiker Y, in dem er aus dem Ermittlungsakt zitiert, wäre das wirklich ein Bruch des Amtsgeheimnisses.
5. Also hat Alma Zadić, die Justizministerin der Grünen, als Politikern die Staatsanwälte zu verteidigen. Ob das die Qualität unseres Rechtssystems verbessert, ist fraglich. Sobald Politiker öffentlich streiten, bleibt selten etwas auf der ruhigen Sachebene. Vor allem ist unklar, ob die ÖVP mit der Speerspitze Hanger ihre Kommunikationsstrategie endlos fortführen will. Gibt es - was niemand weiß - Anklagen, so wären laufende Angriffe auf das Gericht keine gute Idee.
6. Der korrekte Weg politischen Handelns ist ohnedies nicht das mediale Beschimpfen der Justiz. Es kann jeder Politiker, die sich von der Staatsanwaltschaft ungerecht behandelt fühlt, rechtliche Schritte ergreifen. Durch Sachverhaltsdarstellungen, welche in Anträge oder Anzeigen münden. Handeln Staatsanwälte oder genauso Richter irgendwie befangen, sind sie abzulösen. Kürzlich meinte Ministerin Zadić in einem Interview, sie begrüßt solche Anzeigen der ÖVP zwecks rechtlicher Klärung.
7. Doch hat man sich das alles unter den Regierungsparteien wiederum über die Medien ausgerichtet. Daher wird es so oder so ein Tohowabohu geben. Entweder das Ermittlungsergebnis ist, die ÖVP macht haltlose Unterstellungen gegen die Staatsanwaltschaft. Oder nicht, dann wird Zadic für ihre Justizverteidigung kritisiert. Das bedeutet sowohl neuen Regierungs- und Parteienärger als auch demokratiepolitischen Flurschaden des allgemeinen Vertrauensverlustes.
8. Warum dauernd? Justizverfahren dauern lange. Gut so, denn überlegte Rechtsschritte sollen von höherer Qualität als Ho-Ruck-Aktionen der Politik sein. Daher wissen wir frühestens im Herbst, ob Kurz, Blümel & Co. angeklagt werden. Es ist verständlich, dass Hanger für sie „Litigation-PR“ betreibt - nämlich eine Art Medienarbeit, um die Meinung der Bevölkerung via Medien zu beeinflussen und Rufschädigung zu vermeiden.
9. Sollte es Anklagen geben, dauern Urteile und etwaige Berufungen noch viel länger. Bis dahin sind politische Urteile in der Öffentlichkeit längst gefällt. Das kann gerade bei Politikern das Image ruinieren. Deshalb werden Hanger und Kollegen wohl kaum mit den Justizattacken aufhören. Ein unlösbares Dilemma.
10. Denn das Vertrauen in die unabhängige Justiz ist ein Grundwert der Demokratie. Nach Eurobarometerdaten vertrauen in Österreich bis zu 80 Prozent der Justiz, was uns in EU-ropa zum Spitzenreiter macht. Politische Parteien liegen im Bereich von 20 Prozent. Hanger kämpft also eine Bergaufschlacht. Macht jedoch eine Partei - egal welche, Jörg Haider hat das einstig vorgemacht - ständig die Justiz zum Teil von Schlammschlachten, wird diese ebenfalls schmutzig und wir vertrauen keinem mehr.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.