Reform dringend nötig

Pflege: „In ein paar Jahren haben wir Super-GAU“

Österreich
25.06.2021 17:40

2050 ist jeder Zehnte von uns älter als 80. 2030 - also in knapp zehn Jahren bereits - fehlen uns je nach Schätzung zwischen 75.000 und 100.000 Pflegekräfte. Und der Personalmangel ist bei Weitem nicht die einzige Baustelle im Pflegebereich. Ob wir die Kurve noch kratzen, bespricht krone.tv-Journalistin Damita Pressl diese Woche bei „Moment Mal“ mit Teresa Millner-Kurzbauer, die bei der Volkshilfe den Fachbereich Pflege und Betreuung leitet, sowie mit Markus Golla, der an der Fachhochschule Krems das Institut für Pflegewissenschaft leitet.

„Pflegende Angehörige rufen an und erzählen, dass ihre an Demenz erkrankte Pflegeperson wieder weggelaufen ist und sie überfordert sind. Die Kolleginnen müssen viele Überstunden und zusätzliche Dienste machen“, erzählt Millner-Kurzbauer aus der Praxis. Der Reformbedarf sei spürbar. Dennoch: „Die 100.000 werden wir nicht finden; das muss ich ganz ehrlich sagen“, sagt Golla. Es sei nicht jeder für die Pflege geeignet, und man könne auch niemanden zwangsrekrutieren, da könne der Beruf noch so attraktiv sein. Attraktiver werden müsse er aber jedenfalls, sagt Millner-Kurzbauer, und nennt etwa das Gehalt, das Image und einen einfachen Umstieg in die Pflege als Punkte: „Was uns als Bevölkerung die Pflege wert ist, spiegelt sich im Personal wider.“ Sie habe im Jahr 2000 diplomiert - Personalmangel sei damals schon ein Thema gewesen. „Bis dato hat sich auch nichts geändert. Und in ein paar Jahren haben wir den Super-GAU“, so Millner-Kurzbauer.

Uni-Ausbildung „längst überfällig“
Die Akademisierung des Berufs sieht Golla nicht als Hürde, sondern als „längst überfällig“, auch im internationalen Vergleich. „Wir sind das vorvorletzte Land auf der ganzen Welt, wo Akademisierung Einzug hält.“ Diese würde auch die Pflegestandards verbessern, betont der Institutsleiter. Außerdem sei das Ausbildungssystem durchgängig: „Ich muss ja nicht studieren, ich kann etwa Pflegeassistent werden. Man kann die Schritte auch einzeln machen, da gibt es zig Möglichkeiten.“ Wichtiger sei es, die Ausbildungskosten und die Bezahlung während der Praktika bundesländerübergreifend zu vereinheitlichen.

(Bild: stock.adobe.com)

Auch sonst bereiten die Unterschiede zwischen den Bundesländern in der Branche Kopfschmerzen. „Niemand weiß, wer wofür zuständig ist“, sagt Millner-Kurzbauer, es würden Konzepte durchgewürfelt, die Tarife seien völlig unterschiedlich und es gebe Hick-Hack zwischen den verschiedenen involvierten Stellen. „Es gehört alles vereinheitlicht“, sagt Golla, auch im Interesse der Patienten, „sonst stelle ich mir ja als Betroffener die Frage, bin ich in einem Bundesland weniger wert als im anderen?“

Vorsorge als Schüssel - der aber ignoriert wird
Ein Ansatz, um den Bedarf an Pflegekräften zu reduzieren, sei eine verstärkte Investition in gesundheitliche Vorsorge - also in gesunde Ernährung, in Sport, darin, Menschen zu Vorsorgeuntersuchungen zu bewegen. „Das beginnt schon in der Schule“, so Golla, aber „es wurde nicht darauf geachtet“, zieht Millner-Kurzbauer über die letzten zwei Jahrzehnte Bilanz. Präventive Hausbesuche ab dem 75. Lebensjahr wären etwa ein Konzept, sagt die diplomierte Krankenpflegerin, und auch an weiteren Ideen mangele es nicht: „Es gibt ja schon viele gute Ansätze, aber in den Schubladen.“

(Bild: APA/HELMUT FOHRINGER (Symbolbild))

Dazu käme die Überforderung durch die Pandemie: „Ich kenne genug Kollegen auf Intensivstationen, die jetzt schon kündigen, weil sie sagen, eine nächste Welle machen sie nicht mehr mit“, erzählt Golla. Einen Rückgang sehe er auch in den Aufnahmezahlen bei den Ausbildungen. Aber: „Wenn Pflege so sehr Mangelware ist, kommt irgendwann der Punkt, an dem man die Forderungen nicht mehr überhören kann.“ Er zieht Bilanz: „Der Schaden der Pandemie für das Gesundheitswesen ist höllisch groß“, die Wiedergutmachung werde Jahre dauern. 

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