In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert der Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. Vor ein paar Tagen hat er Bertram Nachbaur besucht.
Früher, also ganz früher, haben die Fraxner ihre Kirschen mit Hornern ins Tal gezogen und auf den Märkten bis nach Bregenz verkauft. „Da gab es ja nur Karrenwege“, erzählt Bertram Nachbaur. „Und so hat es sich herumgesprochen, dass unsere Kirschen die schönsten und besten des Landes sind.“
Ich bin zu Gast beim „Kriasipapscht“, stehe hoch über Fraxern und blicke hinunter ins Rheintal. Eine schwarze Gewitterwolke droht den „Ranklern“ mit einem Platzregen. Das Sonnenlicht bricht in silbrigen Bahnen an den Rändern der Wolke hervor und taucht alles in ein fast apokalyptisches Licht.
„Schon schön hier oben“, sage ich zu Christine, Bertrams Frau, die gerade dabei ist, auf dem Vorplatz Dutzende von Flaschen zu reinigen. Ob sie woanders leben wolle? „Wer hier oben aufgewachsen ist, will nirgendwo anders leben“, antwortet sie fast verständnislos, mustert mich kurz. Aufs Foto wolle sie im Fall nicht, außerdem müsse sie gleich für ihre Buben kochen. Eine Frau mit klaren Vorstellungen und Prinzipien, wie ich feststellen muss.
Die Nachbaur’s sind ein Familienbetrieb. Der Schwiegervater, der früher über zwanzig Milchkühe hatte, ist mittlerweile mitarbeitender Pensionist. 2014 sind die Nachbaur’s auf Mutterkuhhaltung umgestiegen. Die Oma lässt sich hin und wieder blicken und „wündarat“ ein wenig. Alle sind sie geschäftig zugang auf dem „Peter Hof“.
„Kein gutes Kirschenjahr“, sage ich zu Bertram. Der Mann, der vom Typ her leicht als Hochschulprofessor durchgehen könnte, ist eigentlich gelernter KFZ-Mechaniker-Meister. Die Tradition der Kirschbaumveredelung hat er von einem Fraxner Kriasi-Spezialisten gelernt. „Ja, in der Nacht auf Ostermontag kam der Frost, und fast alles ist erfroren. Den Rest machte das schlechte Wetter und als Letztes noch die Vögel.“
Die hohe Kunst der Kirschbaumveredelung
Der Fraxner Kirsch und das Fraxner „Kriasiwasser“ sind eingetragene und geschützte Marken, d. h., die Kirschen müssen aus Fraxern stammen und auch dort verarbeitet werden. „Wir hatten einen Fall, da hat einer Kirschen in Fraxern gekauft, aber nicht hier gebrannt, ergo war es kein Fraxner Kriasiwasser.“ Ich bin im Bilde.
Bertram taut auf und erzählt mir von der hohen Kunst der Kirschbaumveredelung. „Traditionell war es so, dass man im Wald einen jungen, wilden Kirschbaum suchte. Den pflanzte man dort ein, wo er dann später auch Früchte tragen sollte. Hatte er gute Wurzeln, konnte man ihn gleich veredeln, ansonsten ließ man ihn ein Jahr anwachsen. Mitte oder Ende Jänner werden dazu bleistiftdicke Edelreiser vom Baum geschnitten, das sind die einjährigen Triebe. Die sollen bei konstanter Temperatur gelagert werden, nicht zu trocken und nicht zu feucht. Kurz vor oder direkt bei der Kirschblüte pfropft man die Reise an den Ast, indem man an der Unterseite des Edelreisers einen sogenannten Kopulierschnitt durchführt. Mit dem Veredelungsmesser wird dann das Reis zwischen Holz und Rinde eingeschoben. Das Edelreis wird nun auf etwa zwei bis drei Augen zurückgeschnitten. Schließlich wird die Veredelung mit Naturbast verbunden und die Wunde vorsichtig mit Baumwachs verschlossen.“
Traditionell war es so, dass man im Wald einen jungen, wilden Kirschbaum suchte. Den pflanzte man dort ein, wo er dann später auch Früchte tragen sollte. Hatte er gute Wurzeln, konnte man ihn gleich veredeln, ansonsten ließ man ihn ein Jahr anwachsen.
Bertram Nachbaur
Viel Arbeit, jeder Schritt geschieht mit Bedacht
Ob er mir so einen Vorgang veranschaulichen könne, frage ich Bertram. „Dazu ist es zu spät“, antwortet er, aber das Prinzip könne er mir an einem Baum zeigen, der nicht so gesund ist. Wir steigen ins Auto und fahren noch höher hinauf, wo er mich in seinen Kirschbaumhain eintreten lässt. In unzähligen Stunden hat er diese Plantage mit einem Bewässerungssystem ausgestattet, das dann sogar - wenn es denn endlich mit dem Richtfunk klappt - via App bedient werden kann. Langsam geht er an den jungen Bäumen vorbei, betrachtet sie genau und sieht, dass einige vom „Schrotschuss“ befallen sind, einer Pilzerkrankung. Man merkt es Bertram Nachbaur förmlich an, wie er leidet, wenn es „seinen Kindern“ nicht gut geht. Er findet einen Baum und lässt mich, pro forma, am Geheimnis der Veredelung teilhaben. Jeder Handgriff geschieht behutsam, obwohl es nur für mich und den Fotografen geschieht.
Wieder zurück auf dem Hof, betreten wir das „Lädele“, wo er und seine Christine alles feilbieten, was aus Kirschen hergestellt werden kann. „Kriasiwasser“, Dörrkirschen und „Kriasistoaküssele“. Da werden Kindheitserinnerungen in mir wach, wenn mir die Mutter so ein heißes Kissen mit Kirschkernen auf den Bauch gelegt hat, weil ich vorgab, Krämpfe zu haben, in Wahrheit nicht in die Schule wollte. „Ich kaufe so ein Kissen“, sage ich zu Christine, denn meine Buben zeigen seltsamerweise ganz ähnliche Symptome.
Ob beim „Kriasigwinna“ auch die ganze Familie mithelfen müsse, will ich von Bertram wissen. „Als Kind habe ich das gehasst“, antwortet er lachend. „Aber heute habe ich einen ganz anderen Bezug dazu.“
Und ob in Fraxern der Spruch von den Kirschen in Nachbars Garten überhaupt eine Bedeutung habe, frage ich ganz zum Schluss. Er schmunzelt und meint mit einem breiten Grinsen: „Doch, schon. Aber wir haben als Kinder halt gewartet, bis es Nacht wurde.“
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