„Krone“-Interview

At The Gates: „Ich bin misanthropischer Humanist“

Musik
02.07.2021 06:00

Seit gut 30 Jahren gehören die Schweden von At The Gates zur Speerspitze des Melodic Death Metal. Eine längere Pause hat den honorigen Herren gutgetan, denn seit dem Comeback vor etwa zehn Jahren haben die Alben allesamt hohe Qualität und weisen große Experimentierfreude auf. „The Nighmare Of Being“ befasst sich nun mit philosophischem Pessismus und wandelt zwischen Eruptionen und 70er-Prog-Rock. Frontmann und Lehrer Tomas Lindberg erklärt uns ausführlich, warum dem so ist.

(Bild: kmm)

„Krone“: Tomas, ich muss ehrlich zugeben, als ich euer neues Album „The Nightmare Of Being“ das allererste Mal hörte, war ich wenig angetan. Aber je mehr Zeit man sich nimmt und je stärker man sich in dieses musikalisch bunte Werk fallen lässt, umso magischer zieht es einen in seinen Sog…
Tomas Lindberg:
 Ja, das ist eines dieser Alben. Einerseits waren wir von unserem Auftritt beim holländischen „Roadburn“-Festival 2019 inspiriert, andererseits wollten wir aber auch zurück zu den ganz frühen Tagen von At The Gates, als die Band noch überhaupt keine Grenzen kannte. Jetzt sind wir also wieder am Anfang angelangt. (lacht)

Genug Platz für Experimente gab es schon auf eurem Debüt „The Red In The Sky Is Ours“ 1992, auf dem ihr eine Violine eingesetzt habt. Das vergessen viele Fans der späteren Ära von euch oft gerne.
Korrekt und heute haben wir die Möglichkeit, all diese Ideen auf einem ganz anderen Level umzusetzen. Damals war das eher so eine hochnäsige, angeberische Jugendmuskelspielerei. Aber trotzdem hatten wir schon immer Freude am Experimentieren und das blieb uns bis heute erhalten.

Das angesprochene „Roadburn“ hast du 2019 kuratiert. Du bist prinzipiell jemand, der vielen Arten von Kunst und Musik etwas abgewinnen kann, aber hat diese Aufgabe deinen Horizont noch einmal zusätzlich erweitert?
Ich war schon immer neugierig und interessiert an verschiedensten Arten von Musik und alles, was ich dort kuratierte, hatte schon vorher meine Aufmerksamkeit erweckt. Die Kuration war eher eine logistische Herausforderung als eine inhaltliche. Ich musste mich erstmals mit Booking-Agenturen und der ganzen Planung herumschlagen. Die größte Frage war aber, spiele ich dort mit At The Gates oder nicht. Und falls ja, was werden wir machen? Wir haben uns hingesetzt und überlegt, wie wir als Band in dieses Festival passen könnten. Der Auftritt speiste sich dann aus allen Bereichen der Band und zeigte uns in unserer Vollständigkeit. Als wir merkten, dass das bei den Fans gut ankam, dachten wir darüber nach, auch für das nächste Album experimenteller zu werden. Wichtig war immer, die At-The-Gates-Trademarks nicht über Bord zu werfen. Experimentell kann jeder sein, aber es gehört viel dazu, die Identität deiner Band dabei nicht zu vernachlässigen.

Vor allem der 70er-Prog-Anteil ist auf dem neuen Album sehr ausgeprägt. Wo habt ihr euch im Hinblick auf das Experimentieren die Grenzen gesetzt?
Da geht es vor allem um die emotionale Seite. Welche Arten von Emotionen sind in einem „normalen“ At-The-Gates-Song vorhanden? Melancholie und Verzweiflung waren bei uns immer vorhanden und wenn du einen Song wie „Garden Of Cyrus“ hörst, denkst du anfangs vielleicht, wie anders er klingt, aber nach dem zweiten oder dritten Mal erkennst du klar, dass es At The Gates ist. Es geht nicht immer um die richtigen Powerchords oder einen gewissen Slayer-Touch - die Emotionen eines Songs sind es, die die Identität einer Band ausmachen.

„Garden Of Cyrus“ ist euer King-Crimson-Moment samt Saxofon, aber der Prog-Anteil ist auch in einem Song wie „The Fall Into Time“ sehr stark herausgearbeitet. Ist die Liebe zum 70er-Prog bei euch so stark angewachsen?
Die Liebe ist schon seit den ersten Tagen der Band gegeben. Prog war uns gleich wichtig wie Punk, Post-Punk oder Thrash Metal. Die Musikszene in Schweden war und ist klein und jeder, der damals Musik hörte, die nicht gerade in oder kommerziell war, war sofort ein Freund von uns. Wenn Leute King Crimson oder Tangerine Dream hörten, eröffneten sie mir damit auch neue Welten. Als ich 17 war, standen diese Bands schon gleichberechtigt mit Morbid Angel. (lacht) Wichtig war uns nur, nicht zu abgedreht zu klingen.

Diesen Prog-Touch aus deiner Jugend finde ich trotzdem interessant, denn du bist in erster Linie ein waschechtes Punk-Kid, das sich auch im Crustcore wohl fühlt. Prog und Punk gleichermaßen zu mögen war in den späten 80er-Jahren ja fast noch ein mittelschweres Verbrechen…
Ich mag auch ganz sicher nicht jede Art von Prog. Wenn es zu selbstverliebt und angeberisch wird, dann kann ich nicht mehr hinhören. Unser Gitarrist Jonas Stålhammar und Bassist Jonas Björler sind da tiefer drinnen, aber ich bremse sie immer ein. King Crimson hatten immer ein emotionales Statement, eine gewisse Nachvollziehbarkeit in ihren Songs. Das mag ich und konnte ich mir gut für uns vorstellen. Es ging King Crimson nie darum, ihre Fertigkeiten zu zeigen. Das schreckt mich dann eher ab. King Crimson und Goblin kann ich hören, weil sie mir eine Zugänglichkeit ermöglichen, die ich selbst gerne präsentieren würde.

War es eine bewusste Entscheidung, dass die Aggressivität der neuen Songs nicht aus der Geschwindigkeit, sondern aus der Atmosphäre resultieren?
Darüber haben wir viel gesprochen. Wir wollten bewusst ein großes, dunkles und cinematisches Album machen, das dich mehr oder weniger in eine eigene Welt zieht. Diese düstere und lebensverneinende Welt siehst du schon gut an unserem Cover-Artwork und es definiert das Album an sich. Im Gegensatz zu Thrash Metal oder Hardcore-Punk ist der Death Metal für mich keine aggressive Form der Musik. Es geht viel mehr um das Unheilvolle und Mysteriöse - da sind wir wieder bei den Emotionen, die man nicht mit hoher Geschwindigkeit ausdrücken muss. Es geht darum, was du fühlst, wenn du das Album hörst.

Du bist nicht nur Sänger diverser Bands, sondern auch ein Lehrer für Kinder in der neunten Schulstufe. Dementsprechend sind dir Texte und Inhalte seit jeher wichtig. Ist es dir ein Anliegen, den Hörern von At The Gates eine gewisse Art von Bildung mitzugeben?
Nein, erziehen will ich sie nicht. Das wäre doch so, als würde ich mit dem Finger wo draufzeigen und allen auf die Nase drücken, ich hätte recht. Das Einzige was ich beim Älterwerden lernte ist, dass ich bei weitem nicht alles weiß. Das dachte ich als 20-Jähriger, aber da wusste ich gar nichts. (lacht) Es geht darum, Gedanken und Ideen zu porträtieren und den interessierten Hörern, die nicht nur die Musik genießen wollen, etwas mehr mitzugeben. Man kann durch die Texte tiefer gehen und selbst weiterrecherchieren. So wie ich es auch gemacht habe, bevor ich die Texte schrieb. Bei At The Gates gab es immer ein loses Konzept, dass man als Hörer weiterverfolgen kann. Das ist auch mein Anspruch.

Ist es dann nicht enttäuschend, wenn man so viel Zeit und Mühe in die Inhalte steckt und viele Fans einfach nur headbangen und sich von der Musik tragen lassen wollen?
(lacht) Wenn wir es schaffen, in den Leuten die Emotionen zu wecken, dann muss das nicht akademisch sein. Wenn die Leute sich auf meine Texte beziehen und ihre eigenen Erfahrungen und Gedanken damit verknüpfen, ist das natürlich schön. Die Musik wird immer von den Hörern neu erlebt und auch umgeschrieben, das ist doch der Sinn dahinter. Und deshalb will ich auch nicht mit dem Finger auf Themen zeigen, denn dann gebe ich den Menschen nicht mehr die Chance, ihre Version der Geschichte zu interpretieren.

Eine große Inspirationsquelle für dich war Thomas Ligottis Buch „The Conspiracy Against The Human Race“. War das Werk der Grundstein für das Album?
Es war das Tor zum Album. Ich wusste vorher nicht viel über die pessimistische Philosophie oder den kosmischen Horror, die er zum Thema macht. Ich wollte selbst mehr darüber wissen und dieses Buch ist mehr wie ein Essay geschrieben. Er nennt aber auch viele wichtige Philosophen und beruft sich auf sie. Es war für mich dadurch sehr einfach, online zu gehen und von den dort Genannten ein Buch nach dem anderen zu bestellen, um mich weiter in diese Welt zu begeben. (lacht) Ligotti und Eugene Thacker waren die wichtigsten Personen für meinen inhaltlichen Zugang, aber um den modernen Pessimismus besser zu verstehen, bin ich dann bis zu Schopenhauer zurückgegangen.

Eugene Thacker hast du sogar für den Song „Cosmic Pessimism“ gewinnen können. Wie kam es denn dazu?
Thacker wurde oft von Ligotti genannt und ist ein wichtiger Philosoph der Gegenwart. Ich habe drei Bücher von ihm gelesen und stolperte dann über seine Homepage, wo seine Kontaktadresse stand. Ich schrieb ihm einfach, wer ich bin, was wir machen und dass ich gerne von ihm wissen würde, ob ich bei meinem Konzept am richtigen Weg wäre und er vielleicht drüberschauen könnte, ob alles soweit korrekt ist. Er ist ein Professor und hat viel zu tun, aber er antwortete mir, las meine Texte und wir hatten eine Online-Konversation. Ich fragte dann, ob er aktiv am Album mitarbeiten will. Eher im Sinne von zwei Liner-Notes oder so, aber er schlug mir dann „Cosmic Pessimism“ vor und sagte, ich sollte Texte von diesem Buch nehmen. So nahm er dann die Zeilen auf und für mich war es großartig jemanden auf dem Album zu haben, der über das Thema weit mehr Bescheid weiß als ich selbst.

Zeit für Pessimismus war auch im realen Leben genug. Hat die Corona-Pandemie „The Nightmare Of Being“ in gewisser Weise gefärbt?
Nicht emotional, denn die Grundidee für das Album war schon vorher da. Aber wir hatten dadurch deutlich mehr Zeit, den Fokus zu setzen. Neue Arrangements oder Orchestrierungen auszuprobieren und anzuwenden. Das Demo von „Garden Of Cyrus“ hörte sich vielleicht ähnlich an wie das Ergebnis, aber der Song entwickelte sich gewaltig zum Endprodukt. Anstatt in einem beschissenen Jahr nur herumzusitzen und abzuwarten nutzten wir die Zeit, um Gedanken und Ideen zu sammeln und kreativ zu werden. Diese Corona-Bubble, in der wir uns verkrochen haben, war wie ein kreativer Schutzmantel.

Nachdem du für jedes Album von At The Gates immer tief in gewisse Themen eintauchst - bist du dann jedes Mal ein klügerer oder etwas anderer Mensch als zuvor?
Ein bisschen sicher. Ich lerne immer dazu und in vielen Meinungen und Ansichten kann ich mich selbst entdecken. Mir ist aber wichtig, niemals nur einer Philosophie anzuhängen, sondern die Medaille immer von beiden Seiten zu betrachten. Wenn ich etwas lese oder sehe, das mich zu einem besseren Menschen macht oder mich die Welt besser verstehen lässt, ist das doch gut. Das gelingt auch dem Pessimismus. Ich bin kein hundertprozentiger Pessimist, aber manche Gedankenstränge lassen mich reflektieren und mein eigenes Leben bewusster führen.

Welche Ansichten oder Ideen sprechen dich intensiv an?
Der norwegische Philosoph Peter Wessel Zapffe machte sich viele Gedanken über die vielen Verteidigungsmechanismen, die wir Menschen entwickelt haben, um uns von den Gedanken unserer eigenen Sterblichkeit und der Angst vor dem Tod zu lösen. Dinge wie Religion oder Ablenkungen wie die Kunst in all ihren Formen. Um als Menschen zu überleben verhalten wir uns meist sehr unmenschlich. Das schützt uns davor, gefühlt vom Tod aufgefressen zu werden. Schon alleine sich über diese Verteidigungsmechanismen bewusst zu sein, kann dein Leben intensiver gestalten. Du musst Zapffe nicht immer zustimmen, aber seine Ansichten schärfen deine Sinne. Durch diese Sichtweise hatte ich etwa mehr Kontrolle darüber, wie ich die unausweichliche Situation während der Pandemie besser im Griff hatte.

Zu den letzten Monaten passt eigentlich sehr gut euer 2014er-Comebackalbum „At War With Reality“. Es machte ja lange den Anschein, als hätten die Menschen doch viel aus der Pandemie gelernt, aber je weiter wir uns wieder in Richtung alte Normalität bewegen, umso weniger scheint sich in vielen Bereichen wirklich zu verändern. Macht das einen Pessimisten noch pessimistischer?
Vielleicht ein bisschen, aber mich wundert es eigentlich nicht. Ich bin ja kein großer Freund der Menschen, obwohl ich sie vereinzelt toll finde. Ich bezeichne mich selbst scherzhalber immer gerne als „misanthropischen Humanisten“. (lacht) Ich mag Menschen, aber nicht die Menschheit. Wir hatten ein Jahr, wo alles auf Pause gestellt wurde und man die vielleicht einmalige Chance hatte, die kleinen Dinge des Seins verstärkt zu genießen. Die Natur zu schätzen, Zeit mit den Lieben zu verbringen, kreativ zu sein oder zu lesen. Es gab keine offenen Kinos und Shoppingzentren, wo die Leute für gewöhnlich hinlaufen. Die Menschen waren so ausgehungert nach materiellem Besitz, dass sie bei den ersten Öffnungsschritten sofort wieder die Einkaufszentren stürmten, um jeden Blödsinn zu kaufen, den sowieso niemand braucht. (lacht) Ich glaube der Großteil der Menschen hat das Lesen und Spazierengehen schon wieder aufgegeben, viele aber haben sich das wohl auch erhalten und ein verstärktes Bewusstsein für die wesentlichen Dinge im Leben entwickelt. Hoffentlich zumindest.

Wie kann man „The Nightmare Of Being“ als Albumtitel definieren. Ist es für dich manchmal schon ein bloßer Albtraum, Teil dieser Gesellschaft zu sein?
In erster Linie ist es ein Zitat von Ligotti. Er meint, dass die Menschheit der größte Horror überhaupt ist und ein Mensch auf dieser Welt zu sein, sei wie ein Albtraum. Er beruft sich auf die Probleme, die wir jeden Tag auf diesem Planeten verursachen. Man muss kein Pessimist sein, um pessimistische Ansichten zu haben - das ist der Trick dahinter. Es geht einfach darum, sich für gewisse Dinge ein Bewusstsein zu erschaffen und sich Gedanken zu machen. Wenn du den ganzen Tag daran denkst, dass alles besser wird, wenn du nur hart und permanent arbeitest, wirst du dein Leben lang enttäuscht werden. Es wird immer Schmerz und Leid geben. Wir sind fragile Tiere in einer fragilen Welt. Irgendjemand den wir sehr lieben wird Krebs bekommen. Irgendwann brechen wir uns einen Knochen oder verlieren einen Job. Diese Dinge passieren die ganze Zeit. Wenn wir glauben, dass so etwas nie passieren wird, dann wirst du nur enttäuscht. Somit ist ein Grundpessimismus wohl gesünder.

Es geht vor allem darum, die Realität nicht auszublenden, sondern sie zu erfassen und mit ihr so klar zu kommen, wie sie eben ist.
Das geht in die richtige Richtung, ja. Es geht in erster Linie einfach darum, das Leben so intensiv wie möglich zu leben und tatsächlich die kleinen Dinge zu schätzen. Ein Pessimist kann das wahrscheinlich besser als ein Optimist.

Wie wichtig ist es dir, deine Schüler auf deine Recherchen und Gedankengänge aufmerksam zu machen? Sie damit für das zukünftige Leben zu rüsten?
Zu meinem Job gehört es im Prinzip, anwachsende Bürger zu pflegen und auf sie zu achten. (lacht) Ich versuche sie vom Populismus des Alltags wegzuholen. Sie sollen die Fakten genau checken, den schreienden Überschriften nicht vertrauen und genau darauf achten, auf welche Quellen sie sich berufen. Das öffnet dir viele Türen im Kopf. Wichtig ist auch immer, die Dinge von mehreren Seiten zu betrachten und sich nicht immer mit der einen Antwort zufrieden zu geben. Ich hoffe inständig, dass ich dieser Welt bessere und gebildete Bürger zur Verfügung stelle. (lacht)

Gerade in der skandinavischen Metalszene, der du nun seit knapp 40 Jahren angehörst, gibt es auch sehr viele engstirnige, nationalistische und oft sogar faschistische Ansichten. Wie geht ein offener Mensch wie du damit um?
Du kannst dich auf Dauer nicht mit den Leuten umgeben, die quasi auf der anderen Seite des Zauns stehen. Bevor die norwegische Black-Metal-Szene Anfang der 90er explodierte, war die Death-Metal-Szene dem Hardcore-Punk sehr nahe. Die Werte waren die gleichen und der Rechtsextremismus kam erst später. Speziell in den deutschsprachigen Ländern wurde bei euch aber auch viel von diesen Strömungen aussortiert oder indiziert. Ihr habt da immer ein besonders genaues Auge drauf gehabt, was mir persönlich gut gefällt.

„The Nightmare Of Being“ ist nun euer drittes Album seit eurer Rückkehr vor knapp zehn Jahren. Siehst du dich selbst auf den aktuellen Werken selbst besser abgebildet als in der ersten Phase der Band?
Ich denke schon. Für mich ist jedes Album eine riesengroße Herausforderung, aber so soll es auch sein. In unserem Alter, mit all der Zeit und dem Einsatz, die wir in so ein Projekt stecken, muss das Ergebnis auch so gut sein, dass es all die Mühen wert war. Ein Album muss uns wichtig sein und das kommt zum Glück immer gut raus. Uns war die Band immer wichtig, aber früher vielleicht aus anderen Gründen. Heute machen wir kein Album, nur um einfach ein Album zu machen und damit wieder aufzutauchen. Es muss wirklich von vorne bis hinten einen Sinn für uns ergeben.

Ist es heute noch wichtiger als früher, euch selbst zu überraschen und das Projekt At The Gates spannend zu halten?
Das ist verdammt wichtig, denn das treibt uns an. Wenn wir keine Herausforderung hätten, warum sollten wir es dann überhaupt probieren? Wir könnten fünf Alben pro Jahr schreiben, die nach „Slaughter Of The Soul“ klingen, aber macht uns das Spaß? Vor allem jene, die dieses Album so lieben und eine speziell emotionale Verbindung dazu haben, würden uns das als erstes ankreiden, weil sie sich verarscht fühlen würden. Theoretisch wäre ein zweiter Teil von „Slaughter Of The Soul“ sicher toll, aber du kannst dich niemals in einem Wettbewerb mit deiner Vergangenheit und dem damaligen Zeitgeist treten.

Wobei das freilich eine natürliche Sichtweise eines Musikfans ist. Auch du wirst mit Alben von Bands aufgewachsen sein, deren Bedeutung alles danach Kommende für immer überstrahlen wird.
Es gibt viele Bands, bei denen ich theoretisch verstehen kann, dass ihre neuen Alben besser sind, aber rein persönlich werde ich immer auf die Klassiker zurückgreifen. (lacht) Dieser Werke erschienen in entscheidenden Jahren meiner Jugend und daran kann sich bei keinem Menschen je wieder Musik fair messen lassen. Ich tappe ohnehin immer selbst in die gleiche Falle, weshalb ich die Hörer auch gut verstehen kann.

Ist das auch der Grund, warum du Songs von „Slaughter Of The Soul“ noch immer gerne singst? Wenn man sich eure Diskografie so ansieht, ist dieses erfolgreichste und legendärste Album gleichzeitig ja das eindimensionalste und kompositorisch wohl langweiligste.
Wir haben als Band extrem progressiv begonnen, unseren Stil dann immer weiter vereinfacht, bis wir auf diesem Album den Höhepunkt des Vereinfachens erreichten. Wo sollten wir denn nach dem Werk hin? Ich meine, die Songs sind meist nur etwas mehr als zwei Minuten lang. (lacht) Es war fast logisch, danach zu stoppen und die Band auf Eis zu legen. Wir mussten uns darüber klar werden, wo wir nach diesem Werk hinwollen und das hätten wir nicht geschafft, hätten wir uns nicht die Zeit dafür genommen.

Wie hat sich die Beziehung zwischen euch untereinander über die Jahre entwickelt?
Wir sind auch während der Pause immer gute Freunde geblieben, doch als wir überlegten, ob und wie wir mit At The Gates weitermachen sollten, haben wir uns alle zugehört. Als 20-Jährige waren wir in dem Bereich nicht unbedingt gut. (lacht) Wir sind alle groß, bescheidener und diplomatischer geworden. Jeder schätzt das Gute am anderen und wir haben zusammen so viel erlebt, dass wir genau wissen, wie es laufen muss. Das war auch der Grund, warum wir Stålhammar in die Band holten. Er ist nicht nur ein grandioser Musiker, sondern auch aus der gleichen Generation wie wir und wir kennen ihn seit Kindheitstagen. Er hat denselben Background, mag dieselbe Musik. Wir wollen nicht die neuen Kids sein, diesen Anspruch hat diese Band nie verfolgt.

Ist es eigentlich angenehm, im Death-Metal-Sektor älter zu werden? Diese Musik verlangt einem energetisch doch einiges ab.
Dass so viele Bands in dem Sektor mit dem Alter besser werden, liegt sicher an der Erfahrung. Aber es gibt doch so einige Bands, die auch wir noch für alt befinden - auch wenn es vielleicht nur fünf Jahre Unterschied sind. Napalm Death, Immolation oder Cannibal Corpse. Die sind noch immer grandios und solange sie das so gut machen und nicht pathetisch werden, haben wir auch noch fünf Jahre mehr. Ich schiele immer mit einem Auge zu ihnen rüber. (lacht) Ich hoffe zudem sehr, dass wenn es soweit ist, jemand aus meinem Umkreis mir unverblümt sagt, dass es reicht, weil es langsam peinlich würde. Nichts ist schlimmer als das eigene Ablaufdatum zu übersehen.

Napalm Death ist ein gutes Stichwort - du bist seit diesem Jahr auch offiziell wieder zurück im Grindcore-Projekt Lock Up. Was steht denn da alles an?
Das Album ist eigentlich schon fertig, denn in der Pandemie hatten wir natürlich Zeit dafür. Es gibt viele böse Old-School-Death-Metal-Riffs mit Grindcore-Attitüde - es ist ein klassisches Lock-Up-Werk. Wir haben mit Adam Jarvis jetzt einen grandiosen Drummer, aber das Schreiben des Albums war eine völlig neue Erfahrung für uns. Durch Corona haben wir uns nie getroffen und die Files nur hin- und hergeschickt. Kevin Sharp und ich singen beide und mussten aus der Ferne erst einmal sehen, wie wir unsere verschiedenen Stile verknüpfen konnten. Das Album ist jedenfalls sehr intensiv und ich bin schon gespannt, wie die Leute darauf reagieren. Im Herbst sollte es soweit sein.

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