In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert der Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. Vor ein paar Tagen hat er den Sägemeister Hubert Loretz im Montafon besucht.
In Latschau, hoch über Tschagguns, steht das einzige, noch aktiv mit Wasserkraft betriebene Sägewerk Vorarlbergs. Wenn man auf der schmalen Bergstraße zur sogenannten „Mülli Ferdi“ hinfährt, aussteigt und den Rasafeibach donnern hört, wird das Klischee von der Mühle am rauschenden Bach Wirklichkeit. Aber mit diesem Klischee räumt der inzwischen 81-jährige Hubert Loretz sofort auf. Er betreibt die „Saga“ heute nur noch für Wanderer, Interessierte und Schulklassen. „Wir waren bitterarm. Ein paar Kühe, Geißen und das, was das kleine Grundstück eben hergegeben hat.“
Wir waren bitterarm. Ein paar Kühe, Geißen und das, was das kleine Grundstück eben hergegeben hat
Hubert Loretz
Ein bescheidenes Montafonerhaus lehnt wie angeklebt an einer steil aufschießenden, kargen Bergwiese. Hubert und sein jüngerer Bruder Siegfried sind gerade dabei, die grünen, frischgestrichenen Fensterladen an der Frontseite einzuhängen. Huberts Sohn, der einmal später die Säge erhalten und weiterführen soll, hilft ebenfalls mit.
Einst eine gefragte Getreidemühle
In einer Ecke lehnen zwei riesige Mühlsteine, denn ganz früher war die Säge eine Getreidemühle. Von weither brachten die Bauern das Korn zum Mahlen hier herauf, weil sie die Mahlqualität so schätzten. Mit der beginnenden Elektrifizierung waren sie auf die Mühle nicht mehr angewiesen, und so wurde daraus ein Sägewerk mit einem Venezianergatter, einem senkrechten Sägeblatt. „Früher hat man hier den Stromverbrauch - es war noch Gleichstrom - nach der Anzahl der Glühbirnen und Bügeleisen berechnet“, erzählt Hubert.
Er ist ein feiner, sehr stiller, aber unglaublich aufmerksamer Mann. Eine Ruhe und eine gewisse Güte strahlt von ihm aus, die man selten sieht. Dabei hat er als Kriegskind seinen Vater fast nie gesehen und wenn, nur bei den Fronturlauben. Als der Vater dann zurückgekehrt war, kam Siegfried auf die Welt, und alles drehte sich nur um das Neugeborene. „Mi heat d’Ahna ufzoga“, sagt er und fügt gleich hinzu, dass das kein Vorwurf an den Vater sei, sondern es sei halt so gewesen. Dennoch stand Hubert von Kindesbeinen an mit seinem Vater im Sägewerk. Der habe noch mit über neunzig Jahren darin Stämme zu Brettern gesägt.
Ein ausgesprochen gut durchdachtes Konstrukt
Wir gehen zur Säge, die unscheinbar unterhalb der schmalen Straße liegt. Hubert zeigt auf den Fichtenwald, der bis an die Säge herangerückt ist. „Das war einmal alles Bergwiese - ’Mägeri’. Wir haben jedes Tobel, jeden Zipfel mit der Sense gemäht, weil man einfach jeden Schübel Gras gebraucht hat. Heute ist alles zugewachsen. Die Natur hat sich zurückgeholt, was wir früher noch sorgsam ausgeholzt haben.“
Unter dem mit Schindeln gedeckten Dach der wassergetriebenen Säge verbirgt sich ein gut durchdachtes, sehr leistungsfähiges Konstrukt, das die Brüder Loretz über viele Jahrzehnte immer wieder repariert und erneuert haben. Im Untergeschoss dreht sich ein großes, oberschlächtiges Wasserrad aus Holz, das die Transmission antreibt. „Es ist bereits das vierte Wasserrad“, erklärt Hubert. Dankenswerterweise habe ihn Frau Landesrätin Rüscher beim neuen Mühlrad unterstützt. „I ha sie a klä agrährat“, und so sei es zu einer Kooperation zwischen der HTL Bregenz und der HTL Rankweil gekommen. Die Studierenden hätten das Wasserrad konstruiert, welches dann in Sechstel-Teilen hier heraufgeliefert und zusammengebaut worden sei.
Mit großer Ruhe und Geduld erklärt Hubert den gesamten Aufbau des Sägewerks, lässt mich in jeden Winkel schauen, zeigt das Getriebe, die Schwungräder und Keilriemen, die früher noch aus Leder gefertigt waren und dementsprechend anfällig.
Dann nimmt er die Säge in Betrieb. Über eine Handwinde rollen er und sein Sohn einen Baumstamm auf den Blochwagen. „Wichtig ist beim Sägen, dass man sich den Baum zuerst genau ansieht. Man muss wissen, wie man ihn auf den Wagen legt. Macht man das falsch, werden die Bretter in der Mitte immer zu dünn und dadurch unbrauchbar.“ Er misst den ersten Schnitt auf, zeichnet ihn an, legt einen Hebel um und das Sägegatter beginnt wie von Geisterhand zu laufen, beweget sich schwungvoll auf und nieder. Alles greift ineinander, das Wasserrad, die Wasserradwelle, das Getriebe, der Blochwagen.
Es ist wirklich ein ungewohnter Gedanke, den man sich vergegenwärtigen muss, dass hier tatsächlich alles ohne Strom funktioniert. Langsam frisst sich das Gatter in den Stamm und schneidet ein pfeilgerades Brett um das andere heraus.
Die Arbeit hört nie auf
Natürlich sei das Ganze immer anfällig gewesen, erzählt Hubert. Etwas sei stets kaputt gegangen. Doch einmal, er war gerade zwei Jahre in Rente, habe es die komplette Säge zerfetzt. „Da habe ich den Vater das zweite Mal in meinem Leben weinen gesehen. Das erste Mal war, als Mama gestorben ist.“ So, jetzt sei fertig mit Sägen, soll der Vater gesagt haben. Man könne seinetwegen einen Schuppen für Brennholz aus der Säge machen. „Das ließ aber mein Grind nicht zu“, sagt Hubert nachdenklich. „Wo wir so viele Jahre hier gemeinsam gearbeitet haben.“
Und so führt er die Tradition seines Großvaters und Vaters bis heute fort. „Ich bin mit den Reparaturen fast durch. Wenn ich fertig bin, werde ich wieder von vorne anfangen.“
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