Sechs von sieben Hürden hat sie jetzt gemeistert, womit „nur“ noch eine zum zweiten EM-Titel ihrer Historie fehlt, dem ersten seit 1968 - Italiens „Squadra Azzurra“ steht nach einem Elfmeterschießen-Krimi gegen Spanien im Finale der Fußball-EM 2020! Die Elf von Trainer Roberto Mancini, die im Turnierverlauf bisher nur gegen Österreich ordentlich gewackelt hatte, ließ sich im Londoner Wembley-Stadion von der „Furia Roja“ ordentlich in die Bredouille bringen und siegte letztlich auf den allerletzten Drücker.
Italien steht damit zum vierten Mal in einem EM-Finale, triumphieren konnte man allerdings nur in jenem vor 53 Jahren - 2000 und 2012 musste man am Ende den Franzosen bzw. Spaniern gratulieren …
Aber wieder zurück ins Hier und Jetzt, zum 1. Halbfinale der EM 2020: In diesem ging bereits vor dem Anpfiff durch den Deutschen Schiri Felix Brych der erste „Sieg“ des Abends an die Italiener! Die text- und gesanglose Hymnen-Interpretation der Spanier hatte gegen das stolz-inbrünstig-lautstark-emotionale „Fratelli d‘Italia“ von Giorgio Chiellini und Co. nicht den Funken einer musikalischen Chance. Da wirkte sich auch das Fehlen des nach einem Achillessehnen-Riss zuletzt gegen Belgien ausgeschiedenen Leonardo Spinazzola nicht aus, der im Match vom gebürtigen Brasilianer Emerson ersetzt werden musste.
Während Italien sonst unverändert und in einem 4-3-3 startete, gab es bei Luis Enriques Spaniern schon mehr Wechsel: Zwar nicht beim System - wie bei Italien ein 4-3-3 -, sehr wohl aber bei den Spielern. Statt Abwehr-Ass Pau Torres und den beiden Stürmern Alvaro Morata und Pablo Sarabia liefen Erik Garcia, Dani Olmo und Mikel Oyarzabal auf. Bedeutung der Änderungen in der Offensive? Statt auf einen Stoßstürmer wie Romelu Lukaku bei Belgien setzte Spanien gegen Italiens „Oldies“ Chiellini und Bonucci auf drei bewegliche „Halbstürmer“.
Freilich: An diesem taktischen Kniff lag es NICHT, dass Spanien vom Start weg überraschend klar die Oberhand gewinnen konnte. Dass die „Furia Roja“ in Sachen Ballbesitz dominant sein würde, war zwar zu erwarten gewesen, aber dass sie nach den zuletzt mauen Auftritten auch ordentlich Zug zum Tor entwickeln konnte, eher weniger. Richtig los ging die „Fiesta“ bereits in Minute 13, als Oyarzabal nach Zuckerpass von Youngster Pedri im Strafraum plötzlich alleine vor Italo-Goalie Gigi Donnarumma stand - die Ballannahme verpatzt er aber und die Chance war dahin …
Zwei Minuten später schoss Ferran Torres aus rund 20 Metern nach Balleroberung gegen Nicoló Barella und einem kurzen Sprint knapp links am Tor vorbei. Und in Minute 25 dann die größte Chance für Spanien in Spielhälfte 1: Nach einem Abschlag Donnarummas kam der Ball über zwei Stationen zu Olmo an den Sechzehner zurück - seinen ersten Schussversuch blockte Chiellini und seinen zweiten wehrte Donnarumma gerade noch ab. Und die Italiener? Nur zeitweise gelang das im Turnierverlauf vermeintlich perfektionierte frühe Pressing, die meiste Zeit musste man den Spaniern bei ihrem Tiki-Taka-Fußball zuschauen.
Dabei hatten sie sogar für den ersten Aufreger im Spiel gesorgt, doch bei einem langen Ball in die Spitze war Barella im Abseits gestanden - dass er an der Strafraum-Grenze an Spanien-Goalie Unai Simon vorbeikam und dann nach einem Haken die Stange traf, spielte keine Rolle (3.). Ebenfalls an Simon vorbei schaffte es Emerson, aus seinem Pass zur Mitte produzierten aber weder Ciro Immobile noch Barella einen Torschuss (21.). Emerson blieb es überlassen, kurz vor dem Pausenpfiff nach 40-Meter-Pass Bonuccis und Zuspiel Lorenzo Insignes aus sechs Metern und spitzem Winkel die Latte zu treffen. Italiens wohl beste Chance fürs Erste …
Was auch immer Mancini seinen „Azzurri“ in den Katakomben erzählt haben mag, es bewirkte jedenfalls, dass Italien nach der Pause erst einmal kompakter und nicht mehr so feldunterlegen auftrat. Zudem kam man im Gegensatz zu weiten Phasen von Spielhälfte 1 auch offensiv besser zur Geltung, etwa via Halbchancen von Immobile (48./rechts am Tor vorbei) oder Federico Chiesa (53./Unai Simon parierte). Gerade als sich Spanien nach zuvor „nur“ zwei Tor-Annäherungen durch Sergio Busquets (52./drüber) und Oyarzabal (58./Donnarumma hielt Weitschuss fest) anschickte, wieder in den Dominanz-Modus zu schalten, sorgte Italien für einen Knalleffekt.
Ausgehend von Donnarumma gelang der „Squadra“ aus dem eigenen Strafraum heraus über vier Stationen ein perfekter Konter: Gegen Immobile wurde der Ball am Sechzehner zwar noch weggegrätscht, doch nicht gut genug geklärt - nun kam Chiesa ran und aus knapp 15 Metern schlenzte der Juve-Stürmer das Leder ins lange Eck der Spanier (60.). Die Entscheidung? NEIN! Denn weil Italien bei Chancen des eingewechselten Domenico Berardi (68./nach Chiesa-Zuspiel, 79./Flachschuss aus 16 Metern) den Todesstoß verpasste, fand die „Furia Roja“ doch wieder ins Spiel zurück.
„Gracias“ mussten die Spanier dabei nach zunächst noch verpassten Chancen von Oyarzabal (65./Kopfball knapp vorbei) und Olmo (67.) vor allem zum eingewechselten Alvaro Morata sagen, denn der bereitete seinen Ausgleichstreffer selbst vor - nach einem Doppelpass mit Olmo kam er frei vor Donnarumma und schloss dann ins linke Eck ab (80.). Mit Vorteilen für Spanien, aber ohne weitere Tore ging’s schließlich in die Verlängerung …
Die „Squadra“ hing nun in den Seilen, vor allem in der 1. Hälfte der Verlängerung hätte Spanien nach Doppelchancen für Olmo und Morata (98.) sowie Gerard Moreno und Marcos Llorente (102.) für die Entscheidung sorgen können. Nach dem erneuten Seitenwechsel ab Minute 105 ging es dann etwas ruhiger zu, auch wenn ein Abseitstor von Berardi kurz für Aufregung sorgte (110.) - und so kam es, wie es kommen musste: Elfer-Schießen!
In dem wurde dann der nach seinem 1:1-Ausgleich in Minute 80 noch auf bestem Wege zu Spaniens „Match-Helden“ befindliche Morata zum „tragischen Helden“ degradiert - der bereits in der Vorrunde vom Elfmeter-Punkt gescheiterte Juve-Stürmer vergab seinen Versuch, Donnarumma hielt den Ball fest. Und wenig später war der Gorgonzola gegessen, denn dann schoss Jorginho seine „Squadra Azzurra“ mit einem extra-coolen Elfer ins Finale der EURO 2020 …
Das Ergebnis:
Italien - Spanien 1:1 (1:1, 0:0) n.V., 4:2 i.E.
London, Wembley-Stadion, 57.800 Zuschauer, SR Brych (GER)
Tore: 1:0 (60.) Chiesa, 1:1 (80.) Morata
Elfmeterschießen:
0:0 - Locatelli scheitert an Simon
0:0 - Olmo schießt drüber
1:0 - Belotti trifft
1:1 - Moreno trifft
2:1 - Bonucci trifft
2:2 - Thiago trifft
3:2 - Bernardeschi trifft
3:2 - Morata scheitert an Donnarumma
4:2 - Jorginho trifft
Gelbe Karten: Toloi, Bonucci bzw. Busquets
Italien: Donnarumma - Di Lorenzo, Bonucci, Chiellini, Emerson (74. Toloi) - Barella (85. Locatelli), Jorginho, Verratti (74. Pessina) - Chiesa (107. Bernardeschi), Immobile (61. Berardi), Insigne (85. Belotti)
Spanien: Simon - Azpilicueta (85. M. Llorente), Garcia (109. P. Torres), Laporte, Alba - Koke (70. Rodri), Busquets (106. Thiago), Pedri - Ferran Torres (62. Morata), Oyarzabal (70. Moreno), Olmo
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