Der deutsche Star-Philosoph Richard David Precht sprach in Linz über Corona-Folgen, Auflösung von Weltbildern und dem Ende des Arbeitsbegriffs, wie wir ihn bisher kennen.
„Krone“: Es scheint, als leben wir in einer Zeit der Verwirrung. Mehr als die Hälfte der Leute sagte in einer Befragung, dass sie nicht wissen, was sie glauben sollen.
Richard David Precht: Das ist ganz normal in Zeiten von Revolutionen und wir leben in einer technischen, digitalen Revolution. Auch in der Zeit der ersten und zweiten technischen Revolution gab es große Unsicherheiten.
Wohin geht die Reise?
Richtung Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Der Begriff der Arbeit, wie wir ihn jetzt kennen, wird sich wandeln. Irgendwo hinzugehen, um acht Stunden zu arbeiten, das wird in vielen Bereichen nicht bleiben. Es wird um den Sinn gehen. Und viele Tätigkeiten werden nicht mehr durch Menschen erledigt werden müssen.
Dies bedeutet Job-Verlust.
Jede technische Revolution sorgte dafür, dass wir weniger arbeiten. Früher gab’s 80-Stunden-Wochen. Uns wird zwar gesagt, dass wir immer länger arbeiten müssen, vielleicht bis 70. Aber da geht’s doch nur darum, das Umlagesystem zu erhalten. Wir wollen ein totes Pferd durchs Ziel reiten.
Sie plädieren fürs bedingungslose Grundeinkommen.
Das wird kommen. Derzeit fehlt nur das Geld dafür.
Damit würde die Zahl der Verlierer kleiner werden.
Man muss unterscheiden. Jene, die ökonomisch verlieren und jene, deren Weltanschauung nicht mehr passt. Die haben Angst, nicht mehr vorzukommen. Und da geht’s dann nicht mehr um die Sache. Sondern nur mehr ums Dagegensein.
Da vermischen sich dann auch ideologische Grenzen.
Wir sahen Hippies, die auf Corona-Demos mit Faschisten gegen den Faschismus demonstrierten. Und diese Leute werden künftig etwa gegen Klimaschutz-Maßnahmen demonstrieren.
Stichwort Corona. Wir haben uns in der digitalen Welt vorm Virus gefürchtet, das in der realen zugeschlagen hat.
Corona hat die digitale Revolution beschleunigt, etwa Home-Office als zarte Veränderung, die schnell ging. Corona hat sichtbar gemacht, wie verletzlich wir als biologische Lebewesen sind. Das bringt den Klimaschutz voran. Es wird dieser als Menschenschutz verstanden werden, weil wir mit den Maßnahmen die Menschen schützen.
Dabei versuchen wir doch jetzt gerade unser altes Leben vor Corona zurückzuerobern.
Das ist auch verständlich. Man kann vor allem die Jungen nicht so lange einsperren. Ich mache mir aber Sorgen um die Freiheit.
Inwieweit?
Corona-Maßnahmen werden verschwinden. Aber die technischen Standards werden bleiben, die eine Überwachung erleichtern. In einsamen Häusern ist die Gefahr, überfallen zu werden, größer, als dass ein Gespenst auftaucht. Aber wir fürchten sich mehr vor Geistern als vor realen Gefahren.
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