In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert Robert Schneider Menschen, die einer alten Kulturtechnik nachgehen. Jüngst hat er die Hausgeburtshebamme Birgitt Felder getroffen.
Ich wage mich an ein Thema, über das ein Mann besser nicht schreiben sollte - die Hebammenkunst. Als mildernden Umstand kann ich höchstens vorbringen, dass meine Frau zwei unserer Buben in Begleitung der ehemaligen Hebamme Birgitt Felder als Hausgeburt auf die Welt gebracht hat. Ich war dabei, stand wohl hilflos in der Landschaft rum, fassungslos und staunend über das Wunder der Menschwerdung. An diesem regnerischen Tag treffe ich Birgitt Felder im Frauenmuseum Hittisau zu einem Gespräch, wo noch bis zum 31. Oktober die Ausstellung „geburtskultur. vom gebären und geboren werden“ läuft.
Eine Ausstellung, die mit ihren behutsam und ungemein vielfältig ausgewählten Objekten irrlichternde Akzente auf die Entbindungskunst vergangener Jahrhunderte bis ins Heute setzt. Wer die Ausstellung gesehen hat, geht nicht unberührt weg. Zum einen, weil Geburtshilfe zu allen Zeiten ideologisiert wurde, zum anderen, weil man eine Ahnung davon bekommt, wie Frauen im Akt des Gebärens, diesem intimsten und auch lebensgefährlichen Prozess, eben jenen Ideologien ausgesetzt waren und sie bemeistert haben.
Emotional kaum zu ertragen
Ehe ich mit Birgitt Felder rede, führt mich die Direktorin des Museums, Stefania Pitscheider Soraperra, durch die Schau, wo so viele Schicksale - positive wie negative - aufleuchten, dass es emotional kaum zu ertragen ist. Sie zeigt mir eine sogenannte „Pravaz-Spritze“, die noch bis ins frühe 20. Jahrhundert in Gebrauch war, mit der Weihwasser injiziert wurde, drohte das Kind im Mutterleib zu sterben. Das vermeintliche Seelenheil schien damals wichtiger, als ein gesundes Geborenwerden. In einer anderen Vitrine liegen „Mutterkreuze“ unterschiedlicher Klassen, mit denen in der Nazizeit Mütter angespornt wurden, möglichst viel Nachwuchs zu liefern für ein menschenunwürdiges Regime.
Es gibt aber auch tröstliche Objekte. Naiv gemalte Votivtäfelchen, die die geglückte Geburt eines Kindes preisen, „Wehenfläschen“, die man der Frau zur Linderung in die Hand gab, oder kleine Terrakottafiguren aus Peru, die die Gebärende selbstbewusst im Sitzen darstellt, assistiert von einer Hebamme.
Es herrscht eine seltsame Stille und Innigkeit unter den Besuchern, die diese einzigartige Schau an diesem Nachmittag besuchen. Sie scheint wirklich niemanden kalt zu lassen - ganz gleich, ob Mann oder Frau.
„Heilig und doch selbstverständlich“
Birgitt Felder, die noch bis vor wenigen Jahren Hausgeburten begleitete und sich jetzt beruflich als Homöopathin neu orientiert, erzählt mir, dass bereits ihr „Säle“, also ihre Großmutter, Hausgeburtshebamme gewesen sei. Als kleines Mädchen durfte Birgitt manchmal bei Hausbesuchen mit dabei sein. Schon damals habe sie gewusst: „Das will ich auch. Wie die ganze Familie beisammen ist, das unmittelbar Neugeborene mitten drin. Dieses Heilige und doch Selbstverständliche.“
Ihre zweijährige Ausbildung hat sie in der Hebammenschule in Innsbruck gemacht. „Für mich war immer klar, dass ich Hausgeburten begleiten möchte, aber damals gab es noch die sogenannten Entbindungsheime oder -stationen, die oft ans Altersheim angegliedert waren. Deshalb war Hausgeburt eigentlich kein Thema. Ich war und bin auch heute noch davon überzeugt, dass jede Frau die naturgegebene Kraft hat, ihr Kind auf die Welt zu bringen. Meine Aufgabe war es, die Frauen wieder daran zu erinnern, ihnen Mut zu dieser Kraft zu machen und sie behutsam zu begleiten.“
Birgitt Felder wird leidenschaftlich, als ich sie danach befrage, weshalb sich so viele Frauen diese Kraft nicht mehr zutrauen. „Als ich anfing, gab es eine Empfehlung der WHO, wonach fünf Prozent der Gebärenden ein Kaiserschnitt anzuraten ist. Heute sind wir bei einer Rate von bis zu 30 Prozent. Kommen noch rund 40 Prozent Saugglockengeburten hinzu. Wir leben in einer enorm angstbesetzten Zeit und versuchen dagegen zu halten, indem wir alles kontrollieren möchten.
Je mehr wir das tun, desto ohnmächtiger werden wird. Wenn ich als Schwangere in dem Gefühl zur Untersuchung gehe, was sein könnte, und nicht in dem Gefühl, ich spüre das Kind, es geht ihm gut, dann ist das erschüttert, was man früher mit dem Begriff ’in guter Hoffnung sein’ beschrieben hat. Deshalb bin ich als Hausgeburtshebamme auch dazu übergegangen, die Frauen lange vor der Niederkunft zu begleiten, die Ganzheitlichkeit einer Schwangerschaft zu betonen, nicht einen einzelnen Befund.“
Nur das Urvertrauen gibt eine Art Sicherheit
Birgitt ist davon überzeugt, dass Frauen wieder aus dem verunsichernden Nebel an Infos, Internetrecherchen, dem Networking zu diesem Thema, aus allen möglichen Untersuchungen herausfinden müssen. Denn gerade da erfahren sie eben nicht die Geborgenheit, die sie suchen. „Wenn es eine Art Sicherheit gibt, dann nur in der Suche nach dem Urvertrauen, im Frausein selbst, in der Kraft des Gebärens. Dazu gehört auch das Sterben. Wer sich diese beiden Seiten ansieht, sich auch ein Stück weit hingeben kann, ohne auf alles gleich eine Antwort zu haben, hat diese Kraft wiedergefunden“, ist Birgitt Felder überzeugt.
Sie hat einen Schalk in den Augen, diese mutige Frau, der mir als Mann sagt: Wir Frauen haben die Kraft.
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