Politik am Sportplatz
Die Olympischen Spiele im Kalten Krieg
Russische Sportler dürfen bei den Spielen in Tokio nicht unter der Flagge ihres Landes starten. Wegen staatlichen Dopings werden Medaillen nur dem „Olympischen Komitee“ zugeordnet. Die Hymne Russlands ist nicht zu hören. Doch jahrzehntelang waren die Olympischen Spiele der Ort eines Stellvertreterkrieges der Supermächte USA und UdSSR. In einer dreiteiligen „Krone“-Serie analysiert Peter Filzmaier die Olympiapolitik.
1. Von Helsinki 1952 bis Seoul 1988 prallten amerikanische und sowjetische Sporthelden aufeinander. Die USA sahen ihre Olympiasieger als „athletische Missionare“. Umgekehrt wollten alle sowjetischen Machthaber die Überlegenheit ihres Gesellschaftssystems beweisen. Nur die Spiele boten die Möglichkeit, den Anti-Kommunismus und Anti-Amerikanismus außerhalb des eigenen Einflussbereichs ohne politisches Risiko - man denke an den atomaren „Overkill“ - auszuleben. Das olympische Ideal der Völkerverständigung wurde zum Treppenwitz.
2. Es begann die Blütezeit inoffizieller und theoretisch verbotener Medaillen- und Punktewertungen. Radio Moskau und die Parteizeitung Prawda vermeldeten schon 1952 - obwohl damals rechnerisch falsch - die „Weltüberlegenheit“ der Sowjetsportler. Als Valeri Borsow 1972 in München in den prestigeträchtigen Läufen über 100 und 200 Meter siegte, und die UdSSR im Basketball-Finale die USA als Gewinner aller bisherigen Olympiaturniere entthronte, verhinderte nur der gleichzeitige Terroranschlag den maximalen Medientriumph.
3. Medien in den USA reagierten mit seitengroßen Medaillenspiegeln, wenn diese wie in Mexico City 1968 für das eigene Land vorteilhaft waren. Das freie Amerika ließ aber solche Spiegelbilder durch Selbstzensur verschwinden, wenn sie beispielsweise nach der ersten Olympiawoche in Seoul ein allzu rot-rotes Bild sowjetischer und ostdeutscher Siege boten.
4. Es folgten Scharmützel bis hin zur Unterstellung, der US-Geheimdienst würde Sexspioninnen zur Erschöpfung sowjetischer Sportstars aussenden. Die Vergabe von Reisevisa für Sportmannschaften wurde regelmäßig zum Kleinkrieg. Der Kalte Krieg erreichte seinen olympischen Höhepunkt nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan am Weihnachtstag 1979. Die USA boykottierten daraufhin die Spiele in Moskau 1980.
5. Weil eine Absage oder Verlegung der Spiele durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) - dieses hatte nicht einmal für Hitlers Propagandaspiele in Berlin einen Grund dafür gesehen - unrealistisch war, ging es den USA um möglichst viele boykottierende Länder. 63 nationale Olympiaorganisationen lehnten die Einladung nach Moskau ab. Neben den USA fehlten vor allem die Bundesrepublik Deutschland, Kanada und Japan.
6. Vier Jahre später stellte sich in Los Angeles die Frage, ob die UdSSR die Chance für eine Retourkutsche ergreifen. Der Kalte Krieg hatte sich inzwischen durch den sowjetischen Abschuss eines südkoreanischen Passagierflugzeugs, den NATO-Doppelbeschluss - es in Europa weitere Atomraketen stationiert -, und der Landung von US-Truppen in Grenada weiter verschärft.
7. Parallel dazu hieß es in den USA: „Schlagt die Russen, skalpiert die Rothäute!“ Als der oberste Sicherheitsbeauftragte der Stadt Los Angeles warnte, dass infolge politischer Abneigung Maßnahmen zum Schutz sowjetischer Sportler gescheut würden, wurde er prompt entlassen. Das kalifornische Parlament verabschiedete sogar eine Resolution, um Sportlern aus der UdSSR die Einreise in die USA und dadurch eine Olympiateilnahme zu untersagen.
8. Am 8. Mai 1984, 25 Tage vor dem Anmeldeschluss, verkündete die Nachrichtenagentur TASS die Entscheidung der UdSSR, nicht an den Olympischen Spielen in Los Angeles teilzunehmen. 19 Länder, mit Ausnahme Rumäniens der geschlossene Ostblock, erklärten ebenfalls einen Teilnahmeverzicht.
9. Politisch waren Boykott und Gegenboykott ein Misserfolg, weil der Nationalismus auf beiden Seiten gestärkt wurde. Denn sportlich kam, was kommen musste: Es gab aufgrund der Abwesenheit der stärksten Gegner Seriensiege für das Veranstalterland. 1980 in Moskau siegten sowjetische Sportler in 80 Bewerben und errangen 195 Medaillen. 1984 in Los Angeles gewannen die USA 174 Medaillen, 83 davon aus Gold.
10. In der Los Angeles Times war zu lesen: „Seht die schöne Seite der Sache: Wenn die Sowjets nicht kommen, werden die USA leicht gewinnen. Wir werden so viele Medaillen gewinnen, dass es ein Spaß ist.“ Doch würde es nicht mehr bedeuten, wenn man die Russen schlägt? Ist es egal, ob die Amerikaner im Wasser- oder Basketball Mannschaften des Tschad und aus Costa Rica oder die UdSSR bezwingen? Die kalifornische Zeitung meinte dazu: „Das Leben ist zu kurz, als dass wir noch große Anstrengungen machen sollten zu erklären, wen wir geschlagen haben.“ Besser kann man den Hurra-Patriotismus bei den Olympischen Spielen und seinen Missbrauch für eine nationalistische Politik nicht erklären. Daran hat sich in der Coronazeit wenig geändert.
Teil 1 der Serie:
Peter Filzmaier erzählt in den Sportübertragungen des ORF in täglichen Kurzdokumentationen „Geschichten mit Geschichte“ über historische und politische Aspekte der Olympischen Spiele. In der dreiteiligen „Krone“-Serie dazu geht es kommenden Sonntag um die Olympischen Spiele als Schauplatz der Politik in der Gegenwart.
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