Schmals Athen-Triumph

Kiesenhofer: Erstes Rad-Gold seit 125 Jahren!

Olympia
25.07.2021 12:13

Das Sensationsgold von Anna Kiesenhofer in Tokio ist 125 Jahre nach Adolf Schmal erst der zweite Triumph für Österreichs Radsport in der Geschichte der Olympischen Spiele. Grund genug auf diesen historischen Erfolg von Athen 1896 zurückzublicken. Adolf Schmal gewann damals im Bahn-Radfahren das Zwölf-Stunden-Rennen, ein Sieg, der voller Anekdoten steckte. So legte der Österreicher zum Beispiel mit seinem größten Gegner sogar eine gemeinsame Mittagspause ein ...

Anders als heute, wo die Sensation von Anna Kiesenhofer natürlich live zu sehen war, Bilder und Berichte in Sekunden den Weg um die halbe Welt machten, fand der Olympiasieg von Adolf Schmal kaum Niederschlag in den heimischen Zeitungen. Die meisten Blätter brachten nur eine telegraphische Meldung mit demselben Wortlaut: „Bei den gestrigen olympischen Festspielen blieb Schmal aus Wien Sieger im Velozipedfahren auf 12 Stunden.“ Ein Satz. Das war’s. Heute unvorstellbar. Aber 1896 war die Übermittlung noch eine höchst komplizierte Geschichte. Das Telegramm musste auf einem Postamt aufgegeben werden. Je kürzer, desto billiger. Und Olympia der Neuzeit steckte noch in den Kinderschuhen und wurde in Österreich kaum beachtet.

Ein legendärer Bericht 
Aber hinter diesem einen Satz, den man einen Tag nach Adolf Schmals Sieg etwa in der „Wiener Zeitung“, der „Presse“, im „Vaterland“, in der „Ostdeutschen Rundschau“ oder auch in der „Neuen Warte am Inn“ nachlesen kann, steckt so viel, steckt eine so großartige Geschichte, die erst später im „Radfahr-Sport“ und dann ausführlich in einem inzwischen legendären Bericht von Adolf Schmal selbst zum Tragen kommt. Schmal-Filius (wie er sich selbst nannte) erzählte mehrmals ausführlich von seinen Athener Erlebnissen: „Wie ich einen olympischen Lorbeer verlor und einen gewann.“

Ehe er nämlich Olympiasieger im Radfahren wurde, hatte er bei den Spielen in Athen als Fechter eine herbe Enttäuschung wegstecken müssen. Im Turnier der Säbelfechter führte er nach zwei Siegen und stand dicht vor dem Sieg. „Als Fechter wußte ich mich stark, und meine Zuversicht war durch den glücklichen Anfang merklich gewachsen.“ Die beiden letzten Gegner, zwei Griechen, seien „Klassen unter mir gestanden“. „Ich frohlockte im Inneren, denn mir winkte der Olympische Sieg, ja ich hatte ihn schon sicher in den Händen.“

Säbelturnier wurde annulliert 
Doch dann erschien beim Fechtturnier der griechische König, „der gesamte Hofstaat mit viel höfischem Gepränge“ als Gast. Das Kampfgericht trat zusammen und entschied nach einiger Beratungszeit, dass der bisherige Verlauf des Säbelturniers annulliert werde und man von vorne beginnen müsse. Man wolle dem König einen kompletten Bewerb zeigen. Adolf Schmal: „Mir fehlte die Möglichkeit des Einspruchs.“ Der Österreicher spürte: „Diesmal verlierst du!“ So war es. Am Ende belegte er den vierten Platz. Griechenland feierte hingegen einen ganz unerwarteten Doppelsieg. So war das damals - bei Olympia 1896.

(Bild: National Historical Museum, Athens)

Doch Adolf Schmal „zog seinen zweiten Pfeil aus dem Köcher“ und wollte seine Chance im Bahn-Radfahren nutzen. „Aber meine Aussichten als Radfahrer waren gleich Null, denn als ich die Wiener Heimat verließ, war der Schnee kaum von den Straßen geschmolzen, und ich konnte nicht hoffen, mit den Vertretern der Nationen, die unter einem weniger rauhen Himmelsstrich ein gutes Freiluft-Training hinter sich hatten, erfolgreich in Wettbewerb zu treten.“ Es sollte ganz anders kommen.

Mit einem Antritt alle Gegner überrumpelt 
Auf der 333,33 m langen Rundbahn im Velodrom von Neu-Phaleron wurde er zunächst im 333-m-Zeitfahren sowie im 10.000-m-Bahnfahren Dritter. Am 13. April 1896, also heute vor 125 Jahren, schlug ihm die große Stunde. Es ist großartig, seine lange Schilderung über das 12-Stunden-Rennen nachzulesen. Mit der „elektrischen Schnellbahn“ fuhr er morgens um 5 Uhr von Athen nach Phaleron. „Ich war mir bewusst, dass ich mit Blei im Sattel startete. Nur eine List konnte mir den Sieg bringen. Meine untrainierten Lungen und Muskeln hätten ein scharfes Tempo über eine weite Strecke nicht ausgehalten.“

(Bild: AP, IOC)

Bei starkem Wind - die Ruder-Bewerbe waren für diesen Tag auch abgesagt worden - plätscherte das 12-Stunden-Rennen zunächst nur dahin. „Wir zogen gemächlich Runde um Runde. Der frühe Morgen, die eintönige Fahrt und der unausgeschlafene Zustand ließen die Aufmerksamkeit bald ermatten.“ Diese nutzte Adolf Schmal. Er überrumpelte alle Gegner. „Ich hielt mich am Ende des Feldes, fuhr unbemerkt von den anderen die stark überhöhte Kurve hinauf und benützte das Gefälle beim Ausgang der Kurve, den anderen davon zu fahren.“ Ein leichter Rückenwind begünstigte ihn bei diesem Unternehmen. Er fuhr noch in der ersten Stunde des Rennens schließlich eine Runde Vorsprung heraus. „Wieder winkte verheißungsvoll der Olympische Ölzweig, wieder schien der Sieg so sicher, aber ich unterdrückte jeden Gedanken der Freude, und was konnte noch alles geschehen.“

Gemeinsame Mittagspause mit dem Gegner 
Adolf Schmal schildert eindrucksvoll den ganzen, teils monotonen Tag auf dem Rennrad. Selbst im „Offiziellen Report“ dieser Olympischen Spiele heißt es zu diesem Bewerb abwertend: „Die Zuschauer sind sehr wenige, sowohl wegen des schlechten Wetters als auch wegen der übermäßigen Langweiligkeit und Eintönigkeit des Anblicks.“ Mehr und mehr der sieben Teilnehmer gaben auf, schließlich blieben nur der Engländer Frank Keeping mit einer Chance auf den Sieg übrig. Gemeinsam (!) machten die beiden schließlich Mittagspause. Keeping hatte Schmal gefragt: „Wünschen Sie nicht etwas zu sich nehmen? Dann steigen wir beide ab.“ Schmal stimmte zu, die beiden machten Pause, „kaltes Geflügel und dergleichen war in Mengen vorhanden“. Als die verschwundenen Gegner auf die Bahn zurückkehrten, nahmen auch Keeping und Schmal das Rennen wieder auf, der Österreicher mit einer Runde Vorsprung, mit jenen 333,33 Metern, die er sich auch bis zum frühen Abend nicht mehr abnehmen ließ. In 12 Stunden fuhr er 886 Runden, legte insgesamt 295,3 km zurück. Keeping hatte laut Ergebnisprotokoll 354 m Rückstand, alle anderen Teilnehmer hatten aufgegeben.

(Bild: Radfahr-Sport)

Adolf Schmal war Olympiasieger - und wurde tags darauf in Österreich mit dem eingangs erwähnten Zweizeiler in den Zeitungen gewürdigt. Kurz und bündig.

Der „Radfahr-Sport“ brachte dann am 17. April 1896 auf seiner Seite 1 ein Archiv-Bild von Adolf Schmal und feierte ihn als „Sieger im 12-Stunden-Rennen in Athen“. Auch die „Allgemeine Sport-Zeitung“ (ASZ) hatte in seinen Ausgaben vom 19. und 26. April etwas mehr Informationen zum zweiten österreichischen Olympiasieg parat. Bei der Durchsicht der Tageszeitungen springen aber in der „ASZ“ vor allem zwei große Anzeigen ins Auge. Dort wird hervorgehoben, dass Adolf Schmal auf einem Waffenfabriksrad der Firma „Swift-Steyr“ bzw. mit Reifen von „Continental-Pneumatic“ der Gummifabrik-Actiengesellschaft in Athen gewonnen habe. Das Radfahren boomte damals in Wien, Reklame mit einem Olympiasieg förderte zumindest in Insiderkreisen das Geschäft.

Geheimnis um eine Bronzemedaille 
Adolf Schmal-Filius sollte wenig später der führende Motorsport-Journalist Österreichs werden. Seine Zeitungsberichte und zahlreichen Fachbücher wurden Anfang des 20. Jahrhunderts legendär. Volker Kluge, weltweit einer der allerbesten Kenner der olympischen Geschichte, hat im „Journal of Olympic History“ (1/2018) die Lebensgeschichte Adolf Schmals in einem wunderbaren Artikel beschrieben. Der deutsche Olympia-Experte, der über ein schon sagenumwobenes Archiv verfügt, weist in seinem Bericht so nebenbei noch auf ein Kuriosum hin. Im Privatbesitz der Familie Schmal-Filius befindet sich neben der Silbermedaille und dem Olympischen Diplom, die er für seinen Olympiasieg erhalten hat, noch eine Bronzemedaille von 1896. Diese Bronzemedaillen aber gab es 1896 nur für einen zweiten Platz. Schmal wurde jedoch, wie erwähnt, noch zweimal Dritter, wofür es keine Medaille gab. Warum er schließlich noch eine Bronzemedaille erhielt, ist eines der vielen Rätsel im Zusammenhang mit den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit.

Olaf Brockmann

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