krone.tv-Reportage

Wie die Lockdowns noch immer Existenzen bedrohen

Wien
03.10.2021 10:40

Eine Wiener Unternehmerin erzählt von ihrem Kampf ums Überleben, Familienvater David B. hat sich über beide Ohren verschuldet, die Zahl der Insolvenzen wird sich in den kommenden Jahren verdreifachen. Die Folgen von Corona, eineinhalb Jahre danach.

Kellner war sein Traumberuf. Jahrelang war David B. in diesem Beruf erfolgreich. Er mag den Kontakt zu den Gästen und gute Küche. Sein letzter Tag als Kellner war der 15. März. „Ich habe damals in der Innenstadt gearbeitet“, erzählt der Familienvater beim Interview mit krone.tv, „auf einmal waren keine Menschen mehr unterwegs. Meine Kollegen und ich haben dann realisiert, hier kommt was Größeres auf uns zu.“

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

Zuerst Mietrückstände, dann Wohnung weg
Er wurde in Kurzarbeit geschickt. Zuerst war er optimistisch, fühlte sich durch die Maßnahmen der Regierung sicher, doch bald kam das böse Erwachen. Durch die Kurzarbeit verdiente er weniger, während die Kosten unverändert blieben - basierend auf der Zeit vor Corona. So stapelten sich die Rechnungen. „Nach dem zweiten Lockdown war die Hoffnung dann endgültig weg. Man zahlt Miete, dann reicht es nicht mehr für die Miete, du verlierst die Wohnung - so weit ist es schon gekommen.“

Täglich Überstunden - auch samstags und sonntags
David B. kehrte der brach liegenden Gastro-Branche schweren Herzens den Rücken zu und fing an, über 70 Stunden die Woche durchzuarbeiten. „Alles Jobs, die ich vorher nie gemacht oder nie in Erwägung gezogen hätte.“ Essenslieferant, Taxifahrer. In seiner Verzweiflung nahm er jede Arbeit nur mehr an, um über die Runden zu kommen. „Ich habe Überstunden gemacht, an Samstagen gearbeitet, an Sonntagen.“ Arbeitslos zu sein war für David B. nie keine Option. Aber alles hart verdiente Geld verringerte nur vorübergehend den Minusstand am Konto. „Ich habe nur für Rechnungen und meine Kosten gelebt, mir blieb nichts mehr.“ 

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

Nach einer Umschulung gab es schließlich doch noch ein Happy-End. In exakt drei Monaten ist der Schuldenberg von mehreren Tausend Euro dank eines höheren Gehalts Geschichte. „Ich hab‘s alleine geschafft, indem ich viel gearbeitet habe“, sagt er nicht ohne Stolz. „Wenn man etwas will, dann schafft man es auch.“

David B. ist einer von vielen Ex-Kellnern, die der Gastro jetzt so dringend fehlen, da der Großteil sich mittlerweile beruflich weiterentwickelt hat.

Apropos Gastro. Im Schanigarten des „Bastei Beisl“ nahe dem Stubentor ist gerade Mittagspause. Peter Dobcak, Obmann der Gastrosparte für Wien bei der Arbeiterkammer, scannt den QR-Code und registriert sich mit dem Handy. Für ihn haben Förderungen die Existenzen vieler Wirte gerettet. „Damit es letztendlich nicht zu einer größeren Pleitewelle kommt, haben wir der Regierung von Anfang an gesagt: ,Bitte lasst die Fördermittel nicht abrupt enden, sondern lasst sie langsam auslaufen.‘ So wurde immer sukzessive angepasst und verlängert."

Personalmangel ist größte Herausforderung der Gastro
Aber ohne ausreichendes Personal? „Der Personalmangel ist derzeit die größte Herausforderung der Branche. Wir müssen die Branche wieder attraktiver machen und das Unterstützungssystem überlegen, damit jemand gar nicht auf den Gedanken kommt, ob es sich auszahlt zu arbeiten, weil ich eh vom Staat genug Geld kriege.“ 

Das „Bastei Beisl“ wird von Erwin Scheiflinger und Familie in der dritten Generation geführt. Scheiflinger arbeitet seit 1978 hier. Sein Mitleid gilt Neueröffnungen und Neuübernahmen: „Es gibt viele, die sehr sehr arm sind, die vor der Pandemie einen Betrieb übernommen oder neu gekauft haben und deswegen umgefallen sind. Das sind Härtefälle. Aber wenn jemand hergeht und den Staat bescheißt, darf er sich nicht erwarten, dass ihm der Staat aus der Krise hilft. Jeder, der nicht einzahlt in die Gemeinschaft, hat von ihr auch nichts zu erwarten.“  

Erwin Scheiflinger (Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
Erwin Scheiflinger
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

„Küchenmädchen wird nicht besser, wenn es 2000 Euro kriegt“
Seiner Einschätzung nach wird sich die Personalnot wieder von alleine regeln. „Ich selbst suche zwei Mitarbeiter und es ist fast unmöglich.“ Viele, so der Wirt, „sind es jetzt gewohnt, sieben Monate zu Hause zu bleiben.“ Hilft da eventuell ein besserer Lohn? „Wir zahlen über dem Kollektivvertrag. Ein Küchenmädchen wird deswegen nicht besser, wenn es 2000 Euro kriegt. Wenn sie es aber gut macht, dann bekommt sie auch mehr.“

„Wir leben derzeit in einer verkehrten Insolvenzwelt“
Alexander Klikovits vom KSV1870 rät Unternehmern, deren Aussichten schlecht sind, eher früher ein Insolvenzverfahren einzuleiten als später: „Wir leben derzeit in einer verkehrten Insolvenzwelt. Auf der einen Seite sind wir mit der größten Wirtschaftskrise Österreichs seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert. Auf der anderen Seite sind die Insolvenzen auf einem derart niedrigen Niveau, wie wir es zuletzt vor 40 Jahren zu verzeichnen hatten. Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung und das Insolvenzgeschehen stehen im krassen Widerspruch zueinander.“ 

Steigende Insolvenzen 2022-2023
Klikovits betont, dass deswegen aber nicht alle Unternehmen gerettet seien. „Die Insolvenz vieler Unternehmen wurde nur auf die lange Bank geschoben. Von einer Rettung könnte man dann sprechen, wenn Unternehmen sich rechtzeitig stellen. Wir gehen davon aus, dass im Zuge der Pandemie-Situation einige Insolvenzkandidaten herangereift sind, die noch nicht den Weg zum Insolvenzrichter gefunden haben.“

Diese Verzögerung werde sich in den kommenden Jahren zeigen: „Im nächsten Jahr werden wir sicher die Nachzieheffekte des heuer versäumten Insolvenzgeschehens zu spüren bekommen. Wir erwarten, dass dieses kontinuierliche Steigern der Insolvenzen über die nächsten zwei bis drei Jahre zu beobachten sein wird.“

Kurz vor Pandemie expandiert - Filiale nun geschlossen
An den Folgen der Lockdowns leiden auch viele Unternehmer bis heute. Hohe Ausgaben trotz Schließungen erschwerten das Wirtschaften enorm. Mag. Barbara Lukas ist Boutique-Besitzerin. Sie hat kurz vor der Pandemie expandiert und eröffnete eine zweite Filiale in Baden, die mittlerweile geschlossen ist. Ihr zweiter Standort muss jetzt warten. Denn schon die Zukunft der ersten Boutique steht in den Sternen. Sie ist in der Wiener Margaretenstraße und wird Modebewussten im Grätzl sehr geschätzt.

„Ich habe bis November 2020 keine Förderung bekommen, nur den Härtefallfond. Aber was sind einmal 500 und einmal 1000 Euro, wenn bei uns in einer Kiste 5000 Euro Wareneinsatz sind - der ja nirgends berücksichtigt wird?“ Ab November sei ihr dann ein Umsatzersatz zugestanden, weil sie im Vergleichszeitraum zwei Geschäfte hatte. „Aber weil ich Einzelunternehmerin bin und alles auf meine Steuernummer läuft, war es für die Finanz nicht nachweisbar.“

Sie habe keine Steuern stunden dürfen, weil sie nicht betroffen gewesen sei. „Eine Finanzberaterin hat meinem Steuerberater gesagt: ,Was will die mit dem Umsatz, die kann doch gar nicht betroffen sein? Für mich ist da eine Welt zusammengebrochen. Weil die Mitarbeiter nicht da waren, weil ich die Kurzarbeit nicht anmelden konnte. Wenn ich zu habe, kann ich nicht über Monate Gehälter mitschleppen." 

„Montag bis Samstag gearbeitet, ohne zu verdienen“
Unser System scheitere aber auch ohne Corona bei den Kleinunternehmen, so Lukas. „Wenn ich das, was ich an Sozialversicherungsbeiträgen bezahle, durch Jahre und Monate dividiere, muss ich sagen, dass ich mir monatlich gar nicht so viel ausbezahlt habe. Durch all mein Tun, meine Anstrengungen, meine Zeit, meine Sorgen und mein Risiko erwirtschafte ich hier 5000 bis 7000 Euro Umsatzsteuer. Die zahle ich, wenn ich fünf Monate geschlossen habe und ich ein Jahr lang nichts verdienen kann. Das heißt, wenn der nächste Lockdown kommt, habe ich das nächste Jahr Montag bis Samstag gearbeitet, ohne etwas verdienen zu können.“

Doch Lukas ist nicht nur Unternehmerin, sondern auch Mutter eines Kleinkindes. Die älteren Geschwister hat sie im Homeschooling betreut, um ihren Ältesten hat sie sich Sorgen wegen dem Arbeitsmarkt gemacht. Trotzdem hat sie nicht aufgegeben. 

Die Pandemie hat vielen das Letzte abverlangt. Und sie ist noch lange nicht vorbei.

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