„Krone“-Interview

Corona-Experte: „Party, bevor Sensenmann kommt?“

Österreich
30.07.2021 06:00

In unserer „Krone“-Serie interviewt Politikwissenschafter Peter Filzmaier den Top-Infektiologen Florian Thalhammer zur Pandemie.

Peter Filzmaier: Sind Sie Sportfan?
Florian Thalhammer: Jein.

Sind Sie politisch interessiert?
Ja, selbstverständlich. Warum fragen Sie mich?

Weil ich mich lieber privat über Olympische Spiele oder Innenpolitik unterhalten würde. Aber es steigen die Infektionszahlen, die Gretchenfrage ist, wie sehr das zu mehr Krankenhausaufenthalten und Toten führen kann. Wie ist Ihre Einschätzung?
Die Zahlen werden weiter steigen, und die Ungeimpften werden unsere nächsten Langzeitfälle sowie schwer kranken und auch verstorbenen Patienten sein.

Infektiologe Thalhammer: „Emotional sage ich, dass wir die Impfpflicht brauchen!“ (Bild: APA/GEORG HOCHMUTH)
Infektiologe Thalhammer: „Emotional sage ich, dass wir die Impfpflicht brauchen!“

Sebastian Kurz sagte im März: „Im Sommer haben wir die Pandemie besiegt!“ War das aus medizinischer Sicht zu voreilig, oder war zu sehr der Wunsch der Vater des Gedankens?
Beides. Als Entschuldigung kann man auf die Mutationen, die fehlende Eigenverantwortung und das typisch österreichische Impfmuffelwesen verweisen.

Noch ein Zitat des Kanzlers von vor drei Wochen: „Für jeden, der geimpft ist, ist die Pandemie vorbei.“ Wir sind beide zweimal geimpft, ist es also für uns vorbei?
Auch das stimmt leider nicht. Wir sind von der fehlenden Eigenverantwortung unserer Mitbürger betroffen. Zudem ist es durch Studien und im Alltag schon bewiesen, dass einige Geimpfte sich trotz vollen Impfschutzes anstecken, noch weniger auch erkranken können.

Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier befragte den Infektiologen Thalhammer zur Corona-Lage in Österreich. (Bild: A&W)
Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier befragte den Infektiologen Thalhammer zur Corona-Lage in Österreich.

Was bedeutet das unter allen Geimpften in Zahlen? Wie viele sind es, die sich trotz Impfung noch anstecken werden und erkranken? 100, 1000, 10.000? 
Studien aus den USA berichten von rund 10.000 Infektionen trotz Impfung. Das ist bei 100 Millionen geimpften Personen wenig. Etwa 1000 Menschen mussten ins Krankenhaus, knapp über 200 meist ältere Patienten starben. Österreich ist viel kleiner als die USA. Stand letzte Woche gab es bei über vier Millionen vollständig Geimpften 314 Fälle, von denen 32 im Krankenhaus behandelt wurden oder werden. Weitere 16 Personen sind leider verstorben. Auch das ist aber wenig und heißt: Die Impfung schützt ausgezeichnet. Das große Problem für uns im Gesundheitssystem sind die Ungeimpften.

Ich will als Geimpfter genauso einen milden Verlauf mit unbekannten Langzeitfolgen vermeiden und keinen Ungeimpften anstecken, der womöglich schwer erkrankt. Was ist jetzt ein sinnvolles Verhalten für mich?
Massenveranstaltungen vermeiden, weil da eine höhere Anzahl Nichtgeimpfter anzutreffen sein wird. Maske tragen, wo viele Menschen auf engem Raum sind. Also zum Beispiel in Einkaufszentren. Gastronomiebetriebe meiden, die sich weder an die 3-G-Regel noch an die Registrierungspflicht halten.

Auch unter den Ungeimpften gibt es sicher viele, die nicht als Virenschleuder durch die Gegend laufen wollen. Von jenen, die sich nach Vorerkrankungen nicht impfen lassen können, gar nicht zu reden. Wie sieht da ein vernünftiges Alltagsleben aus?
Maske tragen, auch im Sommer, obwohl es bitter ist. Abstand halten.

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Im Herbst werden Ungeimpfte sterben. Ohne jegliche Notwendigkeit.

Florian Thalhammer, Arzt und Infektiologe

Wo die Bundesregierung unbestritten recht hatte, das war, dass es im Sommer genug Impfstoff für alle geben würde. Sie haben immer gesagt, die Durchimpfungsrate sollte 80 bis 85 Prozent betragen. Derzeit halten wir bei rund 50 Prozent. Fällt Ihnen irgendetwas Neues ein, um Impfverweigerer zu überzeugen?
So hart es klingt: Wer sich nicht impfen lassen will, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit anstecken, mit geringerer Wahrscheinlichkeit erkranken und kann daran sterben. Im Herbst werden Ungeimpfte sterben. Ohne jegliche Notwendigkeit. Will irgendwer wirklich Party im Urlaub, um noch gelebt zu haben, bevor der Sensenmann kommt?

Das neue Schlagwort der Regierung lautet Eigenverantwortung, also frage ich Sie als Arzt: Genügt das, oder brauchen wir eine Impfpflicht?
Emotional sage ich, dass wir die Impfpflicht brauchen! Rational ist es besser, wir könnten alle überzeugen. Denn bei einer Pflicht folgt die Schlammschlacht mit eingefleischten Impfgegnern. Aber mit Schlammschlachten kennen sich Politiker aus, oder?

Porträt von Kronen Zeitung
Kronen Zeitung
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