Etwa 100.000 Kinder und Jugendliche sind in Österreich bislang an Covid erkrankt, zehn Prozent von ihnen schwer. Zwei Betroffene erzählen über ihren langen Leidensweg.
Das H-förmige Gebäude am Rande von Rohrbach in Oberösterreich wirkt freundlich. Weiß dominiert bei der Einrichtung, dazwischen stehen dick gepolsterte Sofas und Sessel in Pastelltönen, an den Wänden hängen bunte Bilder. Und aus den Fenstern sind Wiesen und Wälder zu sehen.
„Unsere Patienten“, sagt Ulrike Obermayr, kaufmännische Direktorin des Rehazentrums Kokon, „sollen sich bei uns wohlfühlen.“ In ihren schwierigen Situationen. Die Einrichtung bietet Platz für 77 Kinder und Jugendliche, die teilweise an massiven Erkrankungen leiden. Und laufend mehr sind Buben und Mädchen unter ihnen, die mit Corona infiziert waren - und dadurch schwere Schäden davongetragen haben.
Wie die 16-jährige Katharina Kampl aus dem Innviertel. „Im vergangenen Februar wurde ich mit dem Virus angesteckt“, erzählt die Schülerin.
„Nichts mehr ist jetzt so wie früher“
Wo, bei wem - weiß sie nicht. „Ich habe die Gefahr, die von Covid ausgeht, nie unterschätzt“, betont sie auch gleich, „und Vorsichtsmaßnahmen eingehalten. Schon alleine wegen meines Opas, der mit meinen Eltern, meinem kleinen Bruder und mir unter einem Dach wohnt.“
Trotzdem - es ist geschehen: „Plötzlich bekam ich hohes Fieber, hatte starke Gliederschmerzen, mir war extrem schwindelig, ich musste erbrechen.“ Ein PCR-Test brachte schließlich die Gewissheit, „dass ich Corona-positiv war“.
Eineinhalb Monate hindurch konnte ich kaum mein Bett verlassen.
Katharina (16)
Wirklich fit, berichtet Katharina, fühlte sie sich „nach der schrecklichsten ,Grippe‘, die ich je hatte“, nie mehr. Nicht, als sie endlich „negativ“ gewesen ist; und auch später nicht: „Eineinhalb Monate hindurch konnte ich kaum mein Bett verlassen.“
Und als es dann endlich so weit war und die 16-Jährige versuchte, in ihren Alltag zurückzukehren, „merkte ich, dass nichts mehr so war wie früher“.
Jede Bewegung bedeutete einen Kraftakt, „ich hatte Schwierigkeiten beim Atmen und schwitzte rasch“. Für die Schule zu lernen „schien mir beinahe unmöglich, weil ich es nicht schaffte, den Stoff zu erfassen“.
Letztlich wurde bei dem Mädchen Long Covid diagnostiziert. Katharinas Schicksal - kein Einzelfall.
Es kommt gar nicht so selten vor, dass junge Menschen schwer an Corona erkranken - und sie nach einer Infektion an massiven Folgeerscheinungen leiden.
Evelyn Lechner, die ärztliche Direktorin des Rehazentrums
„Es kommt gar nicht so selten vor“, weiß Evelyn Lechner, die ärztliche Direktorin des Rehazentrums, „dass junge Menschen schwer an Corona erkranken - und sie nach einer Infektion an massiven Folgeerscheinungen leiden, die mitunter langwierige Therapien erfordern.“
„Ich fühle mich oft noch immer sehr schwach“
Auch bei Katharina war das so. Am 15. April wurde sie im „Kokon“ aufgenommen. Drei Wochen sollte der Aufenthalt dauern, doch es war notwendig, ihn auf fünf auszudehnen.
Gedächtnisübungen, Physio- und Ergotherapien, Muskelaufbau- und Atemtraining - „mein Stundenplan ist straff gewesen. Und ich liebte es, mich zwischendurch in den Entspannungsraum der Klinik zurückzuziehen und dort ein wenig zu schlafen.“
Wegen meines monatelangen Ausfalls am Unterricht muss ich die Klasse wiederholen.
Katharina (16)
Die Maßnahmen brachten Erfolg, „ich fühle mich mittlerweile viel besser. Körperlich - und psychisch. Ganz ,die Alte‘ bin ich allerdings noch nicht. Ich habe durch die Krankheit viel Gewicht verloren. Und ich bin manchmal noch immer schwach.“ Was die 16-Jährige belastet: „Wegen meines monatelangen Ausfalls am Unterricht muss ich die Klasse wiederholen.“
Aber sie freut sich über kleine Genesungsschritte, die für sie unendlich groß sind, wie etwa „mit meinem Pferd Ausritte zu machen“.
Zuerst symptomlos, dann ging es ganz schnell
Bald Ski fahren zu gehen - das war das Ziel von Matthias Brandstetter, als er im Februar in das Rehazentrum kam. Eine wahre Odyssee lag da bereits hinter ihm.
„Es dürfte Anfang November 2020 passiert sein“, so der 18-Jährige aus Ried im Traunkreis, „dass ich mich mit Corona infiziert habe.“ Wie? „Ich habe keine Ahnung.“
Die Krankheit verlief zunächst symptomlos, bis sich bei dem Burschen etwa drei Wochen nach der Ansteckung arge gesundheitliche Probleme einstellten, im Magen-Darm-Bereich: „Mir war extrem schlecht, ich musste ständig erbrechen.“
„Meine Organe hörten auf zu arbeiten“
Seine Mutter suchte mit ihm in der Folge mehrere Ärzte auf: „Sie waren alle ratlos.“ Selbst noch, als Matthias schlimme Ausschläge an den Armen bekam. Dann wurde aber doch ein PCR-Test bei ihm gemacht. Ergebnis: „leicht positiv“. Daraufhin wurde der HTL-Schüler ins Krankenhaus Kirchdorf gebracht: „Quasi 5 vor 12.“
Im Spital geschah ein genauer Durchcheck. Diagnose: Der Bub litt an PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrom), einer zu diesem Zeitpunkt erst wenig bekannten Corona-Folgeerkrankung bei Kindern und Jugendlichen.
„Einer Erkrankung, die“, so Evelyn Lechner, „bei nicht rechtzeitiger Erkennung tödlich sein kann.“
Viele der betroffenen Patienten müssen auf Intensivstationen behandelt werden: „Weil ihre Herzen, ihre Lungen und andere Organe zu versagen drohen.“
„Ich lag zwei Wochen auf der Intensivstation“
Nach häufig „unspektakulären“ Covid-Infektionen. Lechner: „Bei einem nicht geringen Teil wird die Ansteckung zunächst nicht entdeckt. Erst nach etwa 14 bis 21 Tagen tritt dann PIMS auf. Mit trügerischen Anzeichen, vorwiegend mit Erbrechen und Durchfall. Sodass die Eltern der Patienten zunächst Blinddarmentzündungen oder Lebensmittelvergiftungen vermuten.“
Zurück zu Matthias: Bald nach seiner Aufnahme im Krankenhaus verschlechterte sich sein Zustand dramatisch, daher wurde er mit dem Hubschrauber nach Linz ins Kepler Uniklinikum geflogen, wo er auf die Intensivstation kam und in künstlichen Tiefschlaf versetzt wurde. Weil sämtliche seiner Organe zu arbeiten aufgehört hatten.
„14 Tage bin ich total ,weg‘ gewesen, bis ich am 30. Dezember aufgeweckt wurde.“ Danach blieb der Jugendliche über zwei Wochen auf einer Normalstation.
„Und bei meiner Entlassung wiesen mich die Ärzte darauf hin, dass mein Herz leider noch nicht voll funktioniere.“
Im „Kokon“ habe er langsam gelernt, „mich wieder zu bewegen. Anfangs bedeutete jeder kleine Schritt für mich eine enorme Belastung. Und ich war so glücklich, als ich irgendwann zwei Stufen auf einmal hinaufsteigen konnte.“
Sein Traum, noch in diesem Jahr auf Skiern zu stehen, hat sich - entgegen der Prognosen der Mediziner - erfüllt. „Im April bin ich mit meinem Papa zwei Stunden lang ein paar Hänge hinabgefahren.“
Diese grauenhafte Krankheit wollen wir nie wieder bekommen.
Katharina und Matthias
Katharina und Matthias: Beide haben mittlerweile in die „Normalität“ zurückgefunden; beide sind weiterhin in Behandlungen und müssen sich regelmäßig Durchchecks unterziehen; beide wollen sich gegen Corona impfen lassen. Und beide sagen: „Diese grauenhafte Krankheit wollen wir nie wieder bekommen.“
Ärzte im Talk: „Die Fälle werden immer mehr“
Zunehmend sind Hausärzte mit Kindern und Jugendlichen konfrontiert, die nach Corona-Ansteckungen unspezifische Symptome aufweisen.
„Wie etwa Durchfall und Bauchweh“, so Alireza Nouri aus Wiener Neudorf (NÖ): „Dann muss daran gedacht werden, dass PIMS - eine Überreaktion des Immunsystems, die Entzündungen auslöst - die Ursache der Beschwerden sein könnte. Und daher umgehend eine Einlieferung der Patienten in ein Spital vonnöten ist.“
Selbes berichtet der Wiener Long-Covid-Spezialist Ramin Nikzad; und dass er viele Minderjährige behandelt, die an Spätfolgen der Virus-Erkrankung leiden, „an Gedächtnisstörungen, Müdigkeit, Kopf- und Gliederschmerzen“. Ihre Therapie? „Mit diversen Trainingsprogrammen - und mit Medikamenten, etwa Antihistaminen.“
Beide Mediziner sind sich einig: „Es sollten mehr Plätze für junge, einst mit Corona infizierte Menschen in Rehazentren geschaffen werden.“
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