Arzt über Impfmythen:

„Mussten auch junge Patienten sterben sehen“

Coronavirus
04.08.2021 17:50

Man wird unfruchtbar, man kann sich trotzdem anstecken, es gibt fürchterliche Nebenwirkungen und manche sterben sogar daran - die Mythen zur Impfung gegen das Coronavirus halten sich hartnäckig. Inzwischen sind in Österreich 60 Prozent der Menschen erstgeimpft und 52 Prozent doppelt. Um gut durch den Herbst zu kommen, reicht das nicht - es braucht also mehr Aufklärung. Dr. Markus Zeitlinger leitet die klinische Pharmakologie an der MedUni Wien, und er hat bei krone.tv im Gespräch mit Damita Pressl zu den häufigsten Impfmythen Stellung bezogen.

1. Virologen und Experten sind sich ja selbst nicht einig - es gibt ganz viele Mediziner, die die Impfung für schädlich halten, aber die Medien zeigen nur eine Seite.
„Mehr Transparenz, als wir bei diesen Impfstoffen hatten, hatten wir noch nie bei irgendeinem Medikament, das jemals zugelassen wurde“, sagt Zeitlinger. Es gebe viel mehr Daten als bei anderen Medikamenten, die zugelassen werden. „Und jeder Arzt - auch die, die hier angeblich mundtot gemacht werden - kann selbstständig Nebenwirkungen melden, in eine sogenannte Pharmakovigilanzdatenbank. Das wird zentral ausgewertet.“ Einzelne Ärzte gebe es natürlich, die „abstruse Kommentare“ getätigt hätten - so wie es wohl auch einzelne Umweltforscher gibt, die den Klimawandel als nicht menschengemacht bezeichnen - aber das sei „ganz sicher nicht die Mehrheit“. Die meisten Experten sind sich also sehr wohl einig, aber: „Jeder sucht sich aus der unglaublichen Medienvielfalt das heraus, was er selbst hören will“, sagt Zeitlinger.

2. Die Virologen, die für die Impfung eintreten, bekommen von der Pharmaindustrie Geld, Posten oder sonstige Vorteile - sind also gekauft.
„Ich selber habe für kein einziges Interview auch nur einen einzigen Euro bekommen. Ich möchte dafür auch nichts haben, das ist Teil meines Jobs als Professor an einer Universität. Auch von den Pharmafirmen habe ich kein Geld zugesteckt bekommen.“ Bezahlung gebe lediglich für Gutachten für die EMA, die Europäische Arzneimittelagentur, im Rahmen der Zulassungsverfahren, und für das Behandeln von Covid-19-Patienten als Arzt. „Aber das ist halt leider mein Job, genauso wie der Automechaniker ein kaputtes Auto repariert.“

Besuch im „Krone“-Studio: Dr. Markus Zeitlinger ist interimistischer Vorstand der Uniklinik für Klinische Pharmakologie. (Bild: krone.tv)
Besuch im „Krone“-Studio: Dr. Markus Zeitlinger ist interimistischer Vorstand der Uniklinik für Klinische Pharmakologie.

3. Die Impfungen haben noch immer nur eine Notfallzulassung von der EMA und sind daher gefährlich.
In der EU gibt es keine „Notfallzulassungen“, nur in den USA. „Wir erteilen eine konditionelle Zulassung. Hierfür braucht es schon klare Daten, die zeigen, dass die Nutzen höher sind als die Kosten - dass die Impfung wirkt, und dass keine schwerwiegenden Nebenwirkungen bestehen.“ Die volle Zulassung fehle lediglich deswegen, weil man zu dem Zeitpunkt noch keine Daten über Jahre hinweg haben konnte. „Das wollte aber auch so gut wie niemand“, meint Zeitlinger. „Wir wollten ja den Impfstoff schnell haben und haben am Ende um jeden Tag diskutiert.“ Die konditionellen Zulassungen heißen also einzig: Man muss nach einem Jahr nochmals Daten nachliefern, sonst gehen sie wieder verloren. Sie werden außerdem sehr bald in „normale“ Zulassungen umgewandelt.

Aber dann haben wir ja gar keine Langzeitdaten?
Stimmt, aber Jahre nach einer Impfung passiert auch nichts mehr. Sehr seltene Spätfolgen können etwa anhaltende Organschäden durch Thrombosen sein. Die Thrombose selbst, also der Auslöser für die Spätfolge, geschieht aber kurz nach der Impfung. Es gibt keinen Impfstoff, bei dem man sich impfen lässt, nichts spürt, und ein Jahr später Probleme hat, sagt Zeitlinger: „So etwas haben wir noch nie gesehen, auch nicht bei Impfstoffen, die wir jahrzehntelang nachverfolgt haben. Das gibt es nicht.“

(Bild: Einöder Horst)

4. Die mRNA-Impfungen von Biontech/Pfizer und Moderna sind keine Impfungen, sondern genetische Eingriffe.
„Das funktioniert so nicht.“ mRNA kann nicht zum Erbgut zurückkehren oder in Erbgut „rückverwandelt“ oder integriert werden. Das ist biologisch schlicht unmöglich, erklärt Zeitlinger.

5. Es gibt ganz viele Fälle von Impfschäden und Menschen, die von der Impfung schwer krank wurden oder daran gestorben sind.
„Ich kenne auch solche Menschen, weil sie natürlich im AKH behandelt wurden. Es gibt einzelne Fälle. Inzwischen weiß man auch, dass Vektorimpfstoffe sehr selten Thrombosen auslösen können. Aber dass jeder das in seinem Bekanntenkreis gesehen hat, kann nicht stimmen“, so der Mediziner. Es handle sich statistisch nämlich um einen Fall bei mehreren Hunderttausend Impfungen.

6. Die Geimpften laufen herum, als wären sie unsterblich - halten keinen Mindestabstand ein, schütteln allen die Hände, sind völlig unvorsichtig. Da ist man als ungeimpfter, vorsichtiger Mensch besser dran.
„Das kann man nicht ganz von der Hand weisen, dass sich Geimpfte sehr sicher fühlen.“ Es sei niemandem verboten, trotz Impfung die Maske zu tragen, sagt Zeitlinger, „und es gibt Personen, denen ich das sogar raten würde: sehr alte Menschen oder Menschen, die ein schlechtes Immunsystem haben.“

(Bild: ©PhotoSG - stock.adobe.com)

7. Es ist doch völlig egal, ob man sich impfen lässt. Auch Geimpfte können sich und andere anstecken.
„Das ist grundsätzlich nicht falsch, man muss es nur in Relation sehen“, erklärt Zeitlinger: Die Impfstoffe hätten eben nur eine Wirksamkeit von rund 90 Prozent, und so gebe es auch sogenannte Durchbruchinfektionen. Die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, ist, wenn man geimpft ist, nur noch ein Zehntel von jener bei Ungeimpften. Ähnlich verhält es sich bei der Frage, ob man trotz Impfung ansteckend ist: „Wenn man geimpft ist und sich ansteckt, dann scheidet man weniger Virus aus und auch weniger lang als jemand, der ungeimpft ist. Aber man scheidet immer noch Virus aus.“ Die Delta-Variante verstärke diesen Effekt zusätzlich.

8. Junge Menschen brauchen sich nicht impfen lassen, denn sie haben keine schweren Covid-Verläufe.
„Da hat uns leider die Realität etwas anderes gezeigt. Es rinnt einem jedes Mal kalt über den Rücken, wenn man jungen Patienten, die vorher gesund waren, beim Sterben zusehen muss. Das stimmt einfach nicht. Junge oder relativ junge Menschen sterben, auch Kinder können sehr schwer erkranken und ein Langzeitinflammationssyndrom entwickeln.“

9. In der Zeit, bis der Körper von der Impfung Antikörper bildet, kann man andere anstecken, weil einem das Virus direkt in den Körper gespritzt wird.
„Das ist einfach Unsinn. Das Virus wird nicht in den Körper gespritzt - weder bei einem Vektor- noch bei einem mRNA-Impfstoff.“ Es handle sich nur um die Bauanleitung des Spike-Proteins, das dem Virus zwar hilft, in die Zelle einzudringen, allein aber völlig harmlos ist, erklärt Zeitlinger. „Das ist komplett unmöglich.“

10. Die Wissenschaftler revidieren ja ständig selbst ihre Aussagen, wissen viele Dinge noch nicht, ihre Meinung wird ständig von neuen Fakten überholt. Wie soll man da der Expertise vertrauen?
„Das ist nicht ganz falsch. Wir haben immer wieder Sachen gelernt - auch wir haben ja vorher keine Pandemie durchgemacht. Ein ganz wichtiger Satz, den Wissenschaftler auch öfter in den Mund nehmen sollten, ist: ‚Ich weiß es nicht.‘“ Zeitlinger selbst habe hier und da auch Dinge gesagt, die sich als nicht ganz richtig herausgestellt haben: „Dafür kann ich mich gerne entschuldigen. Zu dem damaligen Zeitpunkt habe ich das als richtig erachtet. Unsere Aufgabe ist es, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. Dass man sich da manchmal korrigieren muss, ist ganz normal und sollte eher Vertrauen schaffen.“

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