OGH-Urteil

Corona-Isolation für Demenzkranke war rechtswidrig

Wien
05.08.2021 16:10

Zehn Tage lang durfte eine an Demenz erkrankte betagte Wienerin im Vorjahr ihr Einzelzimmer in einer Krankenanstalt nicht verlassen und während dieser Isolation keinen Besuch empfangen, obwohl sie drei Mal negativ auf das Coronavirus getestet worden war. Das war rechtswidrig, urteilte nun der Oberste Gerichtshof.

Die Frau war im April 2020 zu Hause gestürzt und hatte sich eine Schienbeinkopffraktur zugezogen. Nach zwei negativen Corona-Tests in einem Spital, wo sie zuerst behandelt worden war, musste die Wienerin einen dritten Test durchführen lassen, als sie zur Nachbehandlung in eine andere Krankenanstalt aufgenommen wurde. Auch dieser Test verlief negativ. Dessen ungeachtet sahen die internen Bestimmungen vor, dass neu aufgenommene Bewohnerinnen und Bewohner präventiv trotz negativem SARS-CoV-2-Befund ausnahmslos einer mindestens zehntägigen sogenannten Screening Isolation unterzogen wurden.

Erst nach Ablauf von acht Tagen hatte eine neue Testung auf das Virus zu erfolgen. Das wurde bei der Patientin, die an Demenz und Parkinson leidet, durchgezogen. Dabei lauteten die damaligen Empfehlungen des Gesundheitsministeriums zum Umgang mit den Covid-19-Schutzmaßnahmen in Pflege- und Betreuungsverhältnissen, dass bei Verdachtsfällen bei Vorliegen eines negativen Testergebnisses die Isolationsmaßnahmen aufgehoben werden können.

Symbolbild (Bild: APA/dpa/Karl-Josef Hildenbrand)
Symbolbild

Dennoch wurde der Demenzkranken gesagt, dass sie ihr Einzelzimmer nicht verlassen dürfe. Pflegekräfte bemerkten, dass sich die Frau damit schwertat und Nähe gebraucht hätte und diese auch wünschte. Dessen ungeachtet hatte sie zehn Tage lang keinerlei Kontakt zu anderen Bewohnern, und alsbald zeigten sich bei ihr - wie der OGH in seiner nunmehrigen Entscheidung betont - durchgehend dokumentierte Gefühle von Einsamkeit, Angst, agitiertes Verhalten wie Schreien und eine sichtliche Zunahme von Schmerzen.

Die Isolierung der demenzkranken Frau wurde dem Verein, der sie betreut, zunächst nicht gemeldet. Als dieser davon endlich Kenntnis erlangte, ließ er die vom 8. bis zum 18. Mai vorgenommene Freiheitsbeschränkung gerichtlich überprüfen. Der Verein verwies auf den Umstand, dass die Betroffene drei Mal negativ getestet worden war, außerdem sei die der Frau unterstellte Eigen- und Fremdgefährdung nicht entsprechend dokumentiert worden.

Der Justizpalast in Wien, Sitz des Obersten Gerichtshofes (Bild: APA/Roland Schlager)
Der Justizpalast in Wien, Sitz des Obersten Gerichtshofes

Krankenanstalt zog bis vor den OGH
Bereits das Erstgericht sprach aus, dass das Isolieren der Frau nicht zulässig war. Das Rekursgericht legte noch eins drauf: Demnach war die Isolation schon deshalb rechtswidrig, weil keinerlei Dokumentation zum Grund der Freiheitsbeschränkung erfolgt war. Die Leitung der Krankenanstalt gab sich damit nicht zufrieden, sie meldete gegen diese gerichtlichen Feststellungen einen außerordentlichen Revisionsrekurs an und ging somit bis zum OGH. Auch dort blitzte man ab.

Der OGH verwies auf eine Bestimmung des Heimaufenthaltsgesetzes, derzufolge eine Freiheitsbeschränkung nur dann zulässig ist, wenn entweder das Leben oder die Gesundheit des Bewohners oder das Leben oder die Gesundheit anderer Personen gefährdet ist. Darüber hinaus muss ein kausaler Zusammenhang zwischen der psychischen Krankheit bzw. geistigen Behinderung und der Gefährdung von Leben oder Gesundheit bestehen.

Im konkreten Fall gab es aber laut OGH „keine Indizien dafür, dass von der Bewohnerin eine über die von jedem Menschen ausgehende Gefahr der Ansteckung mit Covid-19 ausging“. Auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung der Bewohnerin und dem Risiko anderer Bewohner, von ihr mit Covid-19 infiziert zu werden, habe nicht bestanden.

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