Russlands Botschafter:
„Nawalny wird kein zweiter Nelson Mandela“
Der russische Botschafter in Österreich nimmt im Interview mit der „Krone“ zu Streitfragen und Vorwürfen Stellung.
Russische Botschaft in der noblen Reisnerstraße im dritten Wiener Gemeindebezirk. Seit 130 Jahren residieren die Russen (mit Unterbrechungen in den beiden Weltkriegen) in dem im Stil der Wiener Neorenaissance erbauten Stadtpalais, das heute noch den Namen seines Vorbesitzers, des Herzogs Adolf von Nassau trägt, der hier von 1874 bis zum Verkauf an die Russen 1891 residiert hatte. Hier fanden 1961 das historische Treffen von Nikita Chruschtschow mit John F. Kennedy und die Verhandlungen zwischen Leonid Breschnew und Jimmy Carter statt.
Hinter dem Palais, erzählt Botschafter Dmitrij Ljubinskij nicht ohne Stolz, wurde in den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts die russisch-orthodoxe Kathedrale zum Heiligen Nikolaus erbaut - auf russischer Erde, die dafür eigens nach Wien transportiert worden war. Botschafter Ljubinskij war bereits in Bonn und Berlin stationiert und ist schon zum zweiten Mal in Wien. Das erklärt sein ausgezeichnetes Deutsch. Das Wienerisch, sagt der Diplomat mit einem Lächeln, würde er besonders gern hören.
„Krone“: Herr Botschafter, Österreich und Russland haben aus der Geschichte begründet traditionell gute Beziehungen. Inwieweit sind diese durch die EU-Sanktionen gegen Russland und das schwierige Verhältnis zwischen Moskau und Brüssel belastet?
Dmitrij Ljubinskij: Nach meiner tiefen Überzeugung gehört Österreich zu jenen Ländern, die sich nicht von der allgegenwärtigen Russland-Hysterie mitreißen lassen und zu uns ein pragmatisches und auf eine gegenseitige vorteilhafte Zusammenarbeit ausgerichtetes Verhältnis pflegen. Wir wissen die Bereitschaft Wiens, den konstruktiven und offenen Dialog mit Moskau aufrechtzuerhalten, zu schätzen. Trotzdem kann der Umfang unserer Zusammenarbeit vom Zerfall der Beziehungen zwischen Russland und der EU nicht unberührt bleiben. Es wird daher nicht einfacher. Aber Differenzen lassen sich nur in einem offenen Dialog miteinander überwinden.
Österreich und Russland haben etwa bei der Pipeline Nord Stream 2 gemeinsame Interessen. Wie können diese noch vertieft werden?
Unsere strategische Partnerschaft im Energiebereich ist eine absolute Erfolgsgeschichte. Sie funktioniert seit mehr als einem halben Jahrhundert einwandfrei und wird sicherlich auch in neuen Formen fortgesetzt, auch mit dem Schwerpunkt „grüne Technologie“. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern entwickeln sich nachhaltig. Trotz der bekannten Schwierigkeiten steigt das Investitionsvolumen in beiden Richtungen. Es besteht also noch großes Potenzial.
Die EU und auch Österreich verlangen die Freilassung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny. Was antworten Sie auf die schweren Vorwürfe aus dem Westen?
Erstens werden wir die Einmischung in unsere innerstaatlichen Angelegenheiten in keiner Form dulden. Jegliche Forderungen politischer Natur, von wem auch immer sie kommen mögen, weisen wir entschieden zurück. Zweitens sind die Versuche seiner westlichen Sponsoren, aus dem Gesetzesbrecher Nawalny eine Art Opferikone zu machen, fehlgeschlagen. Aus Nawalny wird kein zweiter Nelson Mandela.
Aber wie kann Russland im Herbst freie Duma-Wahlen garantieren, wenn Nawalny in Haft ist und kritische Medien zugesperrt werden?
Ihre Fragestellung - bei allem Respekt - zeugt von Schablonendenken. In der russischen Presse wird keinesfalls so ein einseitiges Bild präsentiert wie in westlichen Medien. Solche Doppelstandards sind überall zu finden. Nehmen wir die Ukraine, wo russischsprachige Medien massenhaft gesperrt werden und die Muttersprache von fast der Hälfte der Bevölkerung aus dem offiziellen Gebrauch fast verdrängt wird. Im modernen, toleranten Europa scheint das fast niemanden zu stören. Nur weil es antirussisch ist? Die Wahl jedenfalls wird unter Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen und unter Teilnahme einer entsprechenden Anzahl internationaler Beobachter abgehalten werden.
Wie erklären Sie das Phänomen, das Sie als Russophobie bezeichnen?
Das ist ein Prozess, der seit Jahren läuft. Der Kern der Geschichte liegt in der inneren Zerstrittenheit der EU - siehe Brexit. Ein gemeinsamer Außenfeind macht es da leichter, Geschlossenheit zu demonstrieren. Das ist meine persönliche Einschätzung. Aber der tiefe Graben in den Beziehungen ist sehr schade. Historiker könnten die jetzige Zeit rückblickend einmal als „Ära der verpassten Chancen“ einstufen. Wir haben gemeinsame Herausforderungen, denen wir alleine nicht gewachsen sind, wie ja auch die Pandemie zeigt. Da werden aus geopolitischen Gründen oder unsauberer Konkurrenz viele Chancen vergeben.
Wie könnten die Beziehungen zwischen Russland und der EU verbessert werden?
Man kann den Zustand der Beziehungen nicht einmal als unzufriedenstellend bezeichnen - sie liegen ganz am Boden. Der Dialog fehlt fast vollkommen. Und das geht nicht von Russland aus. Die EU war immer unser größter Handelspartner, und wir sehen keinen logischen Grund, diese Verbindung zu zerreißen. Einen Weg aus dieser tiefen Sackgasse können wir aber nur gemeinsam finden. Das kann aber nur geschehen, wenn unsere Partner in Brüssel endlich einsehen, dass unsere Beziehungen nur auf den Grundsätzen der Gleichberechtigung, des gegenseitigen Respekts und der Achtung der Interessen des jeweils anderen basieren können. Sie dürfen nicht als „Belohnung“ für das Erfüllen bestimmter fragwürdiger Vorbedingungen missbraucht werden. In diesem Zusammenhang kann ich aber leider nur sagen: Im Westen nichts Neues.
Was kann man tun, um den immer noch blutigen Konflikt in der Ukraine nach all den Jahren mit den vielen Todesopfern zu entschärfen?
Das sollten Sie besser die werten Kollegen in Kiew fragen, die alles Denkbare und auch Undenkbare unternehmen, um das Minsker Abkommen zu untergraben. Das Abkommen ist der einzige Schlüssel zur Bewältigung der Krise, und es liegt seit mehr als sechs Jahren auf dem Tisch. Umgesetzt sind die dort verankerten Bestimmungen vonseiten der Ukraine noch immer nicht. Es stellt sich also die Frage, ob die Machthaber in Kiew überhaupt an einer Lösung interessiert sind. Oder sich so eine leisten könnten - siehe Nationalisten.
Wird Russland die annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim jemals an die Ukraine zurückgeben?
Die Krim ist unabdingbarer Teil der Russischen Föderation. Das ist historisch bedingt, und so wird es auch bleiben. Das ist die freie und souveräne Entscheidung der Bürger der Halbinsel, und diese sollte von der Weltgemeinschaft respektiert werden. Sie können die Krim gerne besuchen und sich selbst ein Bild machen. Vorausgesetzt, dass Sie keine Sanktionen dafür befürchten und Sorge haben, auf die berüchtigte „Mirotworez“-Liste der Staatsfeinde der Ukraine gesetzt zu werden.
US-Präsident Biden hat den russischen Präsidenten Putin vor wenigen Tagen als „gefährlichen Mann“ bezeichnet. Was entgegnen Sie dem US-Präsidenten?
Es übersteigt meine Kompetenz, die Aussagen von Präsident Biden zu interpretieren. Aber das Ganze erinnert mich an die Zeiten und die Mentalität des Kalten Krieges. Mit dem Unterschied, dass die Welt damals viel berechenbarer war, denn es gab klare Spielregeln.
Nach dem Gipfel Biden-Putin in Genf haben jetzt die vereinbarten Abrüstungsgespräche begonnen. Worum geht es da, und was kann dabei herauskommen?
Das Treffen kann als positiv bewertet werden. Die wichtigsten Fragen sind: Was kann man zur Festigung der strategischen Stabilität unternehmen, was ist zu tun, wenn die fünfjährige Verlängerung des New-Start-Vertrages abgelaufen sein wird, und welche Vereinbarungen kann es geben, um für die gemeinsamen Herausforderungen der strategischen Sicherheit gewappnet zu sein. Mal sehen, was dabei herauskommt.
Was sagen Sie zu den Vorwürfen, Russland würde hinter den Erkrankungen von mehr als 100 Amerikanern an der US-Botschaft in Wien am Havanna-Syndrom stecken?
Die ganze Geschichte könnte aus dem Drehbuch für einen schlechten Hollywood-Streifen über Spione stammen. Die US-Behörden haben selber zu dieser Frage noch keine einheitliche Meinung, aber das Highly-Likely-Prinzip, also das Höchstwahrscheinlichkeits-Prinzip, findet gleich Anwendung. Es können nur die Russen sein. Wer sonst? Wissenschaftliche Begründungen oder zumindest plausible Erklärungen werden nicht geliefert. Warum auch, das lässt sich nicht so gut verkaufen. Ich bin kein Anhänger von Verschwörungstheorien. Also: No comment. Kein Kommentar. Und meinen amerikanischen Kollegen wünsche ich beste Gesundheit.
Zuletzt noch etwas Persönliches, Herr Botschafter: Essen Sie lieber Wiener Schnitzel oder Tafelspitz?
Beides, aber in umgekehrter Reihenfolge: Also einmal Suppe mit Tafelspitz, das nächste Mal Wiener Schnitzel. Was mich als Botschafter aber sehr freut, ist, dass vielen unserer österreichischen Freunde und Partner die russische Küche sehr gut schmeckt. Es beruht also auf Gegenseitigkeit. Und Gegenseitigkeit gehört zu den wichtigsten Spielregeln der Diplomatie.
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