Kunduz gefallen
Taliban erobern einstigen Bundesheer-Einsatzort
Rund 20 Jahre waren Soldaten - vorwiegend des Jagdkommandos - des österreichischen Bundesheeres als Teil der internationalen „ISAF“-Truppe in Afghanistan stationiert, sicherten dort 2005 die demokratischen Wahlen in der Stadt Kunduz. Im Juni zog der letzte österreichische Soldat ab. Wenige Wochen später ist die Provinzhauptstadt, in der einst unter österreichischem Schutz gewählt wurde, nun wieder in der Hand der radikalislamischen Taliban.
Nach heftigen Gefechten ist die 370.000-Einwohner-Stadt im Norden Afghanistans am Sonntag an die militanten Islamisten gefallen. Die Taliban hätten die wichtigsten Regierungseinrichtungen erobert, bestätigten drei Provinzräte der dpa. Kunduz wurde seit Wochen belagert, seit 2015 fiel die Stadt dreimal in die Hände der Islamisten. Zuletzt brachten die Taliban innerhalb von drei Tagen vier Provinzhauptstädte unter ihre Kontrolle.
Österreicher sicherten 2005 Wahl in Kunduz
2005 wurde in Kunduz noch demokratisch gewählt: Rund 100 Soldaten des Bundesheeres sicherten damals den Urnengang. Seit Dezember 2001 war das Bundesheer mit wechselnder Mannstärke am internationalen „ISAF“-Einsatz in Afghanistan beteiligt und unterstützte die Bündnispartner unter anderem mit Patrouillen- und Wachaufgaben. 2015 erhielt ein Soldat des Bundesheeres für die Rettung eines verwundeten US-Soldaten nach einem Taliban-Angriff eine Auszeichnung der US-Armee.
Bilderstrecke: Bundesheersoldaten im Einsatz in Afghanistan
Kunduz und Afghanistan versinken im Chaos
Heute, nur wenige Wochen nach dem Abzug der letzten „ISAF“-Soldaten, versinkt Afghanistan im Chaos: Provinz um Provinz fällt an die militanten Islamisten der Taliban. In den vergangenen zwei Tagen intensivierten diese in Kunduz ihre Angriffe, teilten die Provinzräte mit. Abgesehen von einer Militärbasis rund drei Kilometer vom Stadtzentrum und dem Flughafen kontrollierten die Taliban nun die ganze Stadt.
Dorthin seien auch die unter österreichischer Aufsicht gewählten Regierungsvertreter geflüchtet. Die Menschen in der Stadt hätten weder Wasser noch Essen. Sie hielten sich in ihren Häusern versteckt.
Regierungsvertreter unter Mörserfeuer
Zuvor war bereits Sar-i Pul in der gleichnamigen Provinz an die Islamisten gefallen. Alle Vertreter der Regierung hätten sich dort in eine Militärbasis rund einen Kilometer vom Zentrum der Stadt zurückgezogen, die belagert werde. Die Taliban würden Mörsergranaten auf die Basis feuern. Sar-i Pul hat geschätzt 180.000 Einwohner.
Am Freitag war bereits die kleine Provinzhauptstadt Zaranj in Nimroz an der iranischen Grenze praktisch kampflos an die Taliban gefallen. Am Samstag folgte die Stadt Sheberghan in Jowzjan im Norden, Machtsitz des umstrittenen ehemaligen Kriegsfürsten und Ex-Vizepräsidenten Abdul Rashid Dostum, eine führende Anti-Taliban-Figur.
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Massive Gebietsgewinne für die Taliban
Seit dem Beginn des Abzugs der internationalen Truppen Anfang Mai haben die Taliban in mehreren Offensiven massive Gebietsgewinne verzeichnet. Sie eroberten zudem mehrere Grenzübergänge. Die US-Militärmission in Afghanistan endet am 31. August. Der Abzug ist US-Angaben zufolge zu mehr als 95 Prozent abgeschlossen.
Die letzten österreichischen Soldaten verließen das Land, in dem das Bundesheer fast 20 Jahre im Einsatz war, bereits Mitte Juni. Verluste gab es beim österreichischen „ISAF“-Einsatz nicht.
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