Altes Handwerk

Die Letzten: Ins Herz gestickt

Vorarlberg
08.08.2021 19:36

In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. In dieser Woche hat er den Sticker Markus Hämmerle in Lustenau besucht.

In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. In dieser Woche hat er den Sticker Markus Hämmerle in Lustenau besucht.

Der Lustenauer Sticker Markus Hämmerle mit einem seiner Meisterwerke. (Bild: Mathis Fotografie)
Der Lustenauer Sticker Markus Hämmerle mit einem seiner Meisterwerke.

Ein sehr gepflegter Mann meines Alters mit weißen, zum Zopf gebundenen Haaren und einer schwarzen Hornbrille schließt mir die Tür zu seiner Firma auf. Der Mann, an dem kein Gramm Fett zu viel ist, strahlt Weltläufigkeit aus, das spüre ich sofort. Es ist, als würde ich Karl Lagerfeld hinterhertapern. Der Mann knipst die Lichter an. Die Firma ist leer. Offensichtlich alle im Urlaub. Er selbst geht in die Küche, macht mir und dem Fotografen Kaffee.

(Bild: Mathis Fotografie)

Derweil blicke ich mich um. Ein atemberaubendes schönes Kleid mit blau-silbernen Applikationen steht als Schaustück im Büro. Überall an den Wänden Fotografien von Dessous in feinster Stickerei. Später wird mir der Mann sagen, dass seine Firma Lingeries für Madonna und „Victoria’s Secret“ hergestellt hat, aber auch gestickte „Briefmarken“ für den Vatikan oder das Fürstentum Liechtenstein.

(Bild: Mathis Fotografie)
(Bild: Mathis Fotografie)

Er heißt Markus Hämmerle und ist Inhaber der traditionsreichen Stickerei „Hämmerle & Vogel“, einem Unternehmen, das alle Wandelbarkeiten des Marktes überdauert hat, was wenigen geglückt ist. Dabei hat alles ganz anders angefangen. „Ich war Windsurfer, habe sogar an einer WM teilgenommen“, erzählt Hämmerle. „Eines Tages hat mich mein Vater in sein Büro zitiert: Wie willst du dir deinen Lebensunterhalt verdienen? Etwa mit Surfen? So bin ich Sticker geworden.“

Von Großvätern und Pantographen
Ein Vater-Sohn-Konflikt lässt sich da erahnen, wie er für unsere Generation so typisch ist. Aber ganz von vorne. Hämmerle, der vergangene Woche sechzig geworden ist, gibt mir einen Crashkurs in Stickereigeschichte, und ich spüre, dass er das schon oft gemacht hat, wenn Besuch kam, ahnungsloser. Versiert erzählt er von den Anfängen, wie seine Großmutter und deren Schwester noch jeden Tag in die Schweiz geradelt sind und dort Handstickereien gefertigt haben. Wie sein Großvater, der einen sogenannten „Pantographen“ besaß, wo die Bewegung zwischen zwei Nadelstichen noch mühsam mit Hilfe eines „Storchenschnabels“ übertragen wurde, im Krieg gefallen ist, weshalb die Maschine stillstand, weil kein anderer sie bedienen konnte. Wie sein Vater als einer der ersten bei der Wirtschaftskammer eine Sondergenehmigung für sein Stickereigewerbe erwirkt hat ...

(Bild: Mathis Fotografie)
(Bild: Mathis Fotografie)

Tatsächlich ist die Geschichte der Stickerei eng verwoben mit dem technischen Fortschritt der vergangenen 130 Jahre. Als es noch keine Fädelmaschine gab (um 1890), wurde von Hand eingefädelt. „Plattstichmaschinen“ hatten bis zu 1000 Nadeln, die Kinder und Frauen sechs bis acht Stunden pro Tag einfädeln mussten. Von der „Schiffchenstickmaschine“ mit Lochkarte wie Markus’ Vater sie anschaffte bis zur modernen Maschine, die lasergesteuert arbeitet, war es ein langer Weg. Ein Weg, der übrigens auch die Geschichte der Mode wiederspiegelt, sogar ein Stück Religionsgeschichte. „In den 60er und 70er Jahren waren noch Tauf- und Kommunionkleider im Schwang, später dann Ballkleider und heute sind wir Spezialisten u. a. für bestickte Unterwäsche, arbeiten mit wiederverwertbaren Materialien.“

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Wir sind in ein feines Restaurant gefahren, am Nachmittag war der Deal perfekt. Es ist eine fünfjährige Zusammenarbeit mit dem Nobelschuhersteller Stéphane Kélian entstanden. In der Folge haben wir auch Schuhe für Jean Paul Gaultier bestickt.

Markus Hämmerle

Er hat das Sticker-Gen, der Markus Hämmerle, und erzählt von einem Coup, der ihm mit einem armenischen Schuhfabrikanten in Frankreich geglückt ist, der die Idee, Lederschuhe zu besticken, zuerst schnoddrig abgetan hat. „Aber zwei Wochen später standen drei vornehme Gentlemen vor meiner Tür. Ich habe mir den Jaguar meines Vaters ausgeliehen. Wir sind in ein feines Restaurant gefahren, am Nachmittag war der Deal perfekt. Es ist eine fünfjährige Zusammenarbeit mit dem Nobelschuhersteller Stéphane Kélian entstanden. In der Folge haben wir auch Schuhe für Jean Paul Gaultier bestickt.“

(Bild: Mathis Fotografie)
(Bild: Mathis Fotografie)

Stickereien im Tresor gesichert
Gänsehaut bekommt er heute noch, wenn er zurückdenkt, wie er in der Philatelie-Abteilung der österreichischen Post anrief und den Vorschlag unterbreitete, textile, gestickte Postwertzeichen zu produzieren. Er habe mit einem „Habe-die-Ehre und auf Wiedersehn!“ gerechnet. Herausgekommen ist ein Auftrag zur Herstellung einer Edelweißmarke, „die meine Frau Iris entworfen hat“, in der Auflage von 400.000 Stück. „Das war unter der Obhut der österreichischen Staatsdruckerei. Wir haben ja eigentlich Bargeld gestickt. Die Tagesproduktion wurde nachts in einen Banktresor gesperrt und später mit Sicherheitstransporten nach Wien gefahren.“

(Bild: Mathis Fotografie)

Markus Hämmerle erzählt mit Passion. Wie er etwa im Vatikan eine Briefmarke präsentierte, ergriffen an der Schweizer Garde in den päpstlichen Palast marschierte, sein Betrieb die ganzen Weihnachtsferien auf Hochtouren lief, weil man in Rom die Marke unbedingt bis Februar haben wollte.

„I tuas no brutal gearn“, sagt er abschließend, und dann weltmännisch auf Hochdeutsch: „Erfolg ist, wenn das Leben geglückt ist. Aber das musst du nicht schreiben.“ Ich schreibe es, weil es ein schöner Satz ist, der stimmt.

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