Arsenale geplündert
Taliban patrouillieren bereits mit Humvees
In Afghanistan schreitet der Vormarsch der radikalislamischen Taliban weiter ungebremst voran. In den vergangenen vier Tagen eroberten die Dschihadisten sechs Provinzhauptstädte - darunter auch den ehemaligen Bundesheer-Einsatzort Kunduz. Zum Teil werden Gebiete den Kämpfern widerstandslos übergeben. Afghanische Soldaten und Polizisten suchen das Weite und hinterlassen Waffen, Munition und Fahrzeuge in Kasernen und auf Militärbasen. Seit einigen Tagen verbreiten sich in den sozialen Netzwerken Videos, die die Islamisten während Patrouillen oder Paraden auf und in Humvees der afghanischen Armee zeigen.
Die meisten Aufnahmen stammen aus Sarandsch, der Provinzhauptstadt von Nimrus an der Grenze zum Iran. Dort soll angeblich kein einziger Schuss gefallen sein. Nachdem die angeforderte Luftunterstützung der Streitkräfte nicht erfolgt war, überließen die Sicherheitskräfte die Stadt denTaliban. Am Montag bestätigten Provinzräte und Parlamentarier den Fall der Stadt Aybak im Norden des Landes. Laut einem Taliban-Sprecher rücken die Kämpfer zudem auf Mazar-i-Sharif vor, der größten Stadt im Norden von Afghanistan. Doch je näher die Islamisten der Hauptstadt Kabul gelangen, desto stärker wird die Gegenwehr.
In den afghanischen Provinzen Kandahar, Khost und Pakria wurden nach UNICEF-Angaben in den vergangenen drei Tagen mindestens 27 Kinder getötet. 136 weitere Minderjährige seien verletzt worden, teilte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen am Montag mit. „UNICEF ist schockiert von der rapiden Eskalation schwerer Verstöße gegen Kinder“, erklärte der für Afghanistan zuständige UNICEF-Repräsentant: „Die Gräueltaten werden von Tag zu Tag schlimmer.
UNO: Heuer bereits 244.000 Menschen geflohen
„Ich bin wegen der sich verschlechternden Situation extrem besorgt“, sagte UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths in einer Stellungnahme des UNO-Nothilfebüros in Genf. Allein im Juli seien mehr als tausend Menschen durch Angriffe in den Konfliktprovinzen Helmand, Kandahar und Herat getötet oder verletzt worden. Griffiths unterstützte die UNO-Forderung nach einem Waffenstillstand. Er forderte zudem Sicherheit und Bewegungsfreiheit für Hilfsorganisationen in dem Land.
Auch die Zahl der Binnenvertriebenen steigt seit Anfang Mai deutlich an. Bis Ende Juli verließen annähernd eine Viertelmillion Menschen in dem Land ihre Dörfer und Städte. Die UNO-Agentur zur Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) bezifferte die Zahl am Montag auf mehr als 244.000 - mehr als viermal so viel wie im gleichen Zeitraum des Vorjahrs. Der Großteil der Binnenflüchtlinge floh demnach aus Provinzen im Nordosten und Osten vor bewaffneten Kämpfen. Die UNO warnt, dass 2021 zum Jahr mit der höchsten Zahl an zivilen Opfern werden könnte.
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Iran wegen möglicher Flüchtlingsbewegungen besorgt
Unterdessen ist nicht nur Europa, sondern auch der Iran wegen einer möglichen, neuen Flüchtlingsbewegung aus Afghanistan besorgt. Der Iran hatte nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979 über drei Millionen afghanische Flüchtlinge einreisen lassen. „Für uns ist die Sicherheit Afghanistans enorm wichtig, und daher verfolgen wir auch besorgt die jüngsten Spannungen“, sagte Außenamtssprecher Saeed Khatibzadeh. Die politischen Differenzen sollten ohne Einmischung aus dem Ausland, sondern über interne Verhandlungen aller Seiten, auch mit den Taliban, gelöst werden. Teheran sei bereit, im Rahmen einer regionalen Zusammenarbeit mitzuhelfen.
Massive Gebietsgewinne für die Taliban
Seit dem Beginn des Abzugs der internationalen Truppen Anfang Mai haben die Taliban in mehreren Offensiven massive Gebietsgewinne verzeichnet. Sie eroberten zudem mehrere Grenzübergänge. Die US-Militärmission in Afghanistan endet am 31. August. Der Abzug ist US-Angaben zufolge zu mehr als 95 Prozent abgeschlossen.
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