Zweitgrößte Stadt
Afghanistan: Taliban erobern nun auch Kandahar
Die afghanischen Regierungstruppen scheinen dem Vormarsch der Taliban im Land kaum etwas entgegenzusetzen zu haben. Nachdem erst am Donnerstag mit Herat die drittgrößte Stadt in Afghanistan erobert wurde, steht seit der Nacht auf Freitag mit Kandahar nun auch die zweitgrößte Stadt unter ihrer Kontrolle. Binnen einer Woche fielen damit bereits 15 Städte an die Islamisten. Von den wichtigen Städten hält die Regierung nur noch die Hauptstadt Kabul, Mazar-i-Sharif im Norden und Jalalabad im Osten.
„Kandahar ist vollkommen erobert“, so ein Taliban-Sprecher am Freitag auf Twitter. „Die Mudschaheddin haben den Märtyrerplatz in der Stadt erreicht.“ Ein Bewohner sagte, die afghanische Armee habe sich offenbar aus der Stadt zurückgezogen. Dabei sollte es aber nicht bleiben - auch Firuzkoh in der Provinz Ghor im Westen des Landes sei von den Islamisten übernommen worden, bestätigten ein Provinzrat und eine Parlamentarierin der Deutschen Presse-Agentur.
USA wollen Flughafen in Kabul sichern
Aus Washington hieß es am Donnerstag, die USA würden rund 3000 zusätzliche Soldaten zeitweise nach Afghanistan verlegen, um die Sicherheit am Flughafen Kabul zu verstärken. Später kündigte auch Großbritannien an, mehrere Hundert Streitkräfte nach Afghanistan zu schicken, um bei der Rückführung von Briten aus dem Land zu helfen. Der BBC zufolge befinden sich schätzungsweise noch rund 4000 Briten im Land.
Enorme Gebietsgewinne für Taliban
Die Taliban hatten bereits zuvor weitere Gebietsgewinne auf ihrem Eroberungszug durch Afghanistan verbucht. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen der Regierung fiel die Stadt Herat am Donnerstag in die Hände der Extremisten. Zuvor hatten die Taliban die Provinzhauptstadt Ghazni erobert. Sicherheitskreise in Herat erklärten, „wir mussten die Stadt verlassen, um weitere Zerstörung zu verhindern“, und bestätigten damit entsprechende Angaben der Islamisten. Die strategisch wichtige Stadt Ghazni liegt an einer zentralen Verbindungsstraße zwischen Kabul und Kandahar.
EU droht Taliban mit Isolation
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell drohte den Taliban mit Isolation, sollten sie die Macht in Afghanistan mit Gewalt an sich reißen. Zudem forderte der EU-Chefdiplomat die Taliban auf, unverzüglich wieder Gespräche aufzunehmen und einen dauerhaften Waffenstillstand herbeizuführen. Die EU sei bestrebt, eine Unterstützung für das afghanische Volk fortzusetzen. Zudem sei von entscheidender Bedeutung, dass Errungenschaften wie der Zugang von Frauen und Mädchen zu Bildung erhalten blieben.
Endgültiger Kontrollverlust droht
Die Taliban kontrollieren inzwischen etwa zwei Drittel von Afghanistan. Von US-Geheimdiensten wird nicht ausgeschlossen, dass sie Kabul binnen 30 Tagen isolieren und binnen 90 Tagen übernehmen könnten. In den vergangenen Tagen hatten die Taliban unter anderem Kunduz und Faizabad eingenommen und belagern nun Mazar-i-Sharif. Bei einer Einnahme von Mazar-i-Sharif würde die Regierung in Kabul die Kontrolle über den Norden des Landes endgültig verlieren.
Nach einer neuen Runde der Afghanistan-Friedensverhandlungen in Doha forderten die Teilnehmer mit Nachdruck einen beschleunigten Friedensprozess. Die Gewalt in dem Land müsse sofort aufhören, hieß es am Donnerstag in einer gemeinsamen Erklärung.
Länder stoppen zunehmend Abschiebungen
Nach Deutschland und den Niederlanden setzten am Donnerstag auch Frankreich und Dänemark Abschiebungen nach Afghanistan offiziell aus. Bereits seit Anfang Juli habe es keine Rückführungen mehr in den Krisenstaat gegeben, teilte das Innenministerium in Paris mit. Dänemark hatte noch unlängst gemeinsam mit Österreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Griechenland die EU in einem Brief zu einer Fortsetzung der Abschiebungen nach Afghanistan gedrängt - trotz des Vormarsches der Taliban.
In Österreich will indes das ÖVP-geführte Innenministerium weiter an Rückführungen festhalten. Die Grünen stellen sich dagegen.
Immer mehr Menschen flüchten
Hunderttausende sind in Afghanistan bereits vor den Kämpfen geflohen. In Kabul ist in den vergangenen Tagen eine große Zahl an Vertriebenen eingetroffen, die nun zum Teil in Parks und auf öffentlichen Plätzen campieren. „Es ist naiv zu glauben, dass der Vormarsch der Taliban und die Gewalt in der Kriegsregion keine migrationspolitischen Folgen hat“, sagte der deutsche Staatssekretär Niels Annen.
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