Völkerrechtsexperte:

„Eigentlich haben wir schon einen Abschiebestopp“

Politik
13.08.2021 09:20

Immer mehr Länder setzen Abschiebungen in die Krisenregion Afghanistan aus - Österreich will hingegen weiterhin an den Rückführungen festhalten. De facto gibt es aber bereits einen Abschiebestopp, wie der Völkerrechtsexperte Ralph Janik erklärt. Aus juristischer Sicht sei die Sache „ziemlich einfach“ und Abschiebungen daher auch nicht möglich, so der Experte. Ähnlich sieht das der grüne Koalitionspartner.

Erst vor Kurzem verschickte Österreich gemeinsam mit fünf weiteren Ländern einen symbolträchtigen Brief an die EU, dass man gestrandete Kriminelle weiterhin nach Afghanistan abschieben wolle. Doch der enorme Gebietsgewinn der Taliban, die in kurzer Zeit immer mehr Städte förmlich überrennen, lässt die geschmiedete Allianz zunehmend bröckeln. Neben Deutschland und den Niederlanden hat nun auch Dänemark einen Stopp der Rückführungen angekündigt. 

„Auch, wenn es viele nicht hören wollen“, seien Abschiebungen nach Afghanistan rechtlich derzeit nicht machbar, so Janik. (Bild: APA/dpa/Fredrik von Erichsen)
„Auch, wenn es viele nicht hören wollen“, seien Abschiebungen nach Afghanistan rechtlich derzeit nicht machbar, so Janik.

Sache „rechtlich ziemlich einfach“
Auch wenn die ÖVP das Wort „Abschiebestopp“ offenbar nicht in den Mund nehmen möchte, gibt es einen solchen aber bereits, wie der Völkerrechtsexperte der Universität Wien, Ralph Janik gegenüber der ORF-„ZiB-Nacht“ erklärte. Die Sache sei „rechtlich ziemlich einfach“, so der Jurist: Es gibt ein absolutes Verbot von Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung - das setzt die Europäische Menschenrechtskonvention fest, die in Österreich in der Verfassung verankert ist. 

Regierung hat faktisch keine Kontrolle mehr
Die Konvention besagt nicht nur, dass ein Staat selbst nicht foltern darf, sondern Folter auch aktiv verhindert werden muss und auch niemand in ein Land abgeschoben werden darf, in dem der Person dergleichen droht. Bezogen auf die aktuelle Entwicklung rund um die Taliban sprach Janik von einem „No-Brainer“, dass Abschiebungen aktuell nicht möglich seien. Im juristischen Sinn gebe es zwar eine Regierung, mit der man verhandeln könne, „aber faktisch hat sie die Kontrolle über immer mehr Teile ihres Staatsgebiets verloren“.

Janik führt dabei auch das kürzlich erfolgte Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ins Treffen. Aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage sei eine Abschiebung derzeit nicht möglich, hieß es darin. Bis Ende August hat Österreich nun noch Zeit, die entsprechenden Fragen des Gerichtshofs dazu zu beantworten. 

Janik ruft einmal mehr die Europäische Menschenrechtskonvention in Erinnerung, die die Grundrechte und Menschenrechte sichern soll. (Bild: Screenshot tvthek.orf.at/ZIB NACHT)
Janik ruft einmal mehr die Europäische Menschenrechtskonvention in Erinnerung, die die Grundrechte und Menschenrechte sichern soll.

Was machen mit Straftätern?
Die „Schlüsselfrage“ sei nun, wie man mit straffällig gewordenen Asylwerben umgehen soll. Die Menschenrechte gelten nämlich „auch für Intensivstraftäter - daran ist wirklich nichts zu rütteln“, bekräftigt Janik. Als Staat sei es nun die Aufgabe, diese Personen „am Radarschirm“ zu behalten und sich zu überlegen, wie man mit ihnen umgehe - in dem Bereich müsse man vor allem auch über „undankbare Aufgaben“ wie Sozial- und Präventionsarbeit reden.

Keine Landeerlaubnis
Auch der grüne Vizekanzler Werner Kogler erklärte laut einer Aussendung, dass Abschiebungen derzeit „faktisch nicht möglich“ seien, „weil es für die Flieger gar keine Landeerlaubnis in Afghanistan gibt“. „Wie es in Afghanistan zugeht, ist richtig schlimm. Das hat auch Konsequenzen. Auch wenn die eine oder andere Stimme aus dem Innenministerium anderes sagt: Abschiebungen gibt es derzeit nicht nach Afghanistan“, so Kogler, der sich überzeugt zeigt, dass Abschiebeflüge auch in den nächsten Wochen „so gut wie unvorstellbar“ wären.

Die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, wurde dabei noch deutlicher: Zu glauben, dass Österreich „auf eigene Faust“, also ohne Koordination mit anderen EU-Staaten und ohne Landeerlaubnis aus Kabul, Rückführungen organisieren könne, sei „realitätsfern“. Zudem existierten die „viel zitierten innerstaatlichen Fluchtalternativen“ in Afghanistan nicht mehr.

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