Ex-Kontrollpartei:

Die Grünen als türkiser Bettvorleger?

Politik
15.08.2021 13:14

Die Grünen werden oft kritisiert, dass sie in der Regierung als Mehrheitsbeschaffer sozusagen zum Bettvorleger der türkisen ÖVP wurden. Ihre Zustimmung für all das, was Bundeskanzler Sebastian Kurz tut oder will, lassen sie sich im Abtausch mit grünen Themen und Posten politisch abkaufen. Schadet ihnen das?

1. Unbestritten gehören sowohl inhaltliche Gegengeschäfte im Stil eines Kuhhandels „Ich bin für deine Abschiebungen, wenn ich dafür mein Ökostromgesetz kriege!“ als auch Postenschachereien zum Alltag der Politik. Parteirechtfertigungen des Typs „Das machen eh alle!“ sind gleichermaßen frivol wie richtig.

2. Die Schlüsselfrage aber lautet: Was hätten Grünpolitiker von der Parteigründung 1986 bis zum Jahresende 2019 gesagt, wenn - wie heute beim Partner ÖVP der Fall - gegen den Kanzler, Minister, Ex-Minister sowie Ex-Parteichefs strafrechtlich ermittelt wird? Schließlich sahen die Grünen sich seit jeher als Kontrollpartei und neigten mehr zum Moralapostel als dass sie sich auf Kosten ihrer Grundsätze allzu sehr Koalitionszwängen anpassen wollten.

3. Als logische Folge kursieren im Internet Witze über die grüne Biegsamkeit. Marco Pogo von der satirischen Bierpartei etwa blödelte mit großem Zuspruch: „Das G in Grüne steht für Gnallharte Gontrolle!“ So etwas scheinen die Grünen als eiskalte Rechner mit einem Achselzucken abzutun. Man liegt in Umfragen unter dem Rekordergebnis von 14 Prozent aus der letzten Nationalratswahl 2019, jedoch unverändert im zweistelligen Prozentbereich.

4. Warum? Weil die Empörung über die Grünen oft Gruppen zuordenbar ist, von denen sie ohnehin nichts Gutes zu erwarten haben. Dazu zählen Hunderttausende Anhänger der FPÖ oder sonstige rechte Recken, die nie im Leben grün wählen. Hinzu kommen bis zu 90.000 Anhänger des abtrünnigen Peter Pilz. Wer 2017 und 2019 für dessen Liste war und von dessen medialen Gehversuchen danach begeistert ist, wird kaum jemals wieder Werner Kogler & Co. toll finden.

5. Auch Abwanderer zu Linksparteien in der außerparlamentarischen Opposition - etwa KPÖ und WANDEL - sind für eine Regierungspartei nicht ansprechbar. Unter den schärfsten Kritikern haben die Grünen also nichts zu verlieren. Und solange die SPÖ lieber auf offener Medienbühne mit sich selber streitet, drohen höchstens ein paar kleinere Wählerverluste in Richtung NEOS.

6. Also alles paletti für die Grünen? Nein. In den personenbezogenen Vertrauensdaten haben fast alle Grünpolitiker klar schlechtere Werte als nach dem Eintritt der Partei in die Bundesregierung. Es wäre zu billig, das einfach der Corona-Pandemie - deren Bekämpfung man sich gemeinsam mit der ÖVP vielleicht zu sehr schönredet - und dem allgemein schlechten Image der Politik zuzuschreiben.

7. Die grüne Standardantwort auf Kritik lautet, dass die Alternative ja einzig und allein wäre, sich aus der Regierung zu verabschieden. Um anschließend als Opposition jahrelang inhaltlich kein einziges Anliegen mehr umsetzen zu können. Außerdem wäre plötzlich eine Zusammenarbeit der ÖVP mit der FPÖ, dem Gottseibeiuns für die Grünen, neuerlich als Variante im Spiel.

8. Was stimmt. Nur warum gibt es keine glasklare Grünansage, wo trotzdem die rote Linie für ein Zusammenbleiben mit der ÖVP ist? Wer überzeugt ist, dass alle Verfahren eingestellt werden, muss das im Interesse des Koalitionsklimas sagen. Genauso sind die Grenzen für das Ende einer Partnerschaft ehrlich auszusprechen. Doch irgendwie scheint es den Grünen in den Kram zu passen, dass ihre Meinung dazu ein bisschen verschwommen bleibt.

Finanzminister Gernot Blümel und Bundeskanzler Sebastian Kurz (Bild: APA/ROBERT JAEGER)
Finanzminister Gernot Blümel und Bundeskanzler Sebastian Kurz

9. Im Fall von Finanzminister Gernot Blümel sagte Klubobfrau Sigrid Maurer, dass eine Anklage wegen Korruptionsdelikten ein Rücktrittsgrund wäre, obwohl die Unschuldsvermutung gilt. Ihr Parteichef Werner Kogler hingegen eierte für den Anklagefall einer Falschaussage bei Kanzler Kurz wochenlang herum, um letztlich tendenziell nur die Verurteilung als Problem zu sehen. Vielleicht erfahren wir am Montag im „Sommergespräch“ des ORF mehr.

10. Weil die nächste Parteienwahl auf Bundesebene in Österreich plangemäß erst 2024 stattfindet, können sich bei den obigen neun Punkten viele Dinge noch neunmal ändern. Oberösterreich wählt hingegen seinen Landtag bereits in sechs Wochen. Auch hier gilt das aktuelle Motto der Grünen: „Wir regieren so gerne, dass es wehtut!“ Trotz Proporzsystem - jede Partei bekommt ab knapp zehn Prozent der Stimmen automatisch einen Landesrat - müssen die Grünen dafür einen Wettkampf mit der FPÖ bestreiten. Nämlich jenen, wen die ÖVP als Partner lieber hat. Das Ergebnis des Anbiederns hinter verschlossenen Türen ist kaum abzusehen.

Gewinnen hier die Grünen, so könnte der Verhandlungserfolg außerhalb Oberösterreichs ein Pyrrhussieg sein: Er wird das Image eines grünlich-türkisen Bettvorlegers verstärken.

Werner Kogler, Bundessprecher der Grünen, ist am morgigen Montag Gast in den traditionellen Sommergesprächen des ORF mit den Chefs der Parlamentsparteien. Sein Auftritt bei Lou Lorenz-Dittlbacher wird anschließend von Peter Filzmaier in der „ZiB 2“ analysiert. Parallel zu den Gesprächen gibt es wie jeden Sommer eine fünfteilige „Krone“-Serie zur Lage der jeweiligen Partei.

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