Deals mit Taliban?
Afghanistan-Kenner: „Abgekartetes Spiel“ mit USA
Der Afghanistan-Kenner Friedrich Orter vermutet hinter dem raschen und vergleichsweise unblutigen Vordringen der islamistischen Taliban in den vergangenen Tagen ein „abgekartetes Spiel mit Washington“. Zu den von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) abgelehnten Abschiebestopps nach Afghanistan meinte die Reporterlegende: „Vielleicht sollte man die österreichische Regierung einmal für ein paar Tage nach Afghanistan ausfliegen, zur Einschätzung der realen Lage.“
Auch der Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperte Walter Feichtinger hielt es in der ORF-Sendung „Runder Tisch“ am Sonntagabend für möglich, dass es zwischen den USA und den Terroristen zu Absprachen gekommen sei. Im Hintergrund sei wohl „viel gemauschelt“ worden. So hätten die USA beispielsweise Deals mit den Taliban ohne die afghanische Regierung gemacht. Für ihn sei jedoch klar, dass sich die USA mit ihrem Rückzug „selber überrascht und in eine sehr brenzlige Situation gebracht“ hätten.
Mückstein: Thema Abschiebungen hat sich „erledigt"
Innenminister Nehammer lehnt eine Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan weiter ab, Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) sah dies im Interview in der „ZiB 2“ jedoch anders. Das Thema Abschiebungen habe sich „spätestens mit dem heutigen Tag erledigt“. „Da werden Leute ausgeflogen aus Kabul, da werden wir nicht einen Charter anheuern und Leute hinbringen. Das heißt, das geht einfach nicht, das ist auch von der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht gedeckt“, erklärte Mückstein.
Feichtinger führte beim „Runden Tisch“ aus, dass er trotz der aktuellen Entwicklungen vorerst keine Flüchtlingswelle in Richtung Europa erwartet. Zunächst würden die Menschen, die das Land verlassen wollen, eher in die Nachbarstaaten fliehen. Erst nach rund fünf Jahren stelle sich erfahrungsgemäß die Frage: „Kann ich zurück in mein Land, kann ich hierbleiben oder will ich noch weiter weggehen?“, so der ehemalige Bundesheer-Brigadier.
Experte: Flüchtlinge weichen zunächst nur so weit aus wie nötig
Feichtinger betonte, auch 2015 seien die Flüchtlinge zum größten Teil nicht direkt aus Afghanistan nach Europa gekommen, sondern aus Ländern wie dem Iran oder Pakistan, wo sie sich davor jahrelang aufgehalten hätten. Aus der Flüchtlingsforschung wisse man, dass die Menschen zunächst „nicht sofort danach trachten, möglichst weit weg zu gehen“. Das normale Verhalten sei es vielmehr, „so weit auszuweichen wie es das eigene Leben erfordert“.
Die zentrale Frage sei, wie sicher Afghanistan in Zukunft sein werde und welche Lebensbedingungen dort künftig herrschen würden, so Feichtinger in der Sendung. Dies sei entscheidend, „wie viele Leute wirklich aus dem Land hinausflüchten und wie weit sie dann in weiterer Folge flüchten“. Der Westen könne hier einen Beitrag leisten, damit die Situation zumindest in den angrenzenden Ländern besser und ein „flüchtlingsgerechtes Agieren“ möglich werde. In weiterer Folge gehe es dann darum, den Menschen in Afghanistan selbst ein „möglichst angenehmes Leben zu ermöglichen“.
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