Immer mehr Bürokräfte, die seit Beginn der Corona-Pandemie von zu Hause arbeiten, bessern ihr Einkommen mit einem geheimen Zweitjob auf. In den USA ist so eine Art Bewegung entstanden: Auf der Website „Overemployed“ tauschen sich Homeoffice-Arbeiter mit mehreren Vollzeit-Jobs aus und geben einander Tipps, damit die Arbeitgeber nichts bemerken.
Das berichtet die US-Wirtschaftszeitung „Wall Street Journal“, die mit zweigleisig fahrenden Telearbeitern gesprochen hat: Sie spielen „Tetris“ mit ihren Kalendern, haben zwei oder mehr Computer vor sich stehen, nehmen simultan an mehreren Videokonferenzen teil, federn mit dem Urlaub des einen Berufs Arbeitsspitzen im zweiten ab - und fühlen sich nicht schuldig.
Je härter man arbeitet, desto weniger scheint man zu verdienen.
IT-Experte mit Zweitjob
Im Gegenteil: Sie schlagen ihrer Meinung nach lediglich Kapital aus einem System, das die längste Zeit Kapital aus ihnen schlug. Viele mit einem geheimen Zweitjob sind ernüchtert von ihrem bisherigen Berufsleben. Einer klagt: „Je härter man arbeitet, desto weniger scheint man zu verdienen. Die Leute verlassen sich stärker auf dich, das Gehalt bleibt gleich.“
Prekäre Verträge machen Zweitjob attraktiv
Ein anderer verweist auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse: Befristete Tätigkeiten als Freelancer, bei denen man keinerlei Sicherheit hat, tragen nicht unbedingt dazu bei, sich mit einem Unternehmen zu identifizieren. „Sie sagen immer, das sei der freie Markt. Ich gehe einen Schritt weiter und hole mir meinen eigenen freien Markt“, sagt ein 29-jähriger Software-Entwickler.
Wer mehrere Jobs habe, streue sein Risiko - und verdiene nebenbei besser. Einer der Befragten gibt an, mit seinen zwei Jobs inklusive Bonuszahlungen und Aktienoptionen auf fast 600.000 US-Dollar im Jahr zu kommen. Das gehe zwar mit 100-Stunden-Wochen und enormer Arbeitslast einher. „Aber immer, wenn die Gehaltsschecks kamen, fühlte ich mich neu belebt.“
Ich versuche, den Job gut genug zu machen, um nicht gefeuert zu werden.
IT-Experte mit Zweitjob
Andere versuchen, trotz Zweitjob nicht mehr zu arbeiten als mit nur einer Stelle. Ein Programmierer erklärt: „Versuche ich, ein Fünf-Sterne-Mitarbeiter zu sein? Nicht wirklich: Ich versuche, den Job gut genug zu machen, um nicht gefeuert zu werden.“ Dienst nach Vorschrift und permanentes Versteckspiel. „Jeden Morgen wache ich auf und denke: Heute erwischen sie mich“, sagt der Entwickler. Mit Tricks sei es ihm aber bislang gelungen, den Schein zu wahren.
Mehrere Computer, spezielle Tricks bei Meetings
Dazu zähle etwa die richtige Arbeitsausstattung: Menschen, die daheim zwei Jobs erledigen, sitzen meist vor mehreren Computern - einem für Job A, einem für Job B und noch einem Privatgerät. Das gestatte bei Bedarf einen schnellen Wechsel, wenn in dem einen Beruf gerade mehr zu tun ist als im anderen. Viele jonglieren auch mit Urlaubstagen, um im Bedarfsfall mal etwas mehr Zeit für einen ihrer beiden Jobs aufwenden zu können.
Die Leute lieben das, weil sie glauben: Dieser Typ arbeitet effizient, der verschwendet keine Zeit für unnötige Meetings.
IT-Expete über abgesagte Meetings
Mindestens genauso wichtig seien Tricks, um die Arbeitslast zu minimieren: Bei Meeting-Anfragen sage er oft ab und erkläre, die Angelegenheit sei per Chat schneller zu regeln, erzählt ein Befragter mit zwei Berufen. „Die Leute lieben das, weil sie glauben: Dieser Typ arbeitet effizient, der verschwendet keine Zeit für unnötige Meetings.“
Ein anderer berichtet, er spare sich bei Videokonferenzen mit Verweis auf seine schlechte Internetverbindung oft das Video. Ist bei parallelen Konferenzen womöglich einmal in beiden eine Stellungnahme gefragt, wird eine mit Verweis auf Internetprobleme unterbrochen, um sich dort ein paar Minuten später zu Wort zu melden. Ein Befragter, der schon länger zwei Jobs gleichzeitig macht, erzählt: „Seien wir uns ehrlich, man muss ziemlich ungeschickt sein, um erwischt zu werden.“
Erwischt, aber trotzdem nicht entlassen
Bisweilen werden Menschen mit geheimem Zweitberuf aber doch erwischt. So erzählt etwa Chris Hansen, Manager bei einer US-Technologiefirma, von einem Programmierer, den man für ein Projekt als Freelancer angeheuert habe. Irgendwann sei ihm aufgefallen, dass dieser sich komisch verhalte, später kam heraus: Der Mann hatte beim Bewerbungsprozess zugesagt, seinen anderen Job zu kündigen, um für die Firma arbeiten zu können. Er hatte tatsächlich aber gar nicht gekündigt.
Ich hätte ihn feuern können, aber dann hätte ich mir selbst ins Knie geschossen.
Chris Hansen, kam Freelancer auf die Schliche
Hansen nahm die Sache locker: „Ich hätte ihn feuern können, aber dann hätte ich mir selbst ins Knie geschossen.“ Mit Verweis auf einen allgemeinen Mangel an Programmierern sagt er: „Es war besser, irgendjemanden zu haben, als niemanden.“ Außerdem verstehe er, dass Menschen in prekären Dienstverhältnissen zu solchen Tricks greifen. „Welchen Anreiz gibt es denn für Mitarbeiter, ehrlich zu sein? Loyalität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gibt es nicht mehr.“
So wird das aber wohl nur gehandhabt, wenn der Angestellte mit geheimem Zweitberuf ein Mangeltalent hat. Eine Personalerin, die ebenfalls einen Mitarbeiter mit Zweitjob entlarvt hat, berichtet, diesen schlicht gekündigt zu haben. „Das ist kein Typ, der sich langfristig für ein Unternehmen engagiert.“
Auf „Overemployed“ werden Tipps ausgetauscht
So sehen sich die Nutzer von „Overemployed“ aber ohnehin nicht: Ihnen geht es darum, das System auszutricksen und - mitunter gegen Klauseln in ihren Dienstverträgen verstoßend - gleich zwei Einkommen aus einer Homeoffice-Tätigkeit zu generieren. Sie geben einander Tipps, damit es funktioniert.
Freilich: Solche Tricksereien funktionieren nur, solange ein Unternehmen Homeoffice erlaubt. Mit steigenden Impfquoten sinkt die Zahl der Firmen, die das zulassen. Bei manch einer Bürokraft mit geheimer Zweitbeschäftigung sorgt das derzeit für ein böses Erwachen. Aber viele wollen nicht mehr auf das zusätzliche Einkommen verzichten, kündigen eher einen ihrer Jobs, als wieder ins Büro zurückzukehren.
Oder sie finden kreative Lösungen wie eine Frau aus Atlanta, die für eine Versicherungs- und eine Mobilfunkfirma arbeitet. Als einer ihrer Arbeitgeber sie aufforderte, ins Büro zurückzukehren, heuerte sie kurzerhand eine Privatsekretärin an. Sie überwacht einen der beiden Jobs und informiert ihre Arbeitgeberin, wenn sie dort doch einmal dringend gebraucht wird ...
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.