Abschiebe-Streit

EU-Kollege über Nehammer: „Es ist zum Verzweifeln“

Politik
18.08.2021 19:59

Der erwartbare Streit auf EU-Ebene über den Umgang mit afghanischen Flüchtlingen infolge der Taliban-Machtübernahme im Land ist am Mittwoch vollends ausgebrochen. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sprach sich vor einer Videokonferenz der EU-Innenminister gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus und pochte darauf, kriminelle und abgelehnte afghanische Asylwerber weiterhin abzuschieben. Ähnlich positionierte sich Griechenland. Aus Luxemburg kam scharfe Kritik: „Es ist zum Verzweifeln“, ließ der dortige Außenminister die österreichische Regierung wissen. Das Büro von Nehammer lässt die Kritik aus Luxemburg nicht gelten. 

„In Österreich leben 42.190 Afghanen, das sind 474 pro 100.000 Einwohner und bedeutet Platz zwei aller europäischen Länder. In Luxemburg leben 536 Afghanen, das ist ein Anteil von 86 pro 100.000 Einwohner“, rechtfertigte das Büro Nehammer gegenüber krone.at die strikte Forderung des Innenministers bezüglich Abschiebungen. Die Kritik aus Luxemburg an Österreich könne man nicht nachvollziehen. Laut Nehammer muss es nach der Machtübernahme durch die Taliban das Ziel sein, möglichst viele Menschen in Afghanistan zu halten.

„Österreich schiebt weiter nach europarechtlichen Möglichkeiten ab“
„Österreich schiebt weiter Afghanen nach europarechtlichen Möglichkeiten ab“, bekräftigte Nehammer (siehe Video unten) bereits zuvor. Er schlägt bekanntlich Abschiebezentren in den Nachbarländern Afghanistans vor. Die EU müsse den Zielländern „Rahmenbedingungen“ geben und „Verhandlungen auf Augenhöhe“ führen. Griechenlands Migrationsminister Notis Mitarachi schlug unterdessen vor, abgelehnte Asylwerber in die Türkei zu bringen: „Wir halten die Türkei für ein sicheres Land für afghanische Bürger.“

Video: Nehammer über Österreichs Flüchtlingslinie

Asselborn: „Können die Menschen doch nicht auf den Mond schießen“
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn forderte hingegen Flüchtlingskontingente der EU-Staaten. „Wir brauchen Quoten für Flüchtlinge aus Afghanistan, die auf legalem Weg nach Europa kommen können“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Mit Blick auf Nehammers Äußerungen sagte der Luxemburger: „Das ist schrecklich. Es ist zum Verzweifeln. Solche populistischen Sätze schüren nur Angst.“ Das sei keine gemeinsame europäische Politik, sondern „nur innenpolitisch motiviert“. „Wir können die Menschen aus Afghanistan doch nicht auf den Mond schießen.“

Eine Gruppe Afghanen besteigt eine spanische Militärmaschine am Flughafen Kabul. (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Eine Gruppe Afghanen besteigt eine spanische Militärmaschine am Flughafen Kabul.

Die Hilfsorganisation Oxfam forderte Europas Regierungen auf, „dringend die Evakuierung aller gefährdeten Menschen aus Afghanistan sicherzustellen“. Außerdem hätten sie die Pflicht, „jede Form erzwungener Rückkehr nach Afghanistan zu unterlassen und afghanischen Staatsbürgern auf der Flucht Schutz zu gewähren“, so Oxfam-Migrationsexperte Raphael Shilhav.

Innenkommissarin: „Lage ist eindeutig nicht sicher“
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson drängte darauf, legale und sichere Fluchtrouten nach Europa zu schaffen. „Die Lage in Afghanistan ist eindeutig nicht sicher und wird es auch noch einige Zeit nicht sein“, sagte Johansson bei dem Treffen. 80 Prozent der zur Flucht gezwungenen Menschen seien Frauen und Kinder. Seit Anfang des Jahres seien rund 550.000 Afghanen innerhalb des Landes vertrieben worden, zusätzlich zu den 2,9 Millionen, die bereits zuvor innerhalb des Landes geflohen waren.

EU-Innenkommissarin Johansson (Bild: AFP/Olivier Matthys)
EU-Innenkommissarin Johansson

Eigentliches Thema Weißrussland von Afghanistan überschattet
Die Sondersitzung der EU-Innenminister war ursprünglich wegen der Lage an der Grenze des EU-Staats Litauen zu Weißrussland einberufen worden. Dem weißrussischen Staatschef Alexander Lukaschenko wird vorgeworfen, Migranten vor allem aus dem Nahen Osten nach Litauen zu schleppen. Nach der Einnahme Kabuls durch die Taliban am Sonntag war das Thema Afghanistan dann zunehmend in den Vordergrund gerückt.

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