Ein Forschungsteam unter Wiener Leitung könnte die Achillesferse des Coronavirus entdeckt haben. Zwei zuckerbindende Proteine könnten den Erreger daran hindern, in menschliche Körperzellen einzudringen. Im krone.tv-Interview mit Damita Pressl erklärt einer der Autoren der Studie, Dr. Stefan Mereiter, wie genau der Mechanismus funktioniert und welche Therapiemöglichkeiten sich daraus ergeben.
Wenn das Coronavirus ein Bösewicht aus einem Superheldenfilm wäre, dann bestünde sein Tarnumhang aus Kohlenhydraten. Nicht etwa die, die wir aus Brot oder Nudeln kennen, sondern komplexe Zuckermoleküle, die das Spike-Protein beschützen. Und diesen Tarnumhang, erklärt Mereiter, konnten er und seine Kollegen deaktivieren.
„Das Spike-Protein ist jenes Protein, das wie ein Stachel aus dem Virus hervorragt. Das Coronavirus verwendet diesen Stachel wie einen Schlüssel, um in unsere Zellen einzudringen. Wenn das Virus auf unsere Zellen trifft, bindet das Spike-Protein wie ein Schlüssel an das Schlüsselloch an unseren Zellen - das nennt sich ACE2 - und dringt so in unsere Zellen ein“, so Mereiter. Das Virus hülle sich dabei in eine Art Tarnumhang, um sich vor dem Immunsystem zu verstecken. „Das ist der Grund, warum wir so schwer an dem Virus erkranken: Unser Immunsystem kann es nicht so leicht erkennen. Dieser Tarnumhang besteht aus Kohlenhydraten. Diese komplexen Strukturen sind auf dem Virus verankert und sehr stabil. In die hüllt sich das Virus, und besonders das Spike-Protein.“
Wie also diesen Tarnumhang nutzen, um das Virus bekämpfen? Da kommen sogenannte Lektine ins Spiel: Das sind Proteine, die Kohlenhydrate binden können. Mereiter und seine Kollegen haben davon mehr als 140 hergestellt, „und haben sie auf das Spike-Protein vom Coronavirus gegeben und geschaut, welche binden und welche nicht“. Zwei davon blieben hängen. „Diese Lektine binden an einer Schlüsselstelle des Spike-Proteins - genau dort, wo der Schlüssel gern ins Schlüsselloch eindringt. Dadurch, dass die Lektine genau dort binden, hat das den Schlüssel verklebt und das Virus konnte die Zellen nicht mehr infizieren.“
Wird noch dauern, die Erkenntnisse in ein Medikament zu übersetzen
Eineinhalb Jahre habe die Gruppe an dem Durchbruch gearbeitet, gemeinsam mit Top-Wissenschaftlern aus Österreich und der ganzen Welt. Mereiter sieht zwei wesentliche Meilensteine: „Zum einen konnten wir den Tarnumhang des Virus besser verstehen und dadurch auch seine Achillesferse identifizieren. Zum anderen konnten wir zwei Lektine identifizieren, die wir als Werkzeuge verwenden können, um das Virus zu blockieren.“ Aber: „Wenn es darum geht, das alles in ein Medikament zu übersetzen - da wird es noch einiges an Arbeit brauchen.“
Unklar sei etwa, wie man ein solches Medikament verabreichen würde: „Idealerweise wäre es Inhalation, aber das müsste man sich genau ansehen.“ Außerdem offen ist die Konzentration, mögliche Nebenwirkungen und eine etwaige Toxizität. „Wenn man diese Fragen klärt, wäre es denkbar, das tatsächlich am Menschen zu probieren.“
„Wirklich neuer Weg, den wir hier aufzeigen“
Bis zum Medikament gegen das Coronavirus wird es also noch Jahre dauern. Dennoch ist Mereiter guter Dinge: „Das ist wirklich ein neuer Weg, den wir hier aufzeigen. Man hat bisher nie Lektine gegen Viren angewendet, vor allem nicht gegen respiratorische Viren. Daher haben wir keine Erfahrungswerte. Aber wir müssen innovativ sein, wenn wir diesem Virus zu Leibe rücken wollen.“
Die besonders gute Nachricht: Gelingt der Durchbruch, dann haben wir auch ein Werkzeug gegen alle Varianten des Coronavirus in der Hand. Mereiter: „Die Viren mutieren ständig. Diese Veränderungen finden sich ganz oft auf dem Spike-Protein. Aber der Tarnumhang mit den Kohlenhydraten versteckt das Spike-Protein nicht nur, er ist auch wirklich essenziell für dessen Funktionsweise. Wenn man diese Kohlenhydrate verändert, funktioniert das Spike-Protein gar nicht mehr. Das Virus kann sich also nicht ohne Weiteres herausmutieren. Deswegen sprechen wir von einem möglichen therapeutischen Ansatz gegen alle Varianten des Coronavirus.“
„Eine Alternative zum Impfen gibt es nicht“
Die perfekte Alternative für Impfskeptiker also? Fehlanzeige. „Eine Alternative zum Impfen gibt es nicht. Das Medikament sollte eher bei Impfdurchbrüchen dienen, oder wenn Leute sich nicht impfen lassen können, oder zu jung sind zum Impfen. Hier sollten solche Medikamente angewandt werden, aber auf keinen Fall als Alternative zur Impfung: Die Impfung ist das beste Mittel, das wir derzeit haben, die Pandemie in naher Zukunft unter Kontrolle zu bringen.“
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