Afghanische Frauen:
„Die Burka ist unser geringstes Problem“
Mit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat sich die Situation für Frauen im Land schlagartig verschlechtert. Marina Haidari holen dabei Kindheitserinnerungen wieder ein, als die Taliban zuletzt an der Macht waren. Sie berichtet von furchteinflößenden Liedern aus Lautsprechern und über die Burka, die „das sichtbarste Zeichen der Macht“ sei. Ihre Prognose ist dabei wenig optimistisch: „Da wird wieder viel Übles auf uns zukommen“, meint sie.
Die radikalen Islamisten beschallten damals ständig die Straßen, wie die Afghanin berichtet. Kaum waren die Hymnen zu hören, verzogen sich alle in Windeseile in ihre Häuser und Wohnungen. Nur einmal war Marina schon fast beim Basar. Aus dem Nichts schlug ihr jemand mit einer Peitsche auf die Wange. Ihr Vergehen? Sie trug keine Burka. Sie war noch keine 13 Jahre alt.
Taliban sind wieder in der Stadt
Heute ist Marina fast 37 Jahre alt. Sie müsse den Kopf schütteln, erzählt sie am Telefon, als mehrere ihrer jüngeren weiblichen Verwandten in ihrem Schlafzimmer erstmals eine Burka anprobieren. Die Taliban sind wieder in der Stadt und die jungen Mädchen probieren das blaue, schwere Ungetüm von Verschleierungsstück aus gerilltem, Plastik-ähnlichem Stoff. Erstmals blicken sie durch das vergitterte Sichtfeld.
Das sichtbarste Zeichen der Macht
Eine Schwägerin hatte die Burka, in einer bösen Vorahnung, die Islamisten könnten bald in der Stadt stehen, vor etwa drei Wochen erstanden. „Dieses Ding ist vielleicht das sichtbarste Zeichen dessen, dass sie wieder an der Macht sind“, sagt Marina. „In Wirklichkeit aber ist der Chadori unser geringstes Problem“, sagt sie weiter und verwendet den in Afghanistan üblichen Namen für die Burka. „Da wird wieder viel Übleres auf uns zukommen.“
Bemühungen des Westens gescheitert
20 Jahre lang hat der Westen nach dem US-Einmarsch in Frauenrechte in Afghanistan investiert. Unzählige Gelder flossen in entsprechende Programme, und sie erreichten nicht nur die Städte, sondern auch ländliche Gebiete. Gleichzeitig setzten für die Frauen diese Programme oft auch eine Achterbahnfahrt in Gang. Sie kamen gestärkt zu Hause an und stellten Forderungen.
Dass sie innerhalb der Familie eine Stimme haben möchten, sich bilden möchten, eine Arbeitsstelle finden möchten oder politische Ämter haben möchten. Die Männer hatten darauf oft nur eine Antwort: Gewalt. Vorreiterinnen haben ihr Leben riskiert, um ein bisschen mehr Freiheit leben zu können. Die afghanischen Frauen wissen das. Ihnen ist klar, was für sie nun auf dem Spiel steht.
„Wir Frauen haben alles verloren“
Der neue Status quo seit Sonntag, dem Tag der erneuten Machtübernahme der Taliban, ist für Frauenrechtsaktivistinnen niederschmetternd. „Wir Frauen haben alles verloren“, sagt die Parlamentarierin Raihana Azad. Sie schenke den wohlklingenden Worten der Islamisten nicht den geringsten Glauben. Diese hatten erklärt, sich auch für Frauenrechte einsetzen zu wollen - mit dem vagen Zusatz „im Rahmen der islamischen Scharia“.
Es gibt aber auch Anzeichen, dass die Islamisten weiter nicht viel von Frauen halten. Eine bekannte Fernsehmoderatorin wurde diese Woche trotz Verschleierung von Taliban nach Hause geschickt. Azad sagt, auch Studentinnen in der Stadt Herat im Westen seien von Taliban nach Hause geschickt worden und man habe ihnen gesagt, sie bräuchten nicht mehr zu kommen. In Herat hatten sich lokalen Medien zufolge mehr Frauen als Männer an Universitäten eingeschrieben.
„Sie werden uns verschwinden lassen“
Die Bilder von öffentlichen Auspeitschungen oder Steinigungen von Frauen, die vielen von der ersten Taliban-Herrschaft in schauderhafter Erinnerungen sind, werde es ihrer Meinung nach nicht mehr geben, sagt die Parlamentarierin Azad. Sie beobachte, wie die Taliban bereits nach Frauenrechtsaktivistinnen suchten, auch nach ihr. „Ich glaube, sie werden Aktivistinnen und Frauen wie mich nicht öffentlich hinrichten“, sagt sie schließlich. „Sondern uns einfach verschwinden lassen.“
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