Klimaforscherin:

„Letzten Endes wird uns die Hitze umbringen“

Wissenschaft
22.08.2021 06:00

Seit zwei Jahren schreibt Österreichs renommierteste Klimaforscherin, Helga Kromp-Kolb, in der „Krone“ über die größte Bedrohung der Menschheit. Ein Gespräch über tödliche Hitze, unverbesserliche Zweifler und warum es ohne Verbote in Zukunft nicht mehr gehen wird.

Cafe Dommayer in Wien-Hietzing, es ist 8 Uhr morgens. Helga Kromp-Kolb muss später einen Zug in Meidling erreichen, sie reist an diesem Tag ins Salzkammergut zu einem ihrer Vorträge. Die 72-Jährige stellt den Rucksack mit der Wasserflasche auf der mit dunkelrotem Samt bezogenen Bank ab und bestellt Schwarztee mit Milch ohne Zucker. Ihr langes Haar ist zu einem Zopf geflochten, die Forscherin trägt ein lila-grün geblümtes Kleid und eine weiße Häkelweste.

Frau Kromp-Kolb, an diesem Sonntag erscheint Ihre 260. „Krone“-Kolumne. Hat es etwas genützt?
Ganz schwer zu beurteilen. Ich konnte viele Fragen beantworten und auch Zweifel ausräumen. Das ist es jedenfalls wert. Manchmal würde ich mir wünschen, ich könnte sagen: Arbeit erledigt. Aber solange ich noch wirksam sein kann, werde ich versuchen, das zu sein.

Der jüngste Weltklimabericht hat all das bestätigt, was Sie seit vielen Jahren predigen. Schaffen wir das noch, die Klimakrise zu stoppen?
In der Natur gibt es keinen Knick, wo man sagen muss, jetzt ist es zu spät. Das ist so ein schleifender Übergang. Aber es ist noch später geworden. Das heißt, die Klimaschutzmaßnahmen müssen noch einschneidender sein und müssen noch schneller erfolgen. Aus rein naturwissenschaftlicher Sicht können wir es noch schaffen, das steht ja auch im letzten IPCC-Bericht. Ob es aus politischer, soziologischer und psychologischer Sicht noch möglich ist, das ist eine andere Frage.

Wie sieht das Worst Case Szenario aus?
Letzten Endes wird uns die Hitze umbringen. Wir kommen wahrscheinlich in einen Zustand, wo der Körper nicht mehr mitkann. Der Körper muss ja die Energie und die Wärme, die durch seine Aktivitäten frei werden, abgeben können. Wenn er das nicht mehr kann, dann stirbt der Mensch - an Dehydrierung, Organversagen, an was auch immer. Und dieser Punkt ist gar nicht so weit entfernt. Das beginnt schon bei hohen 40er- und 50er-Graden, wo man sich dann nicht mehr bewegen darf. Letztlich ist unsere Zivilisation bedroht. Im Übrigen nicht nur durch den Klimawandel, sondern auch durch den Biodiversitätsverlust. Es ist völlig unklar, was uns zuerst umbringen wird.

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Letzten Endes wird uns die Hitze umbringen. Wenn der Körper die Energie und Wärme, die durch seine Aktivitäten frei wird, nicht mehr abgeben kann, dann stirbt der Mensch.

Helga Kromp-Kolb

Was stimmt Sie dennoch optimistisch?
Wenn ich nur nach Österreich schauen würde, dann nichts. Aber wenn man es global betrachtet, dann passiert schon sehr viel. Wobei auch für Österreich gilt: Es gibt sehr viele einzelne Menschen, einzelne Firmen, einzelne Länder und Gemeinden, die wirklich schon auf dem Weg sind. Auf der Bundesebene ist es halt sehr, sehr träge, um nicht zu sagen…

Herrscht Stillstand?
Nicht ganz, wir haben immerhin das Erneuerbaren-Energiegesetz bekommen, das in Wirklichkeit nur ein Gesetz über Förderungen ist, aber immerhin. Die Überzeugung, dass man jetzt wirklich rasch handeln muss, hat sich aber offenbar noch nicht in allen Parteien durchgesetzt.

Sie meinen bestimmt nicht die Grünen ...
Genau, sie sind ja auch die Minderheit. Ich bin bei den Verhandlungen über Klimaschutz nicht dabei, aber ich kann mir vorstellen, dass es ziemlich mühsam ist, wenn unmittelbar nach solchen Ereignissen, wie wir sie im Juli hatten, der Kanzler von Technologie und Innovation spricht. Technologie und Innovation entwickeln wir seit Jahrzehnten! Sie existiert bereits. Seit 30 Jahren wird versucht, den Klimawandel ohne wirkliche Eingriffe zu bekämpfen. Dennis L. Meadows hat es in seinem Klassiker „Grenzen des Wachstums“ gut zusammengefasst: „Zuerst glauben sie es nicht, dann glauben sie, es ist noch lange nicht soweit, dann glauben sie, die Technologie wird es lösen, dann glauben sie, dass der Markt es löst und wenn das alles nicht funktioniert, sagen sie: Jetzt müssen wir uns anpassen.“ Aber dann ist es zu spät.

Helga Kromp-Kolb (Bild: Peter Tomschi)
Helga Kromp-Kolb

Also hat der Kanzler unrecht?
Ich bin sehr für weiteren Technologiefortschritt, aber in einer Krisensituation auf diesen Fortschritt zu warten ist zu wenig. Solche Entwicklungen dauern Jahrzehnte, so viel Zeit haben wir nicht mehr.

Haben Sie das dem Bundeskanzler einmal gesagt?
Ich habe den Herrn Bundeskanzler noch nie getroffen.

Enttäuscht Sie das?
Mir ist das nicht wichtig. Wesentlich ist, dass er das Thema begreift und richtig damit umgeht. Ob er sich das von mir oder von jemand anderem anhört, ist egal. Ich bin da völlig uneitel. Weil es nicht um mich geht, sondern um das Thema und letztlich um die künftigen Generationen. So gesehen geht es auch um ihn selber, er ist ja jung.

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Das Traurige an all diesen Horrorszenarien ist, dass wir es so schön haben könnten! Hand in Hand mit Klimaschutz könnte mehr Gerechtigkeit gehen.

Helga Kromp-Kolb

Haben Sie den Eindruck, dass er die Dramatik versteht?
Aus seinen Äußerungen kann man es nicht entnehmen.

Wir haben lange von Klimawandel gesprochen, dann von Klimakrise. Nun sind wir bei Klimakatastrophe. Haben Sie geahnt, dass es so schlimm werden würde?
Es ist ja noch nicht aus. Wir haben im Grunde genommen die weitere Erderwärmung für die nächsten 20 Jahre schon verursacht. Das heißt, selbst wenn wir heute aufhören würden, Treibhausgase auszustoßen, würde es trotzdem noch dauern, bis sich das wirklich auswirkt. Das war alles vorhersehbar. Was man sich aber nie wirklich vorstellen kann, ist die Panik und der Schrecken, wenn man dann plötzlich mitten in einer Katastrophensituation ist. Hitze, Überflutungen, Hagel. Das passiert und wir können uns nicht schützen. Man sieht es ja: Trotz allem Fortschritt können wir die Waldbrände nicht beherrschen, wir können die Muren und Überflutungen nicht beherrschen. Wir sind einfach klein gegen die Natur.

Helga Kromp-Kolb (Bild: Peter Tomschi)
Helga Kromp-Kolb

Wehrt sich die Natur?
Wenn man ihr Denken zuschreiben möchte, dann ja. Sie war ohnehin lange genug geduldig. Wir haben sie abgeholzt, verbaut, zerstört. Wie wir mit der Natur umgehen, hat eben irgendwann Konsequenzen - bis hin zu Corona. Wir nehmen den Wildtieren immer mehr Lebensraum. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, mit einem von den Tausenden Viren, die solche Tiere in sich tragen, in Kontakt zu kommen, steigt.

Haben wir also nichts gelernt?
Wer ist „wir“? Ich glaube, sehr viele Menschen haben sehr viel gelernt. Sehr viele Menschen haben auch während Corona sehr viel gelernt. Trotzdem versucht „das System“, wenn ich das so nennen darf, uns einzureden, dass wir wieder in den alten Zustand zurück müssen. Das müssen wir nicht! Das dürfen wir auch nicht!

Was müsste die Politik jetzt tun?
Was auch alle Ökonomen bestätigen: Das Wirksamste ist die sozial-ökologische Steuerreform. Sie steht zwar im Regierungsprogramm und soll nächstes Jahr in Kraft treten - ich hoffe nicht erst im Dezember! -, aber da scheint noch kein konsensfähiger Vorschlag am Tisch zu liegen.

Welche Maßnahmen müsste der Staat setzen?
Der Staat sollte lenken und lenken kann man auf verschiedene Weisen, natürlich auch mit Anreizen. Wir fördern aber schon viel zu lange mit Anreizen erneuerbare Energie, gleichzeitig fördern wir auch fossile Energie, das macht doch keinen Sinn. Ich glaube, man muss sich auch trauen, gewisse Sachen einfach zu verbieten - mit Übergangszeiten. Das fängt an bei den fossil betriebenen Autos und geht hin bis zu Elektrogeräten. Warum müssen wir Geräte, die nicht energieeffizient sind, überhaupt noch produzieren und verkaufen? Ich glaube, dass man auch in die Werbung eingreifen muss. Man darf den Menschen einfach nicht mehr länger steuerbegünstigt einreden, dass sie alles brauchen, selbst Dinge, die völlig überflüssig sind. Diese können zwar für einzelne Personen oder für kleine Gruppen manchmal notwendig sein, aber für alle anderen kann man Verbote aussprechen.

Aber Elektroautos sind ja auch nicht umweltfreundlicher ...
Es geht aber eben nicht darum, dass man die Benzinautos eins zu eins austauscht. Das wird leider viel zu wenig thematisiert, obwohl es jedem Klimaschützer vollkommen klar ist. Es geht darum, dass wir im Wesentlichen zu Fuß gehen, Radfahren, den öffentlichen Verkehr nutzen. Und dass jene Autos, die da sind, gemeinsam genutzt werden. Und das sind dann eben E-Autos. Ich glaube aber, dass auch die Lithiumbatterien bald abgelöst werden. Auf diesem Gebiet wird weltweit geforscht. Und man kann bis dahin erreichen, dass Lithium umwelt- und menschenfreundlicher abgebaut wird.

Conny Bischofberger im Gespräch mit Helga Kromp-Kolb (Bild: Peter Tomschi)
Conny Bischofberger im Gespräch mit Helga Kromp-Kolb

Öffentlicher Verkehr ist ja gut und schön, aber wenn man um 50 Euro nach Kopenhagen oder Amsterdam fliegen kann, während der Zug dreimal so viel kostet, von der Zeit ganz zu schweigen, warum sollten die Menschen dann aufs Fliegen verzichten?
Es ist Aufgabe der Politik sicherzustellen, dass Fliegen nicht billiger und bequemer ist. Und es gibt Dinge, die man aus Verantwortung für die nächsten Generationen nicht mehr tun darf.

Urlaub machen in Griechenland zum Beispiel?
Für mich ist das eine Frage des persönlichen Verantwortungsgefühls. Griechenland ist ein Grenzfall. Ich würde es nicht mehr machen. Wenn mich meine Enkelkinder einmal fragen, was ich getan habe, um das Klima zu retten, möchte ich nicht antworten: „Ich wollte unbedingt in Griechenland Urlaub machen.“ Aber natürlich, nach Amerika wird man weiterhin nicht segeln oder schwimmen.

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Wenn mich meine Enkel einmal fragen, was ich getan habe, um das Klima zu retten, möchte ich nicht antworten: „Ich wollte unbedingt in Griechenland Urlaub machen.“

Helga Kromp-Kolb

Geht da nicht ein Lebensgefühl verloren? Es ist doch wunderschön, die Welt zu sehen, Kosmopolit zu sein ...
Sind wir das wirklich, wenn wir in irgendeinem Luxushotel sitzen und die lokale Bevölkerung nur als Dienstboten kennenlernen? Da ist sehr viel Romantisierendes dabei. Und ja, das Lebensgefühl ändert sich. Es kann auch am Neusiedlersee wunderschön sein. Man braucht auch nicht täglich Fleisch zu essen.

Essen Sie überhaupt noch Fleisch?
Ja, das ist für mich keine Glaubensfrage. Ich esse Fleisch, aber wenig. Fleischessen soll die Ausnahme bleiben. Etwas Besonderes, auf das man sich freut. Das Schöne ist: Viele Sachen, die aus Klimaschutzgründen vernünftig sind, sind auch gesünder und machen das Leben besser. Einfach, weil es richtig ist, im Einklang mit der Natur zu leben, so dass auch die nachkommenden Generationen noch etwas haben davon.

Sind Sie manchmal hoffnungslos?
Ja. Das Traurige an all diesen Horrorszenarien ist, dass wir es so schön haben könnten! Dass wir noch alles zum Besseren wenden könnten. Hand in Hand mit Klimaschutz könnte mehr Gerechtigkeit gehen. Die Lebensqualität könnte steigen, der ungeheure Zeit- und Leistungsdruck auf ein verträgliches Maß reduziert werden - und das nicht nur für uns, sondern für alle Menschen.

Kann man über Klimaschutz reden, ohne die Bevölkerungexplosion in vielen Teilen der Erde zu erwähnen?
Nein, natürlich ist das ein Faktor. Aber in Wahrheit ist die Welt zweigeteilt. Hier jener Teil, wo die Bevölkerungszahlen explodieren, das muss man in den Griff bekommen. Diese Menschen haben aber gewöhnlich einen ganz, ganz kleinen ökologischen Fußabdruck. Und dort jener Teil, der einen riesigen Fußbabdruck hat, das sind aber relativ wenige Menschen. Wir müssen uns also um unseren Fußabdruck kümmern statt darüber zu reden, was Afrika oder Indien tun müsste.

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Wir müssen uns um unseren Fußabdruck kümmern, statt darüber zu diskutieren, was Afrika oder Indien tun müsste.

Helga Kromp-Kolb

Was sagen Sie jenen, die behaupten, Österreich sei zu klein, um einen Unterschied zu machen, der Einzelne könne überhaupt nichts tun?
Wenn man eine Rettungsgasse auf der Autobahn braucht und ein einzelner macht nicht mit, dann kommt das Rettungsauto nicht durch. Ich finde, das ist ein schönes Bild. Weil es nicht darum geht, dass jeder in den Rückspiegel schaut, ob alle hinter ihm was machen. Sondern darum, selber ein gutes Beispiel zu sein.

Sind Sie ein gutes Beispiel?
Ich versuche es. Aber ich bin auch nur ein Mensch... Überall dort, wo es möglich ist, handle ich durchgängig klimafreundlich. Sprich: Ich fahre so gut es geht mit dem Rad oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Und ich brauche für mich wenig. Der Steuerzahler zahlt mir meine Pension und die ist völlig ausreichend.

Würden Sie eigentlich gern einmal Greta Thunberg treffen?
Ich glaube, das Mädel hat genug zu tun - Lacht. - Ich schätze sie, aber im Grunde genommen geht es nicht um ihre Person, sondern darum, wofür sie steht. Selbst wenn sie jetzt sang- und klanglos von der Bildfläche verschwinden würde, die „Fridays for Future“-Bewegung wäre nicht mehr aufzuhalten. Dafür ist Thunberg eine Identifikationsfigur.

Und Arnold Schwarzenegger?
Den sehe ich mit gemischten Gefühlen. Er reist mit dem Privatjet zur Klimakonferenz an und fährt das letzte Stück mit dem Fahrrad. Das sind Sachen, die mir nicht gefallen. Ich habe das Gefühl, da ist einfach sehr viel Show dabei. Aber er ist ja ein Showman. Und insofern ist es auch wieder authentisch, wenn man so will. Und er erreicht vermutlich Menschen, die sonst kein Interesse am Thema hätten.

Helga Kromp-Kolb (Bild: Peter Tomschi)
Helga Kromp-Kolb

Hat Corona der Klimasache geschadet oder genutzt?
Die Emissionen sind weiter gestiegen, diesbezüglich hat die Pandemie nicht geholfen. Das Gute an Corona ist vielleicht, dass jetzt alle wissen, was eine exponentielle Entwicklung ist. Ab einem bestimmten Punkt geht es unkontrolliert immer schneller. Diese Entwicklung haben wir beim Klima bereits.

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Solange ich das Gefühl habe, dass ich gebraucht werde, setze ich meine Arbeit fort. Obwohl es schon viele gibt, die in meine Fußstapfen treten und sehr viel Verantwortung übernehmen. Deshalb werde ich in zehn Jahren vielleicht nicht mehr mit Politikern, sondern nur noch mit jungen Menschen reden und ihnen Mut machen.

UNERMÜDLICHE KÄMPFERIN

Geboren am 14.11.1948. Die Meteorologin und Klimaforscherin mit dem Spezialgebiet Klimawandel leitete viele Jahre lang das Institut für Meteorologie sowie das Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit an der BOKU Wien. Seit 2017 ist sie in Pension. 2005 wurde Helga Kromp-Kolb „Wissenschafterin der Jahres“. Verheiratet ist die überzeugte Rad-, Öffi- und Zugfahrerin mit dem Physiker und Risikoforscher Wolfgang Kromp. Die unermüdliche Kämpferin für Nachhaltigkeit ist Autorin der „Krone“-Kolumne „Klimakrise - Fragen und Antworten“.

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