„Krone“-Analyse
Sind die Nachbarländer von Afghanistan sicher?
Österreich will afghanische Flüchtlinge nun in die Nachbarländer abschieben. Doch wie ergeht es denen dort? Manche müssen in den Krieg, andere werden den Taliban ausgeliefert.
„Wir dürfen die Fehler von 2015 nicht wiederholen. Die Region um Afghanistan muss stabil bleiben, und in dieser Region soll Afghanen auch Schutz vor Verfolgung geboten werden. Das entspricht dem Grundgedanken der Genfer Flüchtlingskonvention. Ebenso sollten Rückführungen in die Nachbarländer Afghanistans ermöglicht werden“, äußerte sich Bundeskanzler Sebastian Kurz via Aussendung zu Afghanistan. Der Kanzler sprach sich gegen eine weitere Aufnahme von Afghanen aus und wiederholte, dass den Menschen in den „benachbarten Staaten geholfen werden soll“.
„Zentralasien noch nie ein sicherer Ort"
Werfen wir einen Blick auf die Nachbarstaaten Afghanistans. Also Iran, Pakistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan. Jennifer Murtazashvili, Dozentin und Expertin von der Universität Pittsburgh sagt dazu lapidar, dass „Zentralasien noch nie ein sicherer Ort für Flüchtlinge gewesen“ sei. Die Nachbarländer Afghanistans stehen, wie Afghanistan selbst, traditionell auf den letzten Plätzen, wenn es um Werte wie Demokratie, Freiheit oder Menschenrechte geht. Die „Krone“ sprach mit Betroffenen vor Ort. Hier sehen Sie unsere Analyse.
Zusätzlich zu den etwa 800.000 offiziellen afghanischen Flüchtlingen leben wohl noch einmal zwei Millionen afghanische Staatsbürger im Iran. „Die haben sie zum Schein aufgenommen, um vor der Welt gut dazustehen“, wie ein Betroffener der „Krone“ berichtet. „Die afghanischen Flüchtlinge werden wie Menschen zweiter Klasse behandelt.“ Wenn sie einen Job finden, dann sind diese mit körperlicher Schwerstarbeit am Bau oder im Transportwesen verbunden.
Und: Die iranischen Revolutionsgarden rekrutieren aus der armen afghanischen Bevölkerungsschicht Söldner für ihre Milizen im Syrienkrieg. Diese afghanischen Milizen werden „Fatemiyoon-Brigaden“ genannt, und die Kämpfer verdienen ein paar hundert Dollar im Monat. Viel Geld. Sterben sie den Märtyrertod, wird für ihre Familien gesorgt.
Laut der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ gibt es auf der Welt nur wenige Diktaturen, die so repressiv sind wie jene in Turkmenistan. Langzeitherrscher Berdimuhamedow rangiert in Ranglisten der schlimmsten Diktatoren vor Assad und Lukaschenko. Vertreter seines Regimes trafen in Doha Unterhändler der Taliban. Hilfsorganisationen sind verboten, ebenso Homosexualität oder der Konsum ausländischer Medien. Frauen dürfen per Gesetz nicht Auto fahren. Mischehen sind verboten, „Illegale“ schiebt das Regime rigoros ab.
Afghanischen Flüchtlingen wird die Staatsbürgerschaft verweigert. Die Schutzsuchenden müssen sich der turkmenischen Kultur anpassen, die traditionelle Kleidung tragen und die Sprache lernen. Können beispielsweise Kinder die Sprache nicht, droht ihnen der Schulverweis.
Usbekistan gelang das, was Österreichs Innenminister nicht gelang: Das Land schob diese Woche 150 Flüchtlinge nach Afghanistan ab. Gemäß einer Vereinbarung mit den Taliban, wie das Außenministerium in Taschkent verkündete. Unter den Abgeschobenen soll auch der ehemalige Vize-Präsident Afghanistans und Mudschaheddin-Anführer Abdul Raschid Dostum, ein erklärter Todfeind der Taliban, gewesen sein.
Andere lokale Berichte besagten, Usbekistan baue eine Zeltstadt für Tausende Flüchtlinge. Auch das dementierte die Regierung. Ismatilla Ergashev, der Sondergesandte des usbekischen Präsidenten für Afghanistan, sagte bereits Ende Juli, dass Taschkent keine rechtliche Grundlage für die Aufnahme von Flüchtlingen habe. Usbekistan gibt sich säkular und wolle sich keinen „religiösen Extremismus“ importieren.
Im Juli machte ein Beamter des tadschikischen Notstandskomitees Schlagzeilen, als er auf einer Pressekonferenz mitteilte, dass sein Land bereit sei, bei Bedarf bis zu 100.000 Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen. Dieses Versprechen torpedierte nur wenige Tage später Außenminister Sirojiddin Muhriddin. Ähnlich wie Usbekistan sagte auch Muhriddin, Tadschikistan erwäge die Möglichkeit nicht, afghanischen Flüchtlingen Zuflucht zu gewähren.
Tadschikistan hatte 20.000 Reservisten für den Grenzschutz mobilisiert, als über 1000 Soldaten der afghanischen Armee aus Angst vor den Islamisten über die Grenze geflohen waren. Diese war man im Sinne der guten Beziehungen zur Republik Afghanistan bereit aufzunehmen. Seit der Machtübernahme der Taliban sind die Grenzen allerdings dicht.
In keinem anderen Land leben so viele afghanische Flüchtlinge wie in Pakistan. 1,4 Millionen sind registriert, die Dunkelziffer dürfte bei etwa fünf Millionen liegen. In Pakistan spricht man längst nicht mehr von Flüchtlingscamps, sondern von „Flüchtlingsdörfern“, wie ein lokaler Mitarbeiter des Flüchtlingshilfswerks UNHCR der „Krone“ berichtet. Dort sind die Zustände katastrophal. Vor Großstädten wie Karatschi bilden sich afghanische Slums, genannt „Basti“. Afghanen vollbringen meist die Arbeit, die Einheimische nicht machen wollen.
Jetzt will das Land keine weiteren Flüchtlinge aus dem Krisengebiet aufnehmen. „Unsere Kapazitäten sind erschöpft“, sagt Moeed Yusuf, Nationaler Sicherheitsberater von Premierminister Imran Khan. „Nun müssen die Hilfsorganisationen innerhalb Afghanistans eine Lösung finden.“
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