IS-Anschlag befürchtet
Am Flughafen Kabul herrschen Tod und Verzweiflung
Verzweifelte Familien, von Soldaten abgewiesene Ortskräfte und Tote in der Menschenmenge vor den Toren des letzten sicheren Fleckens Erde in Afghanistan: Die Situation am Flughafen Kabul eskaliert. 20 Menschen verloren in dem Chaos diese Woche bereits ihr Leben, laut US-Regierung besteht das „akute“ Risiko eines IS-Terroranschlags. Während die Taliban das Umland längst in ihrer Gewalt haben, haben die NATO-Truppen nur noch eines im Sinn: die Evakuierung so schnell wie möglich abzuschließen.
Wie die „New York Times“ meldet, hat die US-Regierung daher mittlerweile die „zivile Reserve“ ihrer Luftflotte aktiviert und private Airlines dazu verpflichtet, geflüchtete Afghanen in die USA zu bringen.
Die Evakuierungsflüge auf US-Militärbasen im Nahen Osten führt weiterhin die US-Luftwaffe durch, von den Stützpunkten werden die Flüchtlinge mit zivilen Passagiermaschinen weiter in die USA gebracht. Die „zivile Reserve“ wurde 1952 für die Luftbrücke nach Westberlin gegründet.
Auch in Deutschland werde fieberhaft weiter daran gearbeitet, so viele Schutzbedürftige „wie möglich“ aus Afghanistan zu retten, versicherte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Wochenende.
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„Akute Gefahr“ eines IS-Anschlags
Doch das Chaos am Flughafen Kabul wird immer schlimmer: Die US-Regierung sieht dort mittlerweile die Gefahr eines IS-Terroranschlags. „Die Bedrohung ist real, sie ist akut, sie ist anhaltend“, sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am Sonntag im Sender CNN. „Wir arbeiten intensiv mit unseren Geheimdiensten zusammen, um herauszufinden, woher ein Angriff kommen könnte.“ Derweil läuft den NATO-Partnern bei ihren Rettungsaktionen die Zeit davon.
Am 31. August soll alles vorbei sein
Nur noch wenige Tage - dann soll am 31. August die US-Evakuierungsmission am Kabuler Flughafen nach bisherigem Stand enden. Und ein Abzug der USA, das machten am Wochenende Brüssel und London unmissverständlich klar, würde ein Ende auch aller anderen westlichen Rettungsaktionen bedeuten. „Wenn die Amerikaner am 31. August abziehen, haben die Europäer nicht die militärische Kapazität, den Militärflughafen zu besetzen und zu sichern, und die Taliban werden die Kontrolle übernehmen“, warnte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.
Unter ihrer Herrschaft zu leben würde bedeuten, all meine Ambitionen zu begraben.
Verängstigte Afghanin
Die Aussicht auf ein baldiges Ende der westlichen Rettungsaktionen und eine neue Schreckensherrschaft der radikalislamischen Taliban versetzt derweil zahlreiche Afghanen in Panik. „Ich wusste, dass mein Leben in Afghanistan mit dem Tag vorbei sein würde, an dem die Taliban kommen“, sagte eine junge Frau in einem Hotel im Zentrum von Kabul, vor dem am Sonntag ein Konvoi mit Medienschaffenden, Wissenschaftlern und Ortskräften zum Flughafen startete. „Unter ihrer Herrschaft zu leben würde bedeuten, all meine Ambitionen zu begraben.“
„Nehmt uns mit, bitte nehmt uns mit!“
Ein Journalist, der in dem Konvoi zum Flughafen gebracht wurde, beschrieb dramatische Szenen in der Stadt. Um den Bus habe sich eine riesige Menschentraube gebildet. „Sie haben uns ihre Pässe gezeigt und gerufen: ,Nehmt uns mit, bitte nehmt uns mit‘.“
Ein Mann sei mit seiner Frau und seinem Kind an sein Fenster gekommen und habe seinen Reisepass hochgehalten, berichtet der Journalist weiter. „Ich habe ein britisches Visum, komme aber nicht rein“, habe der Mann gerufen. Nach Angaben von Insassen des Konvois gab ein Taliban-Kämpfer Schüsse in die Luft ab, um die Menschen auseinanderzutreiben.
Massen in Panik: Todesfälle „unausweichlich“
Verstörende Aufnahmen von der Situation im unmittelbaren Umfeld des Kabuler Flughafens veröffentlichte auch der britische Sender Sky News. Auf den Videos sind mindestens drei in weiße Planen gehüllte Leichen zu sehen. Angesichts der Lage seien Todesfälle „unausweichlich“, sagte Sky-Reporter Stuart Ramsay, der sich am Kabuler Flughafen befindet. Menschen würden in der Masse vor dem Flughafen „erdrückt“. Außerdem seien viele Menschen „dehydriert“ und hätten „große Angst“.
Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums starben mindestens sieben Menschen in der Menge vor dem Kabuler Flughafen, laut „Guardian“ sollen es diese Woche insgesamt 20 gewesen sein. Westliche Staaten, darunter auch Deutschland, beschreiben die Lage vor Ort als extrem gefährlich. Berichten zufolge werden ausreisewillige Afghanen immer wieder von Taliban-Kämpfern misshandelt oder sogar festgenommen.
Meine Kinder weinen, weil sie keine Kraft mehr haben, aber ich sage ihnen, dass sie noch ein bisschen durchhalten müssen.
Hashi Hamid, flüchtet vor den Taliban
Hashi Hamid, der es mit seiner Frau und seinen vier Kindern am Sonntag zum Flughafen schaffte, berichtet von der völligen Erschöpfung seiner Familie. „Meine Kinder weinen, weil sie keine Kraft mehr haben, aber ich sage ihnen, dass sie noch ein bisschen durchhalten müssen, bevor der Flug kommt und wir gerettet werden.“ Würde sie in Afghanistan bleiben, würde seine Familie permanent von „Tod und Unterdrückung verfolgt“, sagte Hamid. Seinen Kindern sage er: „Eines Tages werdet ihr mir danken.“
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