krone.tv-Reportage

Afghanen in Österreich: „Trauen den Taliban nicht“

Österreich
28.08.2021 20:24

Chaos und Ungewissheit am Hindukusch: Seit der Übernahme der Taliban haben viele Afghanen keine Chance mehr, das Land zu verlassen. Ein Anschlag der IS-Terroristen am Kabuler Flughafen kostete fast 200 Menschen das Leben. Wie geht es Afghanen in Österreich mit den Entwickelungen in ihrem Heimatland? Und wie denken sie über den Streit um Abschiebungen nach Afghanistan? krone.tv über ein Land, das uns näher ist, als es viele wahrhaben wollen.

Arash und Wahid sind vor sechs Jahren nach Österreich gekommen. Die beiden Afghanen leben in einem Wohnhaus der ARGE Wien. In einem Park vor der trostlosen Anlage setzen sie sich auf eine Bank und erzählen: „Viele unserer Landsleute wollen das Land jetzt verlassen, weil sie ahnen, was später passieren wird. Die Afghanen kennen die Taliban, das sind gefährliche Terroristen, das sind keine Menschen. Jetzt schauspielern sie, „Frauen sollen zur Schule gehen“ - ich sage ihnen, das sind alles Lügen“, beteuert Arash. 

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

„Wir sind selbst vor den Taliban geflohen“ 
Auch sein Mitbewohner Wahid findet es angesichts der Lage schwierig, optimistisch zu sein. „Seitdem die Amerikaner in unser Land gekommen sind, haben sie nie etwas für uns gemacht. Auch am Ende haben sie mein Heimatland im Stich gelassen.“ Sie seien selbst von den Taliban geflohen, erzählt Wahid. Die Vorurteile gegenüber Afghanen sieht er nüchtern: „Jedes Land hat gute und schlechte Leute, das müssen wir akzeptieren.“ Was Wahid von Abschiebungen hält? „In den Bürgerkrieg wollen sie Menschen schicken?“ Er weiß nicht, wo sich seine restliche Familie befindet - seit ihrer Flucht ist das Handy aus. 

„Man muss abwarten“ 
Seit 2004 engagiert sich Ghousuddin Mir für Integrations- und Bildungsprojekte in Afghanistan. Er ist Obmann des Afghanischen Kulturvereins AKIS. Gemeinsam mit den Salesianern, Don Bosco und „Jugend eine Welt“ schaffte er Schulmöglichkeiten für Straßen- und Waisenkinder in Kabul. Wir treffen ihn in Brigittenau in seinem Stammcafé. Mit dem Personal ist er auf Du und Du. „Es gibt kein Vertrauen in die Taliban. Die haben eine dunkle Ideologie, mit der sie zirka 200.000 Jahre zurückgehen.“ Wie schätzt er den von den Taliban forcierten Imagewandel ein? „Die Amerikaner, der Westen, die Vereinten Nationen und Pakistan haben den Taliban Druck gemacht - besonders Pakistan, weil dort sitzen ihre Chefs. Ihr Ziel. Die Taliban sollten gewaltfrei agieren.“ 

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

„Man muss abwarten“, meint Mir, wie die Regierungskonstellation unter einem Rat aussehen werde. Er befürwortet Abschiebungen von kriminellen Flüchtlingen nach ihrer verbüßten Haftstrafe, aber: Jene „mit einer guten Ausbildung, die nichts anderes getan haben, als hier ein Leben aufzubauen, verdienten eine Chance“: „Ich bitte Sie, Herr Minister, geben Sie ihnen diese Chance, hier leben zu können. Natürlich können wir nicht allen helfen. Aber die, die schon hier sind und nichts verbrochen haben, sollten nicht abgeschoben werden“, so sein leidenschaftlicher Appell. 

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

„Das haben uns die Amerikaner eingebrockt“
Im Wiener Rathaus kommt Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp gerade von einem TV-Interview zurück. Seine Haltung ist klar. Er fordert „Abschiebungen statt Aufnahmen“. „Wichtig ist, dass das Asylrecht zustande kommt. Asyl bedeutet Schutz auf Zeit im erstmöglichen sicheren Drittland. Solche Länder gibt es um Afghanistan herum auch.“

Der Aufruf von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, sich für die Aufnahme von Afghanen einzusetzen, die mit Österreichern zusammengearbeitet haben, findet bei Nepp keinen Zuspruch. „Es herrscht dort Chaos. Das haben uns leider die Amerikaner eingebrockt. Jetzt gilt es, Hilfe vor Ort sicherzustellen. Das bedeutet nicht, so wie Bürgermeister Ludwig vorschlägt, Afghanen hierher zu fliegen, sondern in einem sicheren Drittland so unterzubringen, dass sie dort auch Asyl finden und dann so schnell wie möglich, sobald die Gefahr weg ist, zurück nach Afghanistan können, um ihr Land aufzubauen.“ 

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

Abschiebungen „rechtlich eine absurde Diskussion“ 
Für Alexander Pollak von SOS Mitmensch sind Abschiebungen nach Afghanistan rechtlich sowie ethisch einfach nicht haltbar. Für den Menschenrechtsaktivisten erfordert die Afghanistan-Katastrophe Hilfe statt einer Abschiebediskussion. „Es gibt eine ganz klare Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, dass es derzeit nicht möglich ist, nach Afghanistan abzuschieben. Es ist rechtlich eine absurde Diskussion und es ist zutiefst unmoralisch, darüber zu sprechen, wie man Menschen zu den Taliban verfrachten kann.“

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

Wo endet die Hilfeleistung bei über 30 Millionen Einwohnern? „Diese ,Alles oder nichts‘-Diskussion ist grundfalsch“, so Pollak. Nur weil man nicht alle Menschen aufnehmen könne, bedeute das nicht, dass man niemandem helfen sollte. „Wir und andere Menschenrechtsorganisationen haben ein Vier-Punkte-Programm. Wir fordern, dass Familienangehörige von hier lebenden Afghanen, die bedroht sind, gerettet werden sollten - wie auch Frauenrechtlerinnen, Aktivisten. Außerdem müsste die unwürdige Abschiebediskussion ein Ende haben und den Betroffenen rascherer Schutz zukommen. 

Nur wenige Sekunden nach dem Anschlag am Flughafen Kabul in der Abenddämmerung (Bild: Screenshot )
Nur wenige Sekunden nach dem Anschlag am Flughafen Kabul in der Abenddämmerung

Nach dieser Reportage kam es am Kabuler Flughafen zu einem verheerenden Terroranschlag. Die Situation für die Menschen am Hindukusch scheint immer aussichtsloser. 

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