Krisenteam-Leiter:
„Emotionale Momente, die man nicht vergessen kann“
Der Leiter des Krisenteams in Afghanistan war für die Rettung von über 100 Österreichern und Menschen mit Aufenthaltsberechtigung aus Kabul zuständig. Er hat Erfahrung in der Region und arbeitet im konsularischen Krisenmanagement. Mit der „Krone“ sprach er anonym über seine Erlebnisse.
„Es ist schockierend und bedrückend“, erzählt er der „Krone“ am Telefon. Man kommt mit einer Militärmaschine an, die Laderampe geht runter. Überall Familien, kleine Kinder, die mit wenig Hab und Gut auf die Rettung in einer der Militärmaschinen warten. Man geht weiter. Hinter Stacheldraht sitzen Familien, die noch keine Zuweisung erhalten haben. Was für ihn das prägendste Erlebnis war? „Kleine Kinder, die auf dem Boden schlafen mussten. Und Menschen, die in die Kloake beim Abbey Gate gesprungen sind.“
Die Kloake ist ein dünnes Rinnsal beim Abbey Gate am Flughafen Kabul. Dort sollte dann auch der Terroranschlag stattfinden. Das Rinnsal ist voll mit Urin, Müll und anderem unidentifizierbaren Zeug. Es stinkt bestialisch. „Wie eben ein offener Kanal bei 40 Grad riecht“, sagt der Leiter. Dort waten die Menschen durch, um in den Flughafen zu gelangen. Auf der anderen Seite werden sie von Soldaten raufgezogen oder eben nicht. „Das sind schon eher emotionale Momente, die man nicht vergessen wird.“
Mit rot-weiß-roter Fahne am Flughafen gewartet
Theoretisch und auch faktisch haben er und sein Team inklusive der Jagdkommando-Soldaten den Flughafen nie verlassen. „Wir hatten unseren Platz beim Abbey Gate und beim Nord Gate. Dort haben wir die österreichische Fahne gehisst. Ich hatte eine rot-weiß-rote Weste an.“ Gut sichtbar. Zu gut für das Jagdkommando, das für die Sicherheit zuständig war. „Die wissen genau, wo sich ein Gefahrenherd entwickelt, wann wir uns zurückziehen müssen. Da hat man Vertrauen in die Expertise, und das gibt Rückhalt“, war er voll des Lobes.
Eine generalstabsmäßige Rettungsaktion des Jagdkommandos zu Fuß von Österreichern aus der Stadt Kabul selbst, wie sie in einigen Medien dargestellt wurde, gab es nie. „Das machte grundsätzlich keiner. Außer den USA.“
Mit den Betroffenen hat man via Handy Kontakt aufgenommen. „Unser Problem war, dass viele nicht in unserer Datenbank eingetragen waren. Zu Beginn der Krise stand in der Datenbank für auslandsreisende Österreicher in Afghanistan eine Person.“ Erst nach und nach haben sich die Leute gemeldet. Und dann wurde gewartet: „Es war ein irrsinniges Chaos, man hat sich auf verschiedenste Art und Weise versucht zu erkennen zu geben. Durch Rufe oder durch Winken des Passes. Einige haben uns mit Australien verwechselt, andere mit Polen.“
Operativ tätig war das Team aus Taschkent, der usbekischen Hauptstadt. Mehrmals sind sie hin und her geflogen. Und der Einsatz dauert noch an. Nur der Luftweg ist zu. Nun müssen die noch verbliebenen Österreicher und Menschen mit Aufenthaltsrecht über den Landweg zur Grenze. „Wir sind zuversichtlich, dass wir das Gros der Leute rauskriegen, bevor die Taliban zumachen“, sagt der Krisenteam-Leiter.
Mit den Radikalislamisten war er nie in Kontakt. Beim Anschlag weilte das Team in Taschkent. Aber sie wussten bereits zuvor, dass was im Busch ist. „Es gab Indizien, als wir vor Ort waren. Es wurde eine Bombenattrappe gefunden, dann kam die erste Warnung der Amerikaner, dass sich was zusammenbraut.“ Das Team kontaktierte die verbliebenen Österreicher und warnten sie davor, zum Flughafen zu kommen.
700 bis 900 Personen täglich abgewickelt
Gemeinsam mit den Partnern von der deutschen Bundeswehr, die der Teamleiter in höchste Tönen lobte, und den Kollegen vom Innenministerium wickelte das Team in Taschkent täglich 700 bis 900 Personen ab. „Dokumentenprüfung, Kinderbetreuung, Corona-Tests. Alles haben wir gemacht.“ Wie die Flüge selbst eine logistische Herausforderung. Für alle. Geschlafen hat er in den letzten Tagen nicht viel. „Dafür intensiv.“
Wann der Einsatz zu Ende ist, kann er noch nicht sagen. Noch sind Österreicher in Afghanistan. „Wir bemühen uns, in kürzester Zeit so viele wie möglich herauszubekommen.“
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