Afghanistan-Fiasko
Biden: „War an der Zeit, diesen Krieg zu beenden“
US-Präsident Joe Biden hat am Dienstag in einer mit Spannung erwarteten Rede seine heftig kritisierte Strategie zum Abzug der USA aus Afghanistan verteidigt. Der unter Beschuss geratene Staatschef betonte, dass die USA mit mehr Widerstandsfähigkeit der afghanischen Armee gerechnet hätten, der „300.000 Mann, die wir ausgerüstet und trainiert haben“. Aber: Diese Einschätzung sei falsch gewesen, so das nüchterne Resümee Bidens. Eigene Fehler beim Abzug der US-Soldaten räumte er nicht ein.
Er selbst habe die Wahl gehabt, daran festzuhalten oder Zehntausende weitere US-Soldaten nach Afghanistan zu schicken und den Einsatz fortzusetzen. Die USA hätten allein die Wahl gehabt, das Land zu verlassen oder den Konflikt zu eskalieren. Er habe den Krieg nicht ewig verlängern wollen, betonte Biden. Und er habe auch den Abzug nicht ewig verlängern wollen. „Es war an der Zeit, diesen Krieg zu beenden.“ Der Präsident wies auch erneut Kritik zurück, der Abzug hätte geordneter abgewickelt werden können. Biden wertete die „Herausforderungen“, mit denen man bei dem Abzug konfrontiert gewesen seien, als unvermeidbar.
Die afghanischen Streitkräfte hätten sich ergeben, ihr Land „den Taliban, ihren Feinden“ übergeben, so Biden über die Ursachen für das Fiasko am Hindukusch. Die Regierung sei aus der Hauptstadt Kabul geflohen und habe die Saat der „Korruption und Dienstvergehen“ geerntet. Aber die USA seien sogar auf diese Möglichkeit vorbereitet gewesen, wie Biden erklärte. Denn so sei überhaupt erst die Evakuierungsmission für den Flughafen Kabul zustande gekommen.
Evakuierungsmission für Biden ein „unglaublicher Erfolg“
Diese Bemühungen zur Evakuierung lobte Biden, der von einem „unglaublichen Erfolg der Mission“ sprach. Rund 120.000 Menschen seien demnach aus dem Land gebracht worden. Mitglieder der US-Streitkräfte hätten - im Wissen über den Ansturm auf den Flughafen - mehr als nur ihre Pflicht getan. Ihren Einsatz würdigte der Präsident, denn sie hätten auch im Wissen über die Terrorpläne der Terrorgruppe IS-K - „eingeschworene Feinde der Taliban“, bei der Evakuierung geholfen und ihr Leben riskiert.
Republikaner werfen Biden Wortbruch vor
Doch während Biden die Evakuierungsmission lobte, kam weiter heftige Kritik aus dem Lager der Republikaner - die dem US-Präsidenten im Senat Wortbruch vorwarfen. Der Minderheitsführer der Republikaner in der Parlamentskammer, Mitch McConnell, schrieb am Dienstag auf Twitter, der Demokrat Biden habe versprochen, die US-Truppen nicht abzuziehen, bevor nicht alle Amerikaner außer Landes gebracht worden seien. „Er hat dieses Versprechen gebrochen und die Amerikaner und unsere afghanischen Partner im Stich gelassen.“
Die letzten US-Soldaten hatten Kabul in der Nacht auf Dienstag verlassen. Damit endete auch die militärische Evakuierungsmission. Auch nach deren Ende sind allerdings noch Amerikaner in Afghanistan, die das Land verlassen wollen. US-Außenminister Antony Blinken war am Montagabend davon ausgegangen, dass ihre Zahl „unter 200, wahrscheinlich näher an 100“ liege. Blinken betonte, die US-Regierung werde sich weiterhin bemühen, sie außer Landes zu bekommen. Man werde auch weiter daran arbeiten, Schutz suchenden Afghanen zu helfen, die mit den USA zusammengearbeitet haben.
McConnell kritisierte, dass Biden die US-Truppen vollständig aus Afghanistan abgezogen hat. Dieser Schritt „hat zu einer humanitären Katastrophe geführt und die Terroristen ermutigt“, schrieb der Senator. Mit dem Abzug der letzten US-Truppen endete nach fast 20 Jahren der internationale Einsatz in Afghanistan. Dort herrschen inzwischen wieder die Taliban - also jene Islamisten, deren Regime durch den US-geführten Einsatz Ende 2001 gestürzt wurde.
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Bidens Ansehen erlitt massiven Schaden
Jetzt schon steht jedenfalls fest: Bidens Ansehen hat massiven Schaden erlitten. Der Afghanistan-Abzug wurde für den Demokraten zu einem politischen Fiasko. Die oppositionellen Republikaner haben schon einen Rücktritt oder ein Amtsenthebungsverfahren gefordert, rechte Medien stellen den außenpolitisch höchst erfahrenen Politikveteranen als inkompetent dar, und selbst eher wohlgesonnene Medien sparen nicht mit Kritik - unter anderem, weil Dutzende oder gar Hunderte US-Bürger und Tausende Ortskräfte zurückgelassen wurden.
Wie groß und dauerhaft der politische Schaden für den 78-Jährigen tatsächlich ist, darin sind Experten sich uneinig. „Normalerweise ist Außenpolitik kein großes Thema, wenn es nicht gerade eine große Krise in Wahlzeiten gibt, etwa einen beginnenden Krieg“, sagt der Politikwissenschaftler David Karol von der Universität Maryland. „Die Vorstellung, dass das jetzt das Ende der Präsidentschaft (von Biden) ist, ist stark übertrieben.“
Auch der Historiker Allan Lichtman von der American University in Washington hebt hervor, dass US-Präsidenten außenpolitische Krisen häufig unbeschadet überstanden haben. Der in Lichtmans Augen außenpolitisch höchst erfolgreiche George Bush senior wurde dagegen 1992 nach nur einer Amtszeit abgewählt. Sein demokratischer Herausforderer Bill Clinton punktete mit der Parole „It‘s the economy, stupid“ (Auf die Wirtschaft kommt‘s an, Dummkopf).
Ein Motto, auf das jetzt auch Biden setzt. Der Demokrat will billionenschwere Investitions- und Reformpakete durchsetzen, um die marode Infrastruktur des Landes zu erneuern und das Sozialsystem auszubauen. Neue Straßen und Brücken und ein besserer Zugang zu Bildung „wird den Amerikanern in sechs Monaten mehr bedeuten als Afghanistan“, glaubt Lichtman.
Großer Rückhalt für Ende des Afghanistan-Einsatzes
Außerdem gibt es in der Bevölkerung grundsätzlich großen Rückhalt für ein Ende des Afghanistan-Einsatzes, der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 begonnen hatte. Schon Bidens Vorgänger Donald Trump hatte ein Ende von „endlosen Kriegen“ versprochen.
USA kehren in sich: Kein „Nationbuilding“ mehr?
Biden sagte in seiner Rede auch, in Afghanistan hätten die USA erlebt, wie eine Mission zur Terrorismusbekämpfung sich in einen Einsatz zur Aufstandsbekämpfung, zum Aufbau einer Nation und zur Schaffung eines demokratischen, zusammenhängenden und geeinten Landes verwandelt habe. Das sei „etwas, das in der jahrhundertelangen Geschichte Afghanistans nie erreicht wurde“. Der Präsident fügte hinzu: „Wenn wir diese Denkweise und diese Art von großangelegten Truppeneinsätzen hinter uns lassen, werden wir zu Hause stärker, effektiver und sicherer sein.“
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