Kein Band-Comeback

EAVs Thomas Spitzer sorgt für bissige Weihnachten

Musik
05.09.2021 06:00

Vor 42 Jahren begeisterte die EAV mit anarchischen Weihnachtsshows ein Publikum von der Oststeiermark bis nach Hamburg. Mastermind Thomas Spitzer hat sich nun endlich den Traum von einem Weihnachtsalbum erfüllt und zelebriert auf „Ihr Sünderlein kommet“ mit namhaften Gästen das schönste Fest des Jahres auf gewohnt bissige und ironische Art und Weise. Ein akustisches Festmahl für die Fans der Austropop-Legende.

(Bild: kmm)

Wenn das letzte Kapitel geschrieben ist, dann geht man am besten noch einmal zum Anfang zurück. So oder so ähnlich waren Thomas Spitzers Überlegungen, als er sich im Laufe der letzten Monate den über viele Jahre mitgetragenen Traum eines EAV-Weihnachtsalbums erfüllte. „Ihr Sünderlein kommet“ steht auf dem Cover ebenso drauf wie „Erste Allgemeine Verunsicherung“. Von einem Comeback nach der emotionalen und famosen Abschiedsshow im Herbst 2019 in der Wiener Stadthalle kann aber keine Rede sein. „Die EAV ist für mich der Überbegriff“, klärt uns die Edelfeder im Gespräch im Grazer S.T.R.E.S.S.-Studio auf, „bei dieser Band war immer alles möglich, ich sehe die Dinge nicht so eng. Musikmachen, Texten und Zeichnen machen mir so große Freude, dass ich in absehbarer Zeit nicht damit aufhören werde.“ Auch wenn das eigentliche Ende der Band unmissverständlich ausgerufen war, das Credo „1000 Jahre EAV“ scheint sich glücklicherweise doch zu bewahrheiten.

Die Mühlen mahlen langsam
„Ihr Sünderlein kommet“ ist kein klassisches Bandalbum, sondern kombiniert mit liebevollem Geschick die Vergangenheit, Gegenwart und anstehende Zukunft des Projekts, das weit über den kommerziellen Horizont der Klaus-Eberhartinger-Jahre hinausreicht. Die ungeplante Erfolgskarriere der EAV hatte zudem einen erklecklichen Anteil daran, dass sich Spitzer den Traum von einem Weihnachtsalbum so lange nicht erfüllen konnte. Es musste schon eine Pandemie kommen, um 42 Jahre nach der legendären Weihnachtstour 1979 das (un)heilige Fest auf einen Tonträger zu bannen. Mit „Ihr Kinderlein kommet (verdammt noch einmal)“ veröffentlichte die EAV in diesem Jahr ihre allererste Single, die aufgrund ihrer textlichen Schärfe nur auf zwei Radioeinsätze kam. „Die Zeile ,Bim Bam, Bim Bam, ich bin der geile Weihnachtsmann‘ stieß damals nicht so auf Anklang, ich weiß auch nicht warum“, lacht Spitzer rückblickend.

Eingesungen hat den Song einst Spitzers Jugendfreund Gert Steinbäcker, der die damals noch englischsprachigen STS anführte und seine Kollegen Schiffkowitz und Timischl als Darsteller und Techniker auf Tour mitnahm. Für die jüngeren Semester ist es heute kaum vorstellbar, dass der so seriöse Sänger ein paar Jahre lang die sprichwörtliche Sau rausließ. „Den gauklerhaften Teil von mir konnte ich bei der EAV rauslassen. Ich habe dort wahnsinnig viel gelernt“, erinnert sich Steinbäcker an seine wilden Jahre wohlig zurück, „es gab damals mit Drahdiwaberl schon Rock-Kabarett, aber so zusammenhängend wie wir hat das keiner gemacht.“ Kostümierungen, Schminke, Szenenwechsel, Anarchie. Vor allem in Norddeutschland stießen die EAV-Weihnachtsshows auf großen Anklang und begeisterten das Publikum. „Wir traten damals in gewissen Nischen auf und diese Nischen waren akzeptiert. Frei nach dem Motto: ,das sind eh die Irren‘ hat man uns einfach machen lassen.“ Auf dem neuen Weihnachtsalbum singt Steinbäcker das rockige „Roll Over Betlehem“ ein. „Das Lied lag fast vier Jahre auf meinem Studiotisch, jetzt hat Thomas das Album endlich umgesetzt.“

Drei Generationen Austro-Kult
Die Gästeliste auf „Ihr Sünderlein kommet“ kann sich sehen lassen. Neben Steinbäcker tummeln sich heimische Größen wie Christopher Seiler, Paul Pizzera, Lemo oder Willi Resetarits auf dem Werk, das Engagement der „österreichischen Nina Hagen“ (O-Ton Spitzer) Ankathie Koi zerschlug sich im letzten Moment aufgrund der Geburt ihres ersten Kindes. „Corona sei Dank hatten alle Mitwirkenden genug Zeit, um mir diesen Wunsch zu erfüllen“, freut sich Spitzer über die Starriege, „mir ist es vor allem eine Freude, dass quasi drei Generationen an Sängern auf dem Werk zu hören sind. Sie alle tragen ein bisschen das Anti-X-Mas-Gen in sich und hatten große Freude daran, dieses Weihnachtsalbum der anderen Art einzuspielen.“ Die Songs hätten sich die Interpreten quasi ausgesucht, lacht das Mastermind. „Mir war zum Beispiel klar, dass Christopher Seiler ,Am Christkindlmoarkt‘ singt, wo es darum geht, dass sich jeder zulötet. Gert hat ,Roll Over Betlehem‘ eingesungen, als wären 42 Jahre nie vergangen und Lemo hat mit ,Weihnachten net leiden‘ eine schwarzgefärbte Austro-Suizid-Nummer ausgewählt. Die Mischung zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht.“

Die Vielseitigkeit der Interpreten ist freilich eine bewusste Abkehr vom gesanglichen Eberhartinger-Monotheismus. Quasi eine Neufärbung des Konglomerats EAV, das in seiner Historie schon immer mehr war als die bloße hochkommerzielle Phase, die Mitte der 80er-Jahre begann und bis zum Schluss anhielt. „Die Buntheit der Interpreten ist für mich irrsinnig spannend. Es ist eine große Freude, verschiedenste Farben in der Palette zu haben. Alle haben ihre eigene Auffassung und Interpretation meiner Lieder, ein paar habe ich selbst eingesungen. Es war mir von Anfang an wichtig, dass jeder seinen Teil so interpretiert, wie er es für richtig hält, denn meinen allumfassenden EAV-Schmäh kennt sowieso jeder.“ Schwarzer Humor ohne erhobenen Zeigefinger, aber mit inhaltlicher Mehrdeutigkeit. Ein Wortakrobat wie Spitzer lässt den kantigen Weihnachtssongs viel Platz zum Atmen und mäandert geschickt zwischen Austropop, Rock’n’Roll, Balladen, Melancholie, Luftigkeit und Anarcho-Klamauk. Tracks wie „Klinik unter Psalmen“ oder „Scheitelknian am Weihnachtsabend“ gehen sogar in den Choral bzw. ins Volkstümliche. Alles ist erlaubt, nichts verpönt.

(Bild: Nora Tietz)

Gegen die Scheinheiligkeit
„Der Humor ist mein geistiger Vater. Bei der EAV haben wir nie den Einzelnen verunglimpft, sondern lieber eine Institution oder das System. Diesem Motto bin ich mir treu geblieben. In irgendwelchen Wunden herumzuwühlen ist doch keine Qualität. Ich mag Ironie, aber keinen Sarkasmus. Die boshafte, sardonische und verletzende Art ist nicht mein Stil.“ Bei den legendären 1979er-Weihnachtskonzerten ging es der EAV um die Konsumkritik und daran hat sich bis heute wenig verändert. „Ich bin selbst zweifacher Vater und mir liegt es fern, einem Kind Weihnachten kaputt zu machen, aber das ganze scheinheilige Drumherum mit dem Konsum und Kommerz kann man schon anprangern. Für eine Nacht feiern wir den Frieden und am Tag darauf fahren wir die Panzer auf und schmeißen wieder Granaten. Das ist eine Doppelmoral, die mir zuwider ist. Die EAV wollte Kritik immer in humoristische Form packen und Denkanstoße geben - das ist beim Weihnachtsalbum nicht anders als sonst.“

Die Bissigkeit der EAV-Weihnacht hat auch Austropop-Held Paul Pizzera in den Bann gezogen. Er interpretiert den Klassiker „Einmal möchte ich ein Böser sein“ als weihnachtliche Version „Einer muss der Krampus sein“. „Ein Weihnachtsalbum von Spitzer klingt eben anders als eines vom Herrn Gabalier“, lacht der Sänger, „ich finde es toll, wenn man solche Songs in die sakrale und ruhige Zeit einbettet. Alles mit viel schwarzem Humor, augenzwinkernd und stets das Salz suchend, wenn wo eine Wunde vermutet wird. Ich finde es wirklich cool, dass dieses Album bewusst nicht nach der Heavy Rotation im Radio schreit, sondern ein selbstbewusstes und künstlerisches Statement ist.“ Christopher Seiler hingegen musste bei Spitzer erst ein Kindheitstrauma ablegen. „Vor Thomas hatte ich immer Angst, weil der in den alten EAV-Videos immer so einen Schirchen gespielt hat. Er meinte dann nur, das wäre halt einfach er.“ 

Weihnachtliche Unterschiede
Weihnachten an sich interpretieren die Beteiligten vielseitig. Keinen großen Zugang zum Fest haben etwa Steinbäcker und Pizzera. „Das Fest ist von einer kindlichen und nostalgischen Romantik getragen, dass man gut isst und mit den Liebsten zusammensitzt“, erklärt Pizzera, „das finde ich auch schön, aber die Tage davor sind kaum auszuhalten. Deshalb finde ich es auch gut, dass dieses Album eine Antithese zum üblichen Weihnachts-Schmafu ist und der gespielten Erhabenheit den Mittelfinger ins Gesicht streckt.“ Steinbäcker erinnert sich an schöne Weihnachten als Kind, aber „meine religiöse Bindung ist gering und es ist ein Kommerzfest. Für Kinder ist es toll und die Spendenaktionen sind großartig, aber für mich hat das Fest keinen großen Wert.“ Christopher Seiler hingegen hat sich am Heiligen Abend verlobt und betrachtet sich selbst als „Weihnachts-Doserl“. „Ich habe nur die allerschönsten Erinnerungen an Weihnachten und das Fest ist für mich noch heute ein großes Highlight. Außerdem macht mir Schenken mehr Freude als beschenkt zu werden.“

(Bild: Andreas Graf)

Und wie sieht es dahingehend bei Thomas Spitzer selbst aus? „Man wird mich wahrscheinlich belächeln, aber es wärmt mein Herz, wenn ich an die Kindheit zurückdenke. Einmal lag eine Gitarre unterm Weihnachtsbaum und das war der schönste Tag meines Lebens. Auf dem Album habe ich auch versucht, Weihnachten von allen Seiten zu beleuchten. Es gibt zum Beispiel Friedrich Nietzsches Gedicht “Vereinsamt„ und Ringelnatz kommt auch vor. ,Ihr Sünderlein kommet‘ hat auch eine ernsthafte Seite, die sich sehr positiv mit dem Weihnachtsfest auseinandersetzt. Ich selbst habe die letzten Jahre zu Weihnachten meist in Kenia verbracht und mir dort immer ein kleines Weihnachtsbäumchen hingestellt. Früher habe ich bis zu meinem 20. Lebensjahr gewartet, dass das Glöckchen in Mutters Wohnung ertönte und sich der Baum mit den Wachskerzen, roten Äpfeln und Strohsternen zeigt. Ein Motto á la “besoffen unterm Weihnachtsbaum und jetzt zünden wir alles an„ war mir immer zu billig.

Zeitgemäße Umsetzung
„Ihr Sünderlein kommet“ erscheint am 5. November und wird in einer Special Edition auch eine üppige Buchversion mit Anekdoten der 1979er-Weihnachtsshows, Liedtexten und gewohnt-pointierten Zeichnungen und Skizzen Spitzers beinhalten. Der nächste Schritt sollte über kurz oder lang eine Live-Umsetzung werden - allerdings thematisch und visuell in die Gegenwart geholt. „Ich könnte mir eine Show im Rabenhof-Theater gut vorstellen“, sagt Spitzer, „vielleicht sogar als fixe Institution in der Weihnachtszeit. Diese Pläne liegen aber noch in weiter Ferne. Fix ist, dass Weihnachten bestehen bleibt, auch wenn irgendwann die Welt untergehen sollte.“ Pizzera wäre für eine Beteiligung mehr als offen. „Thomas würde ich überall hin folgen und ich hoffe sehr, dass dieses Projekt in irgendeiner Form auf die Bühne kommt.“ Spitzers Jugendfreund Steinbäcker würde seinen Auftritt gerne altersgerecht inszenieren. „Die digitale Welt hat Auftritte wie 1979 eigentlich ruiniert. Damals basierte viel auf einer Überraschung, die heute völlig wegfällt. Ich bin aber offen für alles, was Spaß und Sinn macht. Mit fast 70 hüpfe ich aber sicher in kein Kostüm mehr.“ Das Kapitel EAV geht jedenfalls in eine nächste Runde und hat nichts von seiner ironischen Bissigkeit verloren.

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