In der griechischen Mythologie musste Damokles bei einem Festmahl des Königs unter einem großen Schwert sitzen, das nur von einem Pferdehaar gehalten wurde. Statt die göttlichen Speisen zu genießen, musste er die bittere Lektion lernen, dass selbst königliche Macht nicht vor Gefahren schützt. Das passt als Gleichnis zur ÖVP. Über ihr hängen die Regierungsfehler in der Corona-Pandemie und mögliche Kanzler- und Ministeranklagen.
1. Nach einem vorübergehenden Allzeithoch nach Ausbruch der Pandemie liegen der Bundeskanzler und alle seine Minister beim ihnen entgegengebrachten Vertrauen inzwischen viel schlechter als im Jänner 2020 unmittelbar vor Corona. Im APA/OGM-Vertrauensindex - gemessen wird einfach die Differenz, wie viele Österreicher dem jeweiligen Politiker vertrauen oder eben nicht - ist praktisch jedes türkise Regierungsmitglied spätestens im Lauf des vergangenen Jahres richtiggehend abgestürzt.
2. Größter Verlierer ist Finanzminister Gernot Blümel mit einer Verschlechterung um 40 Prozent. Gefolgt von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und Tourismusministerin Elisabeth Köstinger mit rund 20 Minuspunkten. Dann folgt Sebastian Kurz höchstpersönlich mit minus elf. Ausgerechnet Arbeitsminister Martin Kocher, den die ÖVP erst vor Kurzem als Nichtpolitiker und unabhängigen Experten in die Regierung schickte, hat die besten Vertrauenswerte. Doppelt so gute wie Kurz als früher unumstrittener Strahlemann.
3. Warum nur, warum? Die Vertrauenskrise liegt nicht an der Corona-Pandemie als solcher, sondern ist auch hausgemacht. Sogar vom Chef selber. Weil dieser - also Bundeskanzler Sebastian Kurz - mit seinen Ankündigungen und Vorhersagen allzu oft danebenlag. Im März 2020 verkündete Kurz, dass jeder jemanden kennen wird, der an Corona verstorben ist. Das war zum Glück genauso falsch wie der Aprilsager, dass wir bis zu 100.000 Tote erleben können.
4. Doch über 10.000 Tote sind schlimm genug. Bevor es dazu kam, verkündete Kurz im Sommer des Vorjahres Licht am Ende des Tunnels. Statt des Tunnelendes erlebten wir im Herbst die bisher schlimmste Welle. Österreich musste im Verhältnis zu seiner Bevölkerungsgröße zwischenzeitlich weltweit die meisten Neuinfektionen verbuchen. Die Regierung hatte zu spät reagiert.
5. 2021 droht sich das Spiel zu wiederholen. Kurz wollte die Pandemie im Frühjahr bald für beendet erklären. Daraus wurde nichts. Es gab selbst verschuldete Lieferengpässe bei den Impfstoffen. Von des Kanzlers Sputnik-Impfung hörten wir nie wieder. Die neuerliche Ansage, dass wir das Coronavirus besiegt haben, ist durch die steigenden Zahlen in Krankenhäusern und auf Intensivstationen widerlegt. Das Kurz’sche Versprechen eines Pandemieendes für Geimpfte ist nicht einzuhalten, weil wir alle von der Corona-bedingten Aufschiebung anderer Behandlungen und Operationen betroffen sein können.
6. Das zweite Problem der ÖVP sind die strafrechtlichen Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Gegen Kurz wegen einer möglichen Falschaussage. Aufgrund von Korruptionsdelikten gegen Finanzminister Blümel und dessen Vorgänger Hartwig Löger und Josef Pröll. Pröll war ein Parteichefvorgänger von Kurz. Das macht in Summe keinen schlanken Fuß.
7. Es gilt - und das zu Recht, diesen Hinweis darf man in einem Rechtsstaat nicht als Floskel missbrauchen, sondern muss es ehrlich meinen - die Unschuldsvermutung. Bei Einstellung der Ermittlungen kann sich für die ÖVP alles in Friede, Freude und Eierkuchen auflösen. Man würde sich im Image des unschuldig Verfolgten suhlen. Kommt es zu Anklagen, dampft die Kacke allerdings.
8. Vor allem sprachliche Rundumschläge gegen die Staatsanwaltschaft sind gegenüber Richtern nicht zu empfehlen. Die türkise Wählerschaft steht unverändert hinter Kurz. Die Justiz wild zu attackieren, das findet aber nicht überall Zustimmung. Im Anklagefall gerät das Meinungsbild generell ein wenig ins Wackeln. Zudem wollen trotz bisher demonstrativer Geschlossenheit von Landes- und Gemeindepolitikern der ÖVP diese irgendwann keine Flankentreffer des Vertrauensverlustes und von Gerichtsprozessen abbekommen.
9. Was soll’s? Mit diesen Worten könnte die ÖVP ihren Kritikern sozusagen den sprachlichen Stinkefinger zeigen. Denn in bundesweiten Umfragen liegt man zwar unter dem letzten Wahlergebnis, doch meilenweit vor der politischen Konkurrenz auf dem ersten Platz. Der oberösterreichischen Landtagswahl kann die Partei ebenfalls gelassen entgegensehen. Man startet mit einem Ausgangswert aus dem Jahr 2015, der das schlechteste Ergebnis war, das die Volkspartei in Oberösterreich je erzielte. Es kann nur besser werden.
10. Wird das auch passieren? Ja. Die FPÖ hat seit dem Ibiza-Video und der Spesenaffäre immer Wähler verloren, die zur ÖVP gewandert sind. Das wird diesmal in geringerem Ausmaß der Fall sein. Doch für ein klares Plus der Türkisschwarzen reicht es allemal. Der Elchtest für die ÖVP in Urnengängen kommt erst im Frühjahr 2023 in Niederösterreich, Tirol, Salzburg und Kärnten.
Sebastian Kurz, Bundesparteiobmann der ÖVP, ist am Montag Gast in den „Sommergesprächen“ des ORF. Sein Auftritt bei Lou Lorenz-Dittlbacher wird anschließend wie bei den Chefs aller Parlamentsparteien von Peter Filzmaier in der „ZiB 2“ analysiert. Parallel zu den Gesprächen gibt es eine fünfteilige „Krone“-Serie zur Lage der jeweiligen Partei, die heute ins Finale geht.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.